Demontageversuche - Der "serbische" Peter Handke in der Presse

Früher, wenn die "innere" Ordnung bedroht war, wurde nach dem Henker gerufen ("er nähert sich der Zone der Genickschüsse" hieß es einst bzgl. Ernst Jünger); heute, in demokratischen Zeiten, wird nach dem Psychiater gerufen oder er wird zum "Dichter" (Pinscher) ernannt. Oder: Man "vergleicht"  jemanden mit einem Antisemiten.

Das eigentliche Streitthema, wie schon bei Martin Walsers Paulskirchen-Rede und Botho Strauß' "Anschwellendem Bocksgesang" , wird wohl die zunehmende Prägung der Wahrnehmung durch "die" Medien sein, wobei die traditionellen Wahrnehmungspräger fürchten, ins Hintertreffen zu geraten.

Eine wirkliche Debatte kommt gar nicht in Gang; Schriftsteller brauchen die Medien, Journalisten haben wenig Neigung zur Selbstkritik und machen Handke einfach zum Journalistenhasser. Irgend ein Erklärungsbemühen zu Handkes Gewaltakt findet von deren Seite aus nicht statt, gewiß aus Zeitnot. Wer Handke als "Dichter des Friedens" ("Ahornblatt im Abendwind") verunglimpft, der hat ihn gar nicht gelesen und braucht sich über "Journalistenhaß" nicht zu wundern. Früher hieß es bei Handke (aus dem Gedächtnis zitiert): "Linke und Rechte in einen Topf, Bombe dazu und Deckel drauf". Es ist bloß derselbe alte Ekel vor dem Geschwätz.

Diese Textsammlung stammt aus Zeit, Spiegel, Taz, Tagesspiegel, MoPo Berlin,  Stuttgarter Zeitung usw. und ist sehr unvollständig ...

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Ritter Handke in Belgrad

Belgrad (dpa) - Der österreichische Schriftsteller Peter Handke ist demonstrativ nach Belgrad gereist. "Als ich hörte, daß die Nato-Bombardierungen bis zum letzten Serben fortgesetzt werden sollen, habe ich mich entschlossen, zu kommen und hier, in Serbien, mit euch zu sein", zitierte die Belgrader Zeitung Politika den Autor. Er sei nicht wegen der Medien gekommen, sondern um das zu riechen, was er zu Hause nicht habe, das Aroma des Landes. Nach dem Beginn der Nato-Luftangriffe hatte Handke in einem offenen Brief geschrieben: "Seit dem 24. März sind Serbien, Montenegro, die Republik Srpska und Jugoslawien das Vaterland für alle, die keine Marsianer und grüne Schlächter geworden sind."

Handke wurde am Freitag mit der Auszeichnung "Serbischer Ritter" geehrt - für seine "Tapferkeit" angesichts der "bestialischen und brutalen" Nato-Aggression, wie es in der Laudatio hieß.

taz Nr. 5802 vom 3.4.1999 Seite 8 34 Zeilen
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Tagesspiegel, 8. April 1999

Krieg ahoi

Peter Handkes Erklärung im Wortlaut

Der Papst verurteilt in seiner Osterbotschaft am 12. Tag des Krieges gegen Jugoslawien den "Bruderkrieg", aber nicht den Allrohrüberfall der NATO gegen ein kleines Land. Und auf der 1. Seite von "Le Monde" vom Ostersonntag, dem 4. April 1999, nach der Riesenschlagzeile DIE NATO SCHLÄGT ZU IM HERZEN VON BELGRAD, beginnt ein langer Kommentar des "Erzbischof von Cambrai" und "Präsidenten der Kommission GERECHTIGKEIT UND FRIEDEN des französischen Episkopats", worin der Nato-Krieg gegen Jugoslawien folgend gut geheißen wird, Zitat

"Heute sind Löschhubschrauber nötig, um den Brand zu ersticken, gestern hätte ein Eimer Wasser genügt." Der Erzbischof spricht weiter von den "Christen und allen Menschen guten Willens", für die "die Waffen natürlich nie eine Lösung sind - doch für den Moment ist es dringlich, den Angreifer zu entwaffnen." Nie. Doch für den Moment ... Und der Präsident für episkopale Gerechtigkeit kommt zu dem Schluß, Zitat: "Im vorliegenden Fall gab es allein die Wahl zwischen einem rechtlich unkorrekten Nicht-Agieren und einem ethisch notwendigen Agieren." Krieg ahoi, Christ und (!) Mensch guten Willens.

Ich aber, der Schriftsteller Peter Handke, getaufter und, nach Möglichkeit, praktizierender Katholik, erkläre dementsprechend meinen Austritt aus dieser momentanen katholischen Kirche. Gegen jede Ethik- Kommission: Es lebe das Recht.

Andere Kleinigkeit: Das Preisgeld für den mir 1973 gegebenen Büchnerpreis gebe ich an die Deutsche Akademie zurück (zum Glück waren's damals nur 10 000 DM): "symbolisch", so wie es, laut den westwestlichen Medien, das Zurückschlagen der NATO im Herzen Belgrads ist, "unvermeidlich", wie, laut fast aller Welt, der Krieg der "Welt" gegen Jugoslawien; um meine "Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren". Einem jedem seine Glaubwürdigkeit. P.H., 6. April 1999"


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Dienstag, 9. März 1999

Das ist mein Ort

Der Schriftsteller Peter Handke will Serbien gegen die «Verbrecher der Nato» verteidigen

Von Hendrik Werner

In der Diskussion um ein mögliches Eingreifen von Nato-Streitkräften in den Kosovo-Konflikt hat der österreichische Schriftsteller Peter Handke neuerlich und drastischer als je zuvor Partei für die Serben ergriffen. Im Falle einer Bombardierung Serbiens sei sein Platz an der Seite der serbischen Bevölkerung, kündigte der 56jährige am Rande der Kosovo-Konferenz von Rambouillet in einem Interview mit dem Staatlichen Serbischen Fernsehen an. «Wenn die Verbrecher der Nato Sie bombardieren, komme ich nach Serbien», sagte Handke in dem in französischer Sprache geführten Gespräch, das der NDR-«Kulturreport» am Sonntag abend auszugsweise sendete.

Zugleich verweigerte Handke Gespräche mit Pressevertretern aus Nato-Mitgliedsstaaten. Einem österreichischen Journalisten sagte der Dramatiker («Zurüstungen für die Unsterblichkeit») und Romancier («Mein Jahr in der Niemandsbucht»), er werde «bis an mein Lebensende» nur noch dem Serbischen Fernsehen Interviews gewähren.

Handke zufolge setzt sich die internationale Völkergemeinschaft aus «eleganten Desperados unter dem Deckmantel des Menschlichen, der humanitären Parolen» zusammen. Die Amerikaner bezichtigte er, alle «Brutalität der Welt» zu verkörpern. Der Leidensweg der serbischen Bevölkerung seit dem Ausbruch des Balkan-Konflikts im Sommer 1991 sei so einzigartig und sprachlich so wenig faßbar, daß er nicht einmal mit dem Holocaust verglichen werden könne. «Was die Serben seit fünf, mehr noch, seit acht Jahren durchmachen, das hat kein Volk in diesem Jahrhundert in Europa durchgemacht. Dafür gibt es keine Kategorien. Bei den Juden, da gibt es Begriffe, man kann darüber sprechen. Aber bei den Serben - das ist eine Tragödie ohne Grund. Das ist ein Skandal.»

Handke zufolge würde eine konzertierte Aktion der Nato-Alliierten gegen Rest-Jugoslawien die Zerstörung jeden militärischen Gleichgewichts bedeuten. «Es gibt eine gewisse Göttlichkeit in der Menschheit», sagte er, «aber mit dem Krieg gegen die Serben ist die Göttlichkeit verschwunden». Zugleich äußerte Handke den Wunsch, das Kosovo mit Waffengewalt an die jugoslawische Rumpfrepublik zu binden: «Ich habe im Kosovo Mönche kennengelernt», sagte er, «die für das Kosovo kämpfen wollten. Manchmal wäre auch ich gern ein serbisch-orthodoxer Mönch, der für das Kosovo kämpft.»

Es ist nicht das erste Mal, daß sich der Träger des bedeutenden serbischen Literaturpreises Goldener Schlüssel von Smederevo (1998) wortreich und provokativ für die serbische Seite engagiert. Er, der sich 1972 mit der Aufsatzsammlung «Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms» zunächst als weltabgewandter Poet positioniert hatte, stieg im Zuge des Balkan-Konflikts gleich mehrfach zu seiner Ansicht nach besonders schützenswerten Menschen hinab. Die beiden 1996 veröffentlichten Berichte «Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien» und «Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise» sind keine Betrachtungen eines Unpolitischen, sondern flammende Plädoyers gegen die Handke zufolge einseitige Kriegsberichterstattung durch internationale Medien. Unter anderem zweifelte der Dichter die Zerstörung Dubrovniks durch serbische Bomben an.

Für Empörung sorgte der Umstand, daß Handke den serbischen Alltag im Hinterland mit empfindsamen Attributen wie «lieblich, schön, erfreulich, gesittet» beschrieb, während in Srebenica Massengräber von kriegsgefangenen Moslems ausgehoben wurden, die von bosnischen Serben ermordet worden waren. Handke, der Journalisten vor Ort einen Mangel an Objektivität vorwarf, zog es vor, von einer «Geschichte» statt von einem Massaker zu sprechen.

Seine bedingungslose Liebe zum serbischen Kernland von Rest-Jugoslawien begründet der Enkel eines slowenischen Bauern autobiographisch. Sein Großvater votierte nach dem Zerfall des Habsburger Reiches für das erste Königsreich Jugoslawien. Zwei seiner Onkel, junge Slowenen, die von der Wehrmacht zwangsrekrutiert worden waren, fielen im Zweiten Weltkrieg. Jenes Jugoslawien, das zum mythisch verbrämten Sehnsuchtsland schon des jugendlichen Handke wurde, war Titos sozialistische föderative Republik, die der künftige Schriftsteller nahezu jeden Sommer bereiste. «Die Hornissen», sein Romandebüt, entstand 1965 auf der Adria-Insel Krk. Als seine Utopie von einem Großjugoslawien 1991 durch slowenische Autonomiebestrebungen zu zerbrechen drohte, wandte er sich in dem Pamphlet «Abschied des Träumers vom Neunten Land» und der Gesprächssammlung «Noch einmal vom Neunten Land» gegen alle derzeitigen und künftigen Versuche, sich aus dem Staatsverband zu lösen.

 

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den Kommentar von Jost Nolte Ein Prophet namens Handke

 
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Freitag, 9. April 1999

Akademie-Chef: Handke ist Fall für Psychiatrie

Mit einer Prise Humor hat der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Christian Meier, die Ankündigung des Schriftstellers Peter Handke quittiert, er wolle den ihm 1973 verliehenen Büchner-Preis zurückzugeben. Noch habe Handke die 10 000 Mark Preisgeld nicht zurückgeschickt, sagte der Historiker. «Ich weiß auch gar nicht, ob er überhaupt unsere Kontonummer hat. Oder schickt er einen Scheck?» Außerdem seien «da ja eine Menge Zinsen und Zinseszinsen angefallen seit 1973». Die wolle er dann eigentlich auch zurückhaben, sagte Meier mit ironischem Unterton. Anstatt das Preisgeld zurückzusenden, solle Handke das Geld lieber für die Flüchtlinge spenden. «Ein Handke-Zelt im Flüchtlingslager - das wäre doch was.»

Die Entscheidung Handkes tue ihm «zwar irgendwie leid», aber der Autor habe sie nicht begründet und auch der Akademie in seiner Erklärung keine Vorwürfe gemacht. Auf die Frage, wie er die proserbischen Äußerungen Handkes in den letzten Wochen beurteile, antwortete Meier: «Ich bin ja kein Psychiater.» Die Art und Weise, wie Handke seine Anschuldigungen gegen die Nato vorgebracht habe, sei nicht nachzuvollziehen. «Da fragt man sich, ob man das ernst nehmen soll. Für einen nüchtern denkenden Menschen ist das ridikül.»

Handkes Anliegen sei «schwarzweiß gemalt». Zwar könne man über die Nato-Bombardements im Kosovo unterschiedlich urteilen, nicht aber über die serbische Politik, die eine «fürchterliche Angelegenheit» sei.

Wie berichtet, hatte Handke am Mittwoch angekündigt, er wolle das Preisgeld «symbolisch» der Akademie zurückgeben und zudem aus der katholischen Kirche austreten, um seine Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren. Vor kurzem war Handke von einem mehrtägigen Aufenthalt in Serbien in seinen Heimatort in der Nähe von Paris zurückgekehrt. In Belgrad war er mit der Auszeichnung «serbischer Ritter» geehrt worden. dpa


Krieg und Intellekt
Von Thomas Groß

Früher hatten sie es leichter, die Intellektuellen und Schriftsteller, die den Anspruch ernst nahmen, moralische Vordenker und Mahner für Humanität zu sein. Im Falle kriegerischer Auseinandersetzungen mußten sie nur "Krieg dem Kriege" rufen und alle an Carl von Clausewitz erinnernden Rechtfertigungen bewaffneter Konflikte als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln nur rügen als Konsequenzen eines noch immer nicht überwundenen Militarismus. Schon hatten sie der Wahrheit zum Sieg verholfen. Selbst die Befreiung Kuwaits mit ihrer Legende vom sauberen Krieg und den mehr schlecht als recht verdeckten wirtschaftlichen Interessen bot noch genügend moralische Rechtfertigung, um den Konflikt zu kritisieren. Die Nato-Luftangriffe auf Jugoslawien aber machen ratlos, erscheint doch jetzt der Krieg tatsächlich als ultima ratio und legitime Fortsetzung der Politik. Zwar ist es noch möglich, Bomben als hilflose Antwort einer verfehlten Politik zu begreifen, doch hilft dies nicht weiter, wenn die Intellektuellen sich als moralische Instanz auf den Prüfstand gestellt sehen. Mit György Konrad die Rückkehr zu politischen Verhandlungen zu fordern oder ein Ende des Bombardements bei gleichzeitiger Autonomie des Kosovo, wie es von 13 griechischen, rumänischen und ungarischen Künstlern unternommen wurde, scheint nur Verlegenheit. Was nutzen Appelle, die ungehört verhallen müssen, weil der serbische Aggressor sich seit je taub stellt, solange nur gemahnt wird? Die konsequenteste Reaktion ist, die eigene Ratlosigkeit zuzugeben - wie Christa Wolf, die "spürt, daß die Bomben den Menschen im Kosovo nicht wirklich helfen", aber auch "Abscheu gegen die serbische Soldateska" empfindet. Günter Grass, der den Zweiten Weltkrieg noch erlebt hat und vom Beginn der Luftangriffe zunächst "schockiert" war - ähnlich wie Christa Wolf, Martin Walser oder Stefan Heym -, geht einen Schritt weiter und meint, es sei wohl höchste Zeit gewesen einzugreifen, um Milosevic endlich zu stoppen. Moralisch unzweifelhaft erscheint allein, dem Schwächeren beizustehen, weswegen auch niemand versäumt, die serbischen Vertreibungen zu kritisieren. Nur einer hat den Aggressor mit dem Opfer verwechselt, Peter Handke, der, um sich mit dem serbischen Volk zu solidarisieren, nach Belgrad gereist ist und zudem den Büchner-Preis zurückgeben will. Schwer zu sagen, was ihn dazu bringt. Publicity allein für sein im Juni am Burgtheater aufzuführendes neues Stück wohl nicht. Er verkennt, daß die Angriffe sich nicht gegen das serbische Volk, sondern die serbischen Militäraktionen richten - vergißt, sich auch mit dem albanischen Volk im Kosovo zu solidarisieren. Immerhin belegt sein Fall, daß Intellektuellen noch öffentliche Aufmerksamkeit sicher ist - vorausgesetzt sie nehmen einen "unbequemen" Standpunkt ein, der zu emotionalisieren vermag. Mit moralischem Vordenken und Mahnen für Humanität hat dies freilich nichts mehr zu tun. Wenn man diesem treu bleiben will, bleibt wohl nur, mit Günter Grass das Eingreifen der Nato zu begrüßen - ein frühestmögliches Ende des Bombardements freilich eingeschlossen. Christa Wolf begründete ihre Ratlosigkeit auch damit, daß die Berichterstattung möglicherweise manipuliert sei, ein Verdacht, der zuletzt durch den Golfkrieg Nahrung bekam. Es ist wohl kein Zufall, daß sie solcherart auf eine Zeit anspielt, als es Intellektuelle noch leichter hatten.

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Irrungen eines Schriftstellers Der Autor Peter Handke und seine Liebe zu den Serben Von Rolf Schneider Der Schriftsteller Peter Handke leidet an einer unglücklichen Liebe zu Jugoslawien. Sie gilt nicht jenem Staat, der heute noch so heißt und der von dem finsteren Autokraten Slobodan Milosevic angeführt wird, sondern jener von Serben, Kroaten, Slowenen, Bosniern, Kossovaren und Montenegrinern bewohnten Föderation, die der Marschall Tito geschaffen und zu einem respektierten Mitglied der Völkergemeinschaft gemacht hat. Nach Titos Tod geriet das mühsam austarierte Verhältnis der verschiedenen Nationalitäten in heillose Verwirrung. Die Slowenen scherten als erstes aus und wurden ein eigener Staat, und spätestens mit der Sezession Kroations, das als erster der damalige Außenminister Genscher diplomatisch anerkannte, war Titos Konstruktion zerbrochen. Seit Jahren herrscht Bürgerkrieg, zunächst in Dalmatien, dann in Bosnien und jetzt im Kosovo; der nächste Konflikt in Montenegro deutet sich an. Peter Handke, dessen Mutter aus Slowenien stammt, hat als einer der ersten im deutschsprachigen Raum diese Tragödie perhorresziert. Er hat, vielleicht aus Trotz, vielleicht aus verletzter Liebe, der zahlenmäßig größten südslawischen Völkerschaft, den Serben, seine ungebrochene Sympathie bekundet. Dazu muß man wissen, daß es in Österreich, Handkes Heimat, eine uralte Aversion gegen diese Nationalität gibt. Mit dem albernen Ruf «Serbien muß sterbien» zogen 1914 die k.u.k.-Soldaten in den Ersten Weltkrieg, und da Serbien dann doch nicht starb, Österreich hingegen zu den Kriegsverlierern gehörte, ist jene Verwünschung bis heute unvergessen. Peter Handkes auf dem Höhepunkt des Bosnienkonfliktes publizierter Bericht über seine serbische Reise verstörte seine zahlreichen Anhänger durch ihre apologetischen Schilderungen und ihre mystischen Unterschleife. Ganz offensichtlich beschrieb er, was er sah, und er sah, was er sehen wollte; man kann ihm dies als Einäugigkeit ankreiden, aber die serbenfeindliche Häme, die sich seither über ihn ergießt, in Deutschland, in Österreich und in Frankreich, wo er derzeit lebt, hat etwas Obszönes. Als die Verhandlungen von Rambouillet zu scheitern drohten, gab er ein verunglücktes Interview, in dem er haarsträubende Vergleiche zwischen Serben und Juden zog, was er inzwischen korrigiert hat. Außerdem ließ er wissen, im Falle eines Nato-Bombardements, wie es sich damals schon abzeichnete, werde sein Platz in Belgrad sein. Als die ersten Nato-Bomben fielen, begann in deutschen Feuilletons ein höhnisches Nachfragen, wo Handke denn bleibe, und nun er tatsächlich nach Belgrad gegangen ist, wurden Rufe laut nach einem Käfig für ihn. Die intendierte Parallele ist jene zu dem amerikanischen Lyriker Ezra Pound, den man, seiner offenen Sympathien für Mussolini wegen, nach dem letzten Krieg in einen Käfig getan und auf einem italienischen Marktplatz ausgestellt hat. Was sagen will: Handke ist ein meschuggener Faschist. Nun trat er auch noch aus der katholischen Kirche aus, im Protest gegen die Stellungnahme des Papstes zum Kosovo-Konflikt; zuvor ließ er wissen, er wäre jetzt am liebsten ein orthodoxer serbischer Mönch. Er will seinen Büchner-Preis zurückgeben samt den zehntausend Mark, die er 1973 dafür erhielt, und wogegen er damit protestiert, ist nicht ersichtlich, vielleicht gegen das affirmative Schweigen der Darmstädter Akademie. Deren Präsident fragte spöttisch nach, wie denn die Zahlungsweise erfolge und ob die inzwischen angelaufenen Zinsen dabei seien. Handke bedürfe der Verstörung um seiner poetischen Produktion willen, kommentierte ein Journalist. Es ist von allen Kommentierungen die höflichste. «Gelegentlich hat man den Eindruck, Handke solle für die Tragödie verantwortlich gemacht werden, die wir täglich miterleben müssen», sagt der Münchner Schriftsteller und Verleger Michael Krüger, «die Mischung aus Haß und Hohn, die sich heute breit macht, wenn sein Name fällt, ist mir unerträglich.» Der Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg sagt: «Wer, was nichts kostet, den Unsinn von Handkes Aktionen feststellt, wird höflich gebeten zu sagen: a) worin er, ohne schamrot zu werden, heute noch den Sinn des Nato-Bombardements zu erkennen vermag, und b) wieviel Mühe er sich gemacht hat, Handkes Gedanken zum Bestand des früheren Jugoslawien gewissenhaft nachzudenken.» Der Autor dieser Zeilen ist mit Muschg völlig einverstanden. Er sieht, daß nach drei Wochen Raketenbeschuß, der Milliarden kostete, die in der Flüchtlingshilfe besser angelegt gewesen wären, keines der verkündeten Kriegsziele näher gerückt ist. Er hält es mit dem serbischen Oppositionspolitiker Zoran Djindjic, der sagte: «Die Menschen hier sehen die Intervention nicht gegen den Präsidenten, sondern gegen ihr Land gerichtet Am Ende dieser Konfrontation bleiben uns hier nur die Ruinen, auch die emotionalen und mentalen Die internationale Gemeinschaft hat nur Prioritäten von Tag zu Tag und offenbar keine längerfristigen Pläne. Doch so wurde noch kein Regime gestürzt. So werden nur die letzten Spuren einer europäischen Gesellschaft zerstört.» Lesen Sie auch: Serben machen Jagd auf Frauen, vergewaltigen und töten sie Das Foto der Tochter wies den Weg - Wie kluge Frauen für das glückliche Ende einer Flucht sorgten den Leitartikel von Peter Philipps Hilferuf eines Kranken - Warum Jelzin vor einem Weltkrieg warnt Deutsche Firmen ziehen sich vom Balkan zurück - Experten warnen vor wirtschaftlichen Folgen des Kosovo-Krieges - Vor allem Mittelständler betroffen Das Foto der Tochter wies den Weg - Wie kluge Frauen für das glückliche Ende einer Flucht sorgten Militärs: Bodenkrieg logistischer Alptraum - Einsatz-Szenarium für Nato-Truppen Serbische Terrortrupps sollen in Westeuropa Rache nehmen Der besondere Konflikt eines Medien-Paars Mit einer Suppenküche auf dem Weg nach Albanien Jeder Dritte würde Albaner aufnehmen Kriegsgegner blockieren Luftwaffenbasis Vertriebene brauchen Hilfe von Psychologen Serbische Politiker treffen erneut mit Rugova zusammen Stichwort: Orthodoxes Osterfest [Reise] [International] [Berlin Live] [elektrolounge] [Anzeigen] [Media-Daten] [Abo-Service] [Kontakt] [Home] © Berliner Morgenpost 1999
Ein Prophet namens Handke

Den Rand internationaler Konferenzen bevölkern sonst andere. In Rambouillet bei Paris, wo Diplomaten hart an einem Einsatzbefehl für die NATO im Kosovo vorbeischrammten, jedenfalls bis auf weiteres, war kürzlich ein gewisser Peter Handke anwesend, um in ein Mikrophon zu sprechen. Das Mikrophon war serbisch, das Interview lief auf Französisch. Gestern brachte bei uns das Erste Programm die Sache. Von Serbien ist es nicht weit nach Kärnten, wo Handke 1942 geboren wurde, als auf dem Balkan auch Krieg war, und sein Mitgefühl mit den Nachbarn ehrt ihn. Auch sind Verwirrungen über den Kosovo-Konflikt schier unvermeidlich. Aber diese Töne? Peter Handke war lange einer jener Dichter, die viele Wörter verschleißen, ohne so recht damit herausrücken, was sie eigentlich wollen - das Gute, Wahre und Schöne mal ausgenommen. Doch mit der wabernden Bedeutsamkeit war dann beim Autor eines Hörspiels «Geräusch über ein Geräusch» und eines Gedichtbandes mit dem Titel «Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt» vor gut drei Jahren Schluß. Handke gab Bericht über «Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina» und forderte «Gerechtigkeit für Serbien», was auf einen Freibrief für die Regierung in Belgrad und deren Militärs hinauslief. Natürlich gab es eine Menge Aufregung, und Handke verteidigte sich, indem er sich einen Gerechtigkeitsidioten nannte, der nicht locker lassen wollte, die Welt des Verbrechens an den Serben anzuklagen. Nüchtern betrachtet, trat er als Propagandist auf. Nun hat er sich selber überboten. «Es gab einmal eine gewisse Göttlichkeit in der Menschheit, aber mit dem Krieg gegen die Serben ist diese Göttlichkeit aus der Welt verschwunden.» So redet nach dem Dichter Handke und dem Propagandisten Handke der Prophet Handke. Wir dürfen gespannt sein, ob demnächst ein Soldat namens Handke zu Waffe greift.
Jost Nolte

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Armer Ritter
Auf den Spuren von Céline: Der Amoklauf des Peter Handke
VON HANS-CHRISTOPH BUCH
"Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert": Unter diesem Motto lud Alfred Biolek kürzlich Monica Lewinsky in seine Talkshow ein, wo Bill Clintons Ex-Geliebte sich in einer telegenen Mischung aus reuiger Sünderin und gefallenem Engel gut verkaufte, wie es im TV-Jargon heißt. Biolek hätte an Monicas Stelle auch Peter Handke einladen können, der derzeit der staunenden Öffentlichkeit demonstriert, wie ein weltweit anerkannter Dichter innerhalb kürzester Zeit sein Renommee verspielen kann. Handkes politischer Amoklauf, dessen vorläufiger Höhepunkt die Ankündigung ist, den Büchnerpreis (inklusive Preisgeld) zurückzugeben und mit lautem Getöse die katholische Kirche zu verlassen, dieser Amoklauf begann vor drei Jahren mit einer sogenannten Winterreise nicht zu den Opfern, sondern zu den Tätern des Krieges im früheren Jugoslawien, denen der Autor, vier Monate nach dem Massaker von Srebrenica, seine Sympathie bekundete, während er die zum Skelett abgemagerten Häftlinge des Todeslagers Omarska verhöhnte mit den Worten: "Wohl wirklich leidend, posieren sie". Ein seltsamer Satz, der das Einfühlungsvermögen des Dichters in schiefem Licht erscheinen läßt - ganz zu schweigen von seiner politischen Urteilskraft. Am Rande der Friedensverhandlungen von Rambouillet meldete sich Handke erneut zu Wort mit der ironisch gemeinten Mitteilung, fortan wolle er nur noch dem serbischen Staatsfernsehen Rede und Antwort stehen, und beschimpfte Schriftsteller aus Sarajewo als geistig verwirrte Alkoholiker. Nun hat Peter Handke sein Versprechen eingelöst und ist in die Hauptstadt seines selbstgewählten Vaterlands, nach Belgrad gereist, um die Invasion vom Mars, wie er die Luftangriffe der NATO nennt, an der Seite der Serben durchzustehen; zum Dank hat Milosevic ihn zum Ritter der serbischen Akademie ernannt. Die Selbstdemontage des prominenten Autors findet ohne Netz unter Beifall und Buhrufen statt; Handkes Harakiri ist ein gefundenes Fressen fürs Feuilleton wie die "Publikumsbeschimpfung", mit der der damals noch schüchtern wirkende Dichter vor 33 Jahren die Bühne des Literaturbetriebs betrat. Seitdem hat der vom Erfolg verwöhnte Autor, anders als sein Kollege Günter Grass, immer nur Bestätigung erfahren, was das Denkvermögen des klügsten Kopfes trüben kann. Trotzdem glaube ich nicht, daß Handke Opfer seines Erfolgs geworden ist: Die Sache ist verwickelter und nur richtig zu verstehen, wenn man bedeutende Schriftsteller wie Ezra Pound oder Louis-Ferdinand Céline als Präzedenzfälle heranzieht. Beide haben die Früchte ihres literarischen Ruhms verspielt, indem sie für international verfemte, totalitäre Regimes optierten: Pound für Mussolini und Céline für Hitler, nachdem er sich mit dem Buch "Bagatellen für ein Massaker" zum Entsetzen seiner meist linken Leser als Antisemit geoutet hatte. Bei beiden - und das gilt auch für Peter Handke - ist das politische nicht vom ästhetischen Engagement zu trennen, d. h. von literarischen Positionen, die sie unter dem Beifall der Kritik schon früher vertreten hatten. Damit meine ich weniger die Absage an die bürgerliche Gesellschaft, die bei der Geburt der modernen Literatur Pate stand, wobei Dichter gerne als Bürgerschreck posierten. Ich meine die Abscheu vor seinen intellektuellen Zunftgenossen, den Ekel vor zeitgeistigem Geschwätz, der das Werk von Ezra Pound un Céline ebenso wie das von Peter Handke durchzieht: Eine gesunde Abwehrreaktion, die der literarischen Selbstfindung dienen, aber auch zur Egomanie hypertrophieren kann. Viele Schriftsteller sind eitle Egozentriker; wer sich und seine echten und eingebildeten Leiden nicht allzu ernst nimmt, bringt keine Zeile zu Papier. Was ihren Berufsstand gefährlich macht, ist, daß gewisse Literaten bereit sind, für eine witzige Formulierung oder gelungene Pointe die eigene Großmutter zu verkaufen - wenn es sein muß, den Rechtsstaat und die Menschenrechte gleich mit dazu. Blutrünstige Diktaturen haben die Dichter seit jeher mehr fasziniert als der Alltag einer parlamentarischen Demokratie, und der Krieg ist ein ergiebigeres Thema für Künstler als jeder mühsam ausgehandelte Kompromiß. Literatur ist ein riskantes Spiel, und so kommt es, daß hochbegabte Autoren aus ästhetischem Überdruß, aus Langeweile oder Trotz politisch Partei ergreifen für etwas, das sie eigentlich verabscheuen müßten. In seinem Buch "Bagatellen für ein Massaker" schreibt Céline, daß er den Antisemitismus zuerst spielerisch wie eine neue Frisur ausprobiert hat; der hysterische Aufschrei seiner intellektuellen Freunde bestärkte und bestätigte ihn, und unversehens wurde aus dem Spiel Ernst. Ähnlich scheint es Handke gegangen zu sein, desen scherzhaft gemeinte Ankündigung, in Zukunft gebe er nur noch dem serbischen Fernsehen Interviews, als sich selbst erfüllende Prophezeiung über Nacht Wahrheit geworden ist. Siegfried Unseld, Chef des Suhrkamp Verlags, hat sich demonstrativ hinter seinen Autor gestellt, anstatt Handke vor sich selbst in Schutz zu nehmen, damit der seinen Ruf nicht vollends runiert. Der Philosoph Alain Finkielkraut hat Handke als "Ideologisches Monster" bezeichnet, und die New Yorker Essayistin Susan Sontag hat angekündigt, daß sie keine Bücher mehr von ihm lesen wolle. Ezra Pound wurde 1945 von der US-Army wegen Kollaboration mit dem Feind in Pisa in einen Käfig gesperrt, und Louis-Ferdinand Céline büßte für seinen politischen Irrtum mit jahrelanger Ächtung im unfreuwilligen Exil; sein Verleger wurde nach dem Krieg als Kollaborateur hingerichtet. Die Sache ist ernst, denn um den Kosovo ist mehr als ein Streit um Worte entbrannt: nicht bloß Meinungen - Menschenleben stehen auf dem Spiel.

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Nr. 16/1999
Kriegsschauplatz Handke
Von Michael Scharang
Neu an dem neuen Krieg in Europa ist die Unzahl der Zaungäste. Millionen vom Himmel gefallener Stabsoffiziere und aus dem Boden geschossener Militärexperten bevölkern das riesige Schattenkabinett des grausigsten aller Schattenreiche: des Weltstammtischs. An ihm haben vom friedliebenden Militaristen bis zum waffenklirrenden Pazifisten alle Platz genommen, denen kein Schrecken auch nur für eine Sekunde den Mund zu schließen vermag. Und da sitzen sie nun, irren mit jeder Prognose und blamieren sich mit jedem Ratschlag. Sie bramarbasieren von einem Krieg, von dem selbst diejenigen, die ihn führen, nur sagen können, daß sie ihn nicht führen wollen, aber führen müssen, und daß sie selbst gern wüßten, wie er zu führen wäre und wohin er führen könnte. Angesichts dieser Wirklichkeit, an die der Gedanke kaum heranreicht, können die Besserwisser vom Stammtisch sich nur lächerlich machen. Also wenden sie sich zur Erholung von dem undankbaren Kriegsschauplatz Jugoslawien ab und dem Kriegsschauplatz Handke zu. Um nicht wieder an der Wirklichkeit zu scheitern, sehen sie von ihr ab. Sie basteln sich eine. Das Ergebnis ist ein Handke, der nicht nur niedergemacht werden darf, der niedergemacht werden muß. Wer will schließlich noch mit einem Schriftsteller zu tun haben, der in einer Diskussion jemandem mit der Bemerkung über den Mund fährt: "Sie können sich Ihre Leichen in den Arsch stecken" (Spiegel Nr. 13/99)? Zum Glück war ich nicht dabei, als im Wiener Akademietheater die Möglichkeit, nach einer Lesung mit Handke zu diskutieren, von einem Kriegsreporter genutzt wurde, seine Betroffenheit penetrant nach außen zu kehren. Zum Glück hörte ich nicht, wie Handke, nachdem dieser Mann ihn endlos provoziert hatte, endlich sagte: "Gehen Sie nach Haus mit Ihrer Betroffenheit, stecken Sie sich die in den Arsch." Zum Glück habe ich die Pamphlete Günther Nennings gegen die Psychiatrie nicht gelesen, so daß ich, als ich seinen Artikel Handke zum Psychiater nicht in der Hand hatte, auch nicht wissen konnte, daß Nenning sich bei diesem Thema unweigerlich auf Handkes Seite schlagen mußte. Denn es darf keine Erinnerung an die Friedenszeit geben. Es herrscht Krieg gegen Handke, und im Krieg hat alles eine neue Bedeutung. Aus "Betroffenheit" wird "Leichen", aus einem freundlichen Artikel eine Einweisung in die Irrenanstalt. Nenning zufolge, so der Spiegel (Nr. 13/99), gehöre Handke psychiatriert. Die Person Handke wird im öffentlichen Interesse umgemodelt in einen Kriegsschauplatz, wo jeder Fehltritt tödlich ist. Wenn Handke sich in einem Interview verspricht, geht ein ganzes Minenfeld in die Luft, so daß die Richtigstellung nur die verwunderte Reaktion auslöst, was denn einer, den man bereits in der Luft zerrissen habe, noch richtigstellen wolle. Schaut Handke um sich, sieht er eine Person, die aus Handke-Bestandteilen zusammengesetzt ist, von denen die meisten gefälscht sind. Vermutlich wird er bereits das Empfinden gehabt haben, er könnte angesichts dessen den Verstand verlieren. In dem Augenblick aber wird er den Zuruf der Meute vernommen haben: Jetzt hat er den Verstand verloren. Und das wird ihn vor dem Schlimmsten bewahrt haben. Nein, das Schlimmste kommt noch. Handke hält die Nato für verbrecherisch. Tangiert das die Nato? Ich halte Milocevic für verbrecherisch. Tangiert das Milocevic? - Und die Sache mit Büchner-Preis und Kirche? Als jemand, der in Wien lebt, wußte ich schon vor Handkes Brief an ein Wiener Magazin, daß dessen Preisrückgabe und Kirchenaustritt inkludiert. Das ist ein Fortschritt. Als ich - um vierzig Jahre zu früh - aus der Kirche austrat, mußte ich dazu ein Amt aufsuchen. Vor Jahren, als kampagneartig versucht wurde, Elfriede Jelinek niederzumachen, erzählte ich ihr, um sie zu trösten, eine Geschichte über Flaubert. Heute erzähle ich sie Handke. Nach dem Erscheinen der Education sentimentale erschien im Figaro eine Rezension, die fast nur aus Schimpfwörtern bestand, welche auf den Autor gemünzt waren. Eine Woche später warnte der Rezensent die Leser davor, in jenem Fluß zu baden, in dem Flaubert zu schwimmen pflegte; gewiß sei das Wasser verpestet. Immer ist, wenn der Autor geprügelt wird, das Werk gemeint, auch im Fall Handke. Und das mit Recht. In der Sprachkunst geht es schließlich um etwas. Man muß mit der Sprache als Sauerstoffflasche in die Wirklichkeit hinuntertauchen; geht der Sauerstoff aus, ertrinkt man; im Glücksfall aber kommt man mit der Sprachgestalt der Wirklichkeit zurück. Am Weltstammtisch geht es um nichts mehr. Zwar steht "Zukunftsbewältigung" auf dem Programm; da die Zukunft sich aber aus Angst vor ihren Bewältigern auf und davon gemacht hat, wissen diese nicht, wohin mit all dem guten Kriegs- und Friedens-Rat. Deshalb spucken sie ihn als Gift und Galle aus.

Michael Scharang, Jahrgang 1941, lebt als Autor, Romanschriftsteller und Publizist in Wien. Schon 1972 hat er, in der edition suhrkamp, einen Band "Über Peter Handke" herausgegeben. Zuletzt erschien sein Roman "Das Jüngste Gericht des Michelangelo Spatz" (bei Rowohlt 1998)
© beim Autor/DIE ZEIT 1999 Nr. 16
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Irrfahrt im Einbaum

Peter Handkes neues Stück ist erschienen: Trägt der Westen die Schuld am Balkankrieg?
Von Thomas Assheuer

Peter Handke, der Dichter des Friedens, ist ein unpolitischer Mensch. Er sagt nicht, die Welt sei ungerecht; er sagt lieber, sie sei häßlich. Er spricht nicht von der Gesellschaft, sondern vom Volk. Politik ist für ihn gerecht, wenn sie schön ist. So schön wie ein Gedicht oder ein Ahornblatt im Abendwind.

Bekanntlich kann Handke Journalisten nicht ausstehen. Mit ihrem "Alster- und Manhattanblick", sagt er, machen sie die Welt häßlich. Unter dem Bombardement ihrer Informationen verschwinden die Landschaft der Gesellschaft und die Einheit der Natur. "Seit die Nachrichten die Steine der Berge ersetzt haben, den Sand  der Wüste, das Gras, das bei der Vorbeifahrt des Zuges zittert ..." Seitdem ist der "Richtungssinn" verloren. Und seitdem boykottiert der Poet des Friedens den Krieg der Medien.

Nur einmal hat Handke ausgewählten Journalisten sein Wort gegeben und ihnen erklärt, er sei ein Freund des serbischen Volkes und seiner rechtmäßigen Regierung.

Kein Wort zum Vertreibungsterror, zum Elend im Kosovo. Vielleicht mußte Handke dazu nichts sagen, denn er liebt ja nur das "Volk" und nicht die serbische Gesellschaft.

"Mutmaßlich". Das war auch sein Lieblingswort, als er über Srebrenica schrieb. Mutmaßlich. Und die Heckenschützen von Sarajevo, die serbischen Killer? Freiheitskämpfer, sagt Handke in seiner untrüglichen Sensibilität für bunte Steine und blaue Falter. Freiheitskämpfer, wie die Indianer. Als dann die Nato auf den Terror mit Bomben antwortete, gab der Friedensdichter den Büchnerpreis zurück. Eigenhändig entfernte er sich aus der Namensnähe des gerechten Büchner. Welch eine Einsicht. Wer den Beschönigungsschweiger Handke beim Wort nahm, mußte erstarren über den Verrat des Dichters an seinem Werk. Hatte sein Werk, Satz für Satz, nicht etwas ganz anderes gewollt - den Frieden der Sprache? Daß sich die Welt nur ändert, wenn die Sprache ihre Gewalt verliert? Achtsamkeit und Kontemplation - das war Handkes Botschaft an die Welt, notiert im Einbaum, draußen in seiner französischen Niemandsbucht. Und dann Handkes Anbiederung an Milocevic, seine moralische Selbstentleibung. Freunde machten Anstalten, ihn zu verteidigen, doch von ihren Peinlichkeiten wird sich Handke so bald nicht mehr erholen. Claus Peymann prostete ihm in einem proserbischen Politpornoheft ein "venceremos" zu, als habe er seinen Verstand beim Bierbichler im Starnberger See versenkt.

Siegen? Mit Milocevic? Hat die westliche Zivilisation ihren inneren Krieg exportiert? Vielleicht gibt es Hoffnung. Vielleicht stellt sich das Werk noch einmal schützend vor den Verrat des Autors. Die Fahrt im Einbaum oder Das Stück zum Film vom Krieg heißt Handkes neues, bis zuletzt aktualisiertes Theaterstück, das in diesen Tagen im Suhrkamp Verlag erscheint (130 Seiten, 29,80 DM) und im Juni von Peymann im Wiener Burgtheater uraufgeführt wird. Das Stück handelt von einem unbekannten Autor, der ein Drehbuch über den Jugoslawienkrieg geschrieben hat. Aus dem Film wird nichts, und übrig bleibt ein Theaterstück, in dem ein Don Quijote, der Handke heißen könnte, einen wütenden Kampf führt gegen den weltweiten Westen, gegen Amerika und Europa, Deutschland und die Nato, Uno und IFor, gegen Menschenrechtsorganisationen und "Humanitätshyänen".

Natürlich geht es gut aus. Nach einem langen Partisanenkampf siegt eine zarte Wahrheit. Es ist Handkes Wahrheit. Aber wer wird dann noch mit ihr zu Tische sitzen?

Acapulco heißt das Provinzhotel, in dem das Stück spielt. Obwohl es in einem "Schluchtkessel" des innersten Balkans liegt, hat der Westen ihm längst seinen Stempel aufgedrückt; im Foyer hängt eine "Plastikplane" mit den Kürzeln von "U.N., E.F.T.A., U.E.F.A.". Zehn Jahre nach dem "letzten Krieg" sind zwei Regisseure, ein Spanier und ein Amerikaner, eingefallen, um einen "internationalen" Film zu drehen. Die Handlanger des "europäisch-amerikanischen" Großbildkapitals wälzen ihre Vorurteile wie Kaugummi: Die Serben sind schuldig, sie stehen am "Pranger" des Weltgerichts. "Wir beide bestimmen die Geschichte. So haben unsere Produktionsgemeinschaften es sich zumindest vorgestellt."

Jeder könne frei reden. Zu beachten seien nur "gewisse Richtlinien, gezogen durch das Weltkomitee für Ethik". Auf der Bühne des Theaters beginnt das Vorspiel des Films, die Rollenparade der Schauspieler. Im kalten Licht der westlichen Kameras kommen internationale Beobachter und westliche Experten zu Wort, dazwischen tummeln sich Falschmünzer und Waldläufer, ferner ein Grieche und ein Irrer, der mutmaßlich die Wahrheit sagt, und ein vernünftiger Historiker, der tatsächlich irre wird. Im traurigen Luxus des Acapulco inszeniert Handke ein Spiel im Spiel, das Kino im Theater, mit Streit und Widerstreit, Rede und Gegenrede. Es wird gelogen, bis sich die Balken  biegen, und die Wahrheit bleibt stumm wie ein Grab. Erst am Schluß zerreißt das Spinnennetz der aufrichtigen Lügen, das Gespinst der faktischen Fiktionen; plötzlich fallen die Masken, und das Defilee der Filmschauspieler verwandelt sich in ein Märchen von Peter Handke. Hinter dem Schleier der Worte bricht eine unerhörte Wahrheit hervor, bei der sogar die Medienmenschen den Schrecken des erzählten Krieges verspüren und zurückfinden in ihre Herkunft aus dem tiefen, tiefen "Wald". Die Kinocrew nimmt Platz im Einbaum und rudert durch die Landschaft, mit reinem Herzen, reinem Sinn und reiner Trauer. Der Krieg war die Stunde, in der sie nichts mehr voneinander wußten; Urlaute werden orphisch, und nach all der namenlosen Gewalt wird die Welt neu getauft. Es herrscht Frieden. Handkes Frieden.

Aber geht es nur um ein Friedensmärchen? Oder doch um eine Deutung des Krieges, die einem die Haare zu Berge stehen läßt? Denn das Neonlicht des Kinos ist nicht der Schein des Theaters. Erst auf der Theaterbühne fällt es den Filmregisseuren wie Schuppen von den Augen, daß der Westen in den Schluchten des Balkans nicht einen Krieg gegen die Barbarei geführt hat, sondern gegen sich selbst, gegen seine eigene Zwietracht und seinen tödlichen Fortschritt, gegen die Gewalt im Herzen seiner Zivilisation. Der Westen haßt sich selbst; die Nato nimmt Serbien ins Visier, doch in Wirklichkeit zielt sie auf ihren eigenen Augiasstall. Im Balkan bricht die moderne Wunde auf, und so ist das "europäisch-amerikanische" Kartell genau jene Krankheit, die es zu heilen vorgibt. Wie im Film von Emir Kusturica bombt vor allem Deutschland seine Zerrissenheit in den Staub, damit es - Handkes Phantasie aus der Niemandsbucht - seinen inneren Bruderkrieg nicht austragen muß. "An unserer Zerfallenheit", ruft Handkes "Waldläufer", "könnt ihr die eure sehen. Herrliches Dröhnen der Bomber -."

Handke treibt die Schuldumkehr noch weiter. Man kann, sagt er, den Balkankrieg nur verstehen, wenn man seine Vorgeschichte zur Kenntnis nimmt - jenen "Vorkrieg" der "transkontinentalen City-Civilisation", die sich den Balkan untertan machte. Wie Pestschwaden wälzte sich das Medienkauderwelsch von "Mr. und Mrs. International" über das unschuldige Land. Und es war diese Medieninvasion des falschen, westlichen Lebens, die das Leben unwirklich machte. "Meine Frau", sagt der "Irre" zu den "Internationalen", "hat euch während ihrer Schwangerschaft täglich im Fernsehen erlebt und ein Kind mit neun Zungen geboren, kein einziges Auge und kein einziges Ohr, anstelle der Beine internationale Sportradreifen."

Nur sie, nur die korrupten Götter des Westens zerstörten den Naturfrieden der Völker; sie waren es, die die Menschen "maskierten", und erst unter diesen Masken, diesen Fratzen der Moderne hat Jugoslawien Hand an sich gelegt. Das Morden, so suggeriert das Stück, setzte erst ein, nachdem die telematische Feuerwalze die Eigenzeit des Balkans und die Harmonie seines Daseins unkenntlich gemacht hatte. "Wie der Haß in uns steckt ... Und da der Haß gegen Bekannt keinen Auslauf hat, muß er sich gegen Unbekannt richten. Und mehr und mehr ist heute unbekannt und unkenntlich gemacht gerade durch die tagtäglichen Informationen. Und so knirscht es in uns von Haß gegen Unbekannt."

Erst Maske, dann Massaker. Erst geschah das "Ungleichzeitigwerden des einen Nachbarn mit dem andern", dann geschah der Mord. Erst hat der Westen die "profane Zeit in unserem Dorf furchtbar" auseinanderfallen lassen, dann haben die Menschen die Unwirklichkeit in einem Blutbad ertränkt. Die "Fremden aus aller Herren Ländern haben mir nichts, dir nichts die Freunde und Nachbarn von früher ersetzt ... Ich habe das Gesicht des andern verloren. Es hatte keine Form mehr, schon lange bevor ich es zu Brei trat -."

Gewiß, die Bekenntnisse der Figuren sind nicht die Herzensergießungen ihres Autors, und viele Sätze werden m Spiegelspiel des Stückes widerrufen oder durch Gesten dementiert. Und doch möchte Handkes Stück dem Publikum weismachen, die "europäische-amerikanische" Zivilisation habe die Saat der eigenen Schuld in die verwundbare Kultur des Balkans gepflanzt. Schlimmer noch: Sie habe die daraus entstandene Gewalt medial verbreitet, um sie als Rechtsverletzung vor dem Internationalen Strafgerichtshof anzuklagen - zum leuchtenden Beweis seiner überlegenen Moral. Oder war selbst das Grauen noch eine Inszenierung? Jedenfalls läßt Handke seinen "Waldläufer" - als Spiel im Spiel - murmeln: "Ein paarmal bin ich im internationalen Fernsehen aufgetreten, so mit der Flasche in der Hand, als der dritte Böse in der zweiten Reihe von links. Aber hauptsächlich habe ich gezittert. Und nach dem Krieg war ich fünf Jahre in einem Gefängnis in Deutschland, verurteilt von einem deutschländischen Richter, wegen Hilfe beim Volksmord." Das deutsche Gefängnis liegt, wie vermerkt wird, neben einem "Krematorium".

Natürlich könnte man sagen, daß die Logik des Märchens Handke keine andere Wahl läßt. Er muß, um dem ästhetischen Gesetz Genüge zu leisten, den Teufelskreis von Tat und Vergeltung aufbrechen, er muß die Schuld tilgen und den Geist der Rache austreiben, damit endlich Frieden sein kann. "Rache oder Gerechtigkeit" hieß der Refrain aus seinem Königsdrama Zurüstungen für die Unsterblichkeit, der auch über diesem Stück schwebt. Aber "Gerechtigkeit" heißt, daß Handke alle und keinen schuldig spricht. Mit einer Mixtur aus postmoderner Antimoral und reaktionärem Mystizismus spricht er sein Ego te absolvo, und im alles verzeihenden Licht der großen Absolution werden Täter zu "Dabeistehenden" und tragisch Verstrickten. Aus Unrecht wird Unglück, aus Verantwortung Widerfahrnis, und die Schuld einer moralischen und unvertretbaren Person entpuppt sich als die Hybris des allgemeinen Menschen. "Ich habe mich seit jeher schuldig gefühlt, schuldig von vornherein", sagt der "Waldläufer". "Im ausländischen Gefängnis habe ich viel gelesen und las bei einem Dichter, die Idee der Schuld habe sich in die Menschen gestohlen wie eine Krankheit, als die andere Seite des Größenwahns, und sie schließe jede Möglichkeit aus zu einem dauerhaften Frieden."

Nun ergibt sich alles wie von selbst. Nato-Moral - das ist Willen zur Macht, das gemischte Doppel aus Mutter Teresa und Weltjustiz, eskortiert von den "Kadaverschweinen" der Presse. "Und ich scheiße auf eure ,Menschenrechtsbeobachter', eure ,Humanschutztruppen'", sagt eine Figur, die die Sympathien des Autors auf ihrer Seite weiß.

Den Westen bekehren? Dafür ist es zu spät. Im fahlen Licht von Handkes Nebelkerzen erscheinen Amerika und Europa selbst als Vollstrecker eines Geschehens, das sie nicht mehr steuern, nur noch erdulden können. Die Geschichte ist zurückgekehrt als Ausdruck einer planetarischen Verfallsbewegung, die wie Magma aus den Tiefen der Erde hervorbricht. Flüchtlingsströme sind dann nicht Zeichen eines Verbrechens, sondern Beweis für den Irrlauf des Schicksals und die Wiederkehr des ursprünglichen Menschen. Die "Drachensaat der Geschichte ist aufgegangen und besetzt, ineinander verbissen, lückenlos die Erde. Es ist die Zeit nach den letzten Tagen der Menschheit, unabsehbare Zeit." Das ist Handkes neue Poetik der Endzeit, und wie am Schnürband sind die antimodernistischen Motive aufgereiht, die sich zum Teil auch bei jenen konservativen Handke-Hassern finden, die schon vor Jahren die Jagdsaison eröffnet hatten. Nein, nichts fehlt in diesem Stück; nicht der romantische Affekt gegen eine rechtsförmige Welt, nicht die Abscheu gegenüber dem "Humanitären" und das Lob des wesenhaften Menschen. In blindem Zorn flüchtet Handke aus dem Paradies der Barbaren; im Nachtsprung will er zurück hinter die Ver-Stellungen der Medien und zur Gerechtigkeit ohne Recht - zurück zum Authentischen. Deshalb kommandiert er die "Common-sense-Puppen" mit den "Mausklickaugen" an die archaische Quelle der Zivilisation, weil am "Ursprung" immer schon das Gute und das Gerechte wohnt.

Mit diesem gefährlichen Unfug beginnt Handkes kurzer Weg zum langen Abschied von der westlichen "Zwangsveranstaltung". Und vermutlich beginnt damit auch der Irrgang zu Milocevic, die Dienstbarkeit des Friedfertigen gegenüber einem Kriegstreiber. Nur warum? Warum politisiert Handke seine künstlerische Weltanschauung? Warum verwechselt er den Traum seiner Poesie mit einer gerechten Welt? Vielleicht ist es ganz einfach. Handkes Dichtung, die soviel weiß von der modernen Erschöpfung, kennt nur Krieg oder Frieden, das Reine oder das Unreine, den Haß oder die Liebe. In der Literatur besitzt dieser Traum sein natürliches Recht, aber wohl nur dort. Sobald man die Utopie der Reinheit in den Halbschatten der Realität übersetzt, gedeihen gespenstische Sympathien für jene, die angeblich der unreinen amerikanischen Moderne widerstehen. Deshalb ist Serbien für Handke das sagenhafte neunte Land, ein letzter Aufhalter, der den Bomben der Zivilisation trotzt und daran wächst.

"Herrliches Dröhnen der Bomber -." "Am Fluß stehen: das ist Frieden. An den Flüssen stehen: das wird Frieden sein", sagt die Fellfrau, und der Flügelschlag eines Schmetterlings versöhnt mit dem Naturschauspiel des Krieges. Das klingt wie ein Satz von Handke, der den Wiederholungszwang der Geschichte brechen will, das Gesetz der Rache, des Zahn um Zahn.

Deshalb der Blick in die Natur, wo sich die zerrissene Gesellschaft als versöhnt erfährt. Doch unter diesem mythologischen Schleier gibt es keine Täter, sondern nur noch Opfer. Und in der Ferne der "Aufprall eines Sarges".

Wer über den Krieg ein Märchen schreibt, betreibt eine Strategie des Vergessens.

© beim Autor/DIE ZEIT 1999 Nr. 18

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Konrad will Diplomatie und Herr Handke

schmeißt hin

Der ungarische Schriftsteller György Konrad fordert ein Ende

der gewalttätigen Eskalation. Und: Peter Handke gibt den

Büchner-Preis zurück und tritt aus der Kirche aus.

Der österreichische Schriftsteller Peter Handke gibt aus Protestgegen die Nato-Luftangriffe auf Jugoslawien den Büchner-Preis von 1973 zurück und tritt aus der katholischen Kirche aus. Um „seine Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren“, werde er die 10 000 Mark Preisgeld von damals an die Deutsche Akademie zurückgeben, schreibt Handke in einem Brief, den das österreichische Magazin News in seiner neuesten Ausgabe veröffentlicht. Die Rückgabe des Preises sei ebenso „symbolisch“ wie das „Zuschlagen der Nato im Herzen Belgrads“.

Die Akademie reagierte am Mittwoch abwartend auf die angekündigte Rückgabe des Preises. Generalsekretär Gerhard Dette sagte: "Wir wissen ja noch nicht, ob es stimmt. Wenn es so wäre, müßte sich Herr Handke schon bei uns melden. Ich weiß auch gar nicht, wie so eine Preisrückgabe technisch vor sich gehen soll." Nach Angaben Dettes ist so etwas noch nie vorgekommen. Die Akademie vergibt alljährlich die mit mittlerweile 60 000 Mark dotierte, bedeutendeLiteratur-Auszeichnung.

In dem Brief kritisiert Handke auch die Haltung der römisch-katholischen Kirche. Der Papst habe sich nicht entschieden genug gegen die Nato-Angriffe auf Jugoslawien gewandt und in seiner Osterbotschaft zwar den "Bruderkrieg", aber nicht den "Allrohrüberfall der Nato gegen ein kleines Land" verurteilt, zitiert News den proserbischen Autor. Als "getaufter und nach Möglichkeit praktizierender Katholik" erkläre er seinen Austritt aus der "momentanen" katholischen Kirche, schreibt der 56jährigeSchriftsteller. Handke war nach dem Beginn der Nato-Bombenangriffedemonstrativ nach Belgrad gereist. Dort wurde er mit der Auszeichnung "serbischer Ritter" ausgezeichnet. Ob Handke sich nochin Belgrad aufhält, war am Mittwoch nicht bekannt.

Unterdessen forderte der ungarische Schriftsteller György Konrad im Kosovo-Konflikt eine Rückkehr zu politischen Verhandlungen . Der Krieg kenne nur das Gesetz der Eskalation, schreibt Konrad, der auch Präsident der Berliner Akademie der Künste ist. Der Einsatz militärischer Mittel allein werde das Töten in Jugoslawien nicht beenden können. Es sei nun zu einem Krieg gekommen, dessen Ziel, die Gewalt und das Töten zu beenden, sich ins Gegenteil verkehrt   habe. Gewalt und Töten potenzierten sich noch, der Krieg gehe in Richtung Eskalation, die humanitäre Rhetorik lasse die Kampfflugzeuge noch öfter zum Einsatz kommen. Mit militärischen Drohungen lasse sich aber keine Demokratie schaffen. "Die betroffenen Nationen müssen dazu gebracht werden, wechselseitig an einer Regelung interessiert zu sein."

In dem Brief kritisiert Handke auch die Haltung der römisch-katholischen Kirche. Der Papst habe sich nicht entschieden genug gegen die Nato-Angriffe auf Jugoslawien gewandt und in seiner Osterbotschaft zwar den „Bruderkrieg“, aber nicht den„Allrohrüberfall der Nato gegen ein kleines Land“ verurteilt. Als „getaufter und nach Möglichkeit praktizierender Katholik“ erkläre er seinen Austritt aus der „momentanen“ katholischen Kirche.

© SpiegelOnline

DER SPIEGEL  #  19  / 2000  hat weiterhin schwer Schwierigkeiten mit Handkes Medienekel und beantwortet dessen Medienbeschimpfung , wenn es eine ist, mit einer "Dichter"beschimpfung - ein Dödelstück, natürlich darf auch das unvergessliche "Andersgelbe" nicht fehlen

Bänkelsänger des Balkan

Auf Peter Handke ist Verlass: Auch in seinem neuesten Werk rühmt er das heilige Serbenvolk und schmäht die ,,Giftschlammschmeißer" der Westmedien.

Es ist eine Pilgerreise ins geschundene Land, auf das Bomben der alliierten Luftstreitkräfte fallen. Ein paar Tage schon ist er unterwegs. Entrückt und voller Weh schaut er auf die ,,weitgestreckten Felder", an deren Rand ,,die märchenkräftig verschachtelten, obstbaum- und gartenumsäumten pannonischen Einzelgehöfte" liegen, da erblickt der Dichter, konjunktivisch verzaubert und wie vom Geistesblitz getroffen, sein Allerheiligstes: ,,Dieses ganze Land da, vor, hinter uns und um uns herum, sei, zwischen zwei Sirenentönen, hingestreckt unter dem unverändert blauenden, unverändert leerbleibenden Himmel, hingestreckt zum Gebet ... zu einem einzigen stummen, umso mehr aber verkörperten Gebet geworden."

Nein, nicht von Deutschland im Frühjahr 1945 ist hier die Rede, kein brauner Poet hat hier versucht, Politik in Natur, Täterschaft in Landschaft umzulügen — es ist Peter Handke, der in der Nähe von Paris lebende österreichische Schriftsteller, der Serbien und seine heilige Erde besingt wie ein völkischer Bänkelsänger.

,,Unter Tränen fragend" — schon der Titel seines neuesten Werks annonciert eine melodramatische Soap‘ einen bigotten ,,Schleier schamloser Anmaßung", wie die ,,Süddeutsche Zeitung" formulierte*.

Die ,,Nachträglichen Aufzeichnungen von zwei Jugoslawien-Durchquerungen im Krieg, März und April 1999" gehorchen nicht zuletzt dem Gesetz der Serie: ,,Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien", der Kommentar zum Bosnienkrieg, erschien 1996—samt einem ,,Sommerlichen Nachtrag zu einer winterlichen Reise".

Der bosnische Schriftsteller Dzevad Karahasan nannte Handkes Text damals ,,einen der schändlichsten Beiträge von ethischem Nihilismus in unserer Zeit".

Das aktuelle Buch markiert einen neuerlichen Tiefpunkt im Schaffen des Autors.

Kein Zweifel: Der Mann weiß schon alles. Keine Fragen mehr. Seine Fragen sind Pseudofragen, rhetorische Fragen, besser: verbogene Ausrufezeichen. ,,Transsubstantiation des Balkans in Poesie" nannte dies Iris Radisch in der ,,Zeit" — ,,Jugoslavija" als Ur- und Traumbild der Menschheit, ein Gral, der von den bösen Kräften der Dekadenz ,,bedroht, umzingelt, eingekesselt", schließlich vernichtet werden soll.

Die Poesie aber geriert sich als politischer Akt, als Ersatzhandlung. So wird aus Handkes Prosa Agitprop — erztrüb reine Propaganda. Versteht sich: Der Name MiIosevic fällt im Ernst kein einziges Mal. Kein Wort auch über die vier von Mio~evk angezettelten Kriege (für das Massaker von Srebrenica, bei dem mindestens 7000 bosnische Muslime starben, hat Handke nur billigen Zynismus übrig), und über den Krieg im Kosovo, der doch Anlass der Reisen war, erfährt man nur so viel: dass es da einen ,,Massenandrang der Kosovobewohner ... an die Grenzen" gebe, eine Art Menschenauflauf wie beim Sommerschlussverkauf.

Offenkundig grundlos und wie aus heiterem Himmel, als käme sie tatsächlich vom Mars, attackiert eine riesige Phalanx, recht eigentlich der Rest der Welt, das tapfere ,,Serbenvolk": Die ,,westlichen Kriegs-großmächte, darunter das ,,Totschlägerland Frankreich", angeführt von der Nato und ihrem ,,Killersprecher", aber auch die ,,Kriegsbraut des SPIEGEL" in Belgrad und all die anderen Star-Journalisten von ,,El Pais" bis ,,Le Monde", ,,Westkriegsblitzmädel", ,,Schlammfedern", ,,Übelwoller" und ,,Giftschlammschmeißer" mit ,,Fletsch-Gebiss", die ihre ,,Schlagstockmeinung" skrupellos unter die Leute bringen und, echt perfide, ihre ,,Propaganda im Gewand der Superinfarmation" betreiben, also irgendwie dialektisch. Das auch noch.

So viel ist allerdings wahr: Peter Handke, der 1966 mit seiner ,,Publikumsbeschimpfung" berühmt wurde, betreibt seine Propaganda mit einer derart überschaubaren, ja steinwinzigen Menge an Information (die auch noch traumsicher frisiert ist), dass ihm allein dafür der Titel ,,Größter Meinungshaber aller Zeiten" — Grömaz — gebührt.

Wo aber bleibt das ,,Horchen auf die unendlich langsamen geologischen Verschiebungen, die der politischen Hast auf der Erdoberfläche keine Ruhe mehr geben können", wie der frisch gebackene Handke-Apologet Thomas Wirtz in der ,,FAZ" kongenial ondulierte, jener Zeitung, die Handke im also gepriesenen Horch-Text ganz gelassen und anspielungssatt als ,,Frankfurter Beobachter" verunglimpft — ausgerechnet er, der völkische Beobachter von Serbisch-Balkanesien?

Wo also bleibt das literarisch Widerständige, der Sound des großen Unzeitgemäßen, die leitbildhafte Poetik vom ,,erztrüben Eigenbauwein", den ,,anders gelben serbischen Nudelnestern" (Achtung: Kult!) und dem bestürzenden Froschquaken an der Grenze zu Kroatien‘ das sich als künstlerischer Gegenentwurf zur westlichen Zivilisation, als einsamer Protest des Sehenden gegen das ganze verblendete Falsche verstehen ließe? Wo wäre der Grund, dies als ein Stück wirklicher Literatur zu betrachten?

Die Wahrheit ist konkret: Lügen essen Sprache auf. Noch die gepudertsten Satz-kaskaden schwitzen ihre innere Unwahrheit heraus. Handkes wahnhaftes Motiv der Weltverschwörung gegen Serbien zer

stört gerade jene Genauigkeit und Wahrhaftigkeit der Sprache, auf die seine ganze kleine große Gegenwelt doch gebaut seiu soll. Die Beobachtung des Details, das reine, sinnliche Schauen, die Lust an der Sprache, das alles ist immer schon von der politischen Absicht vergiftet, so diffus, ja ungreifbar ihre Gründe sind.

Wenn der Reisende ein paar Serben in einem verlassenen ,,Tankstellen-Hinterzimmer" auftreibt, ,,zusammengeschart, wartend ... einfach da seiend, eine Art Präsenzdienst leistend", dann kommt unweigerlich ideologische Landschaftsmalerei heraus, vorgestanzte Plastik-Prosa über die einsamen Helden der Einkehr, die um jeden Quadratzentimeter Heimaterde warten: Jägerzaun-Literatur.

Ungebremst jedoch spricht der Hass, ja die Verachtung gegen die Demokratien des Westens aus Handkes Suada‘ der stammelnd trostlose Diskurs der Propaganda:

Ja, Propaganda. Solche Propaganda: ja — für einmal ja! Und selbst die dazu wiederholte Propaganda-Formel von der ,faschistischen Aggression der NATO‘: für einmal ja zu solcher Formel. Pro paganda-Wahrheiten also statt Propaganda-Lügen? Nein. Solche Art Propaganda, in solcher Periode, in solcher Lage des Landes (Jugoslavija), als eine Bild-, Wort- und Ton folge jenseits von Lügen und Wahrheiten (die in diesem Fall wieder nichts als Schauseiten von Lügen sein könnten)

— eben als etwas (fast) rein Natur- und Not gewachsenes, das gar nicht erst in eine besondere Form, Propaganda-Form, gebracht, sondern einfach bloß landesweit ausgestrahlt zu werden braucht. Eine Weise der Propaganda ohne Tatsachen-Vortäuschung: die weggelassenen Tatsachen oder Wahrheiten denkt sich ohnehin jeder Zuschauer und Zuhörer, ein jeder nach seiner Art, hinzu.

So denkt sich jeder seins: Schon die Syntax zeigt das Verquälte dieser verzweifelten Legitimationstirade, die ein wenig den semantischen Verrenkungen spätstalinistischer Intellektueller ähnelt, aber immerhin gibt sie Handkes Wahrheitsbegriff preis.

Als er in westlichen Zeitungen liest, dass nach den Antikriegskundgebungen junger Serben in Belgrad haufenweise leere CocaCola-Dosen auf dem Platz liegen bleiben, protestiert er jenseits aller Anschauung, aber im heiligen Namen der Handkeschen Epistemologie: ,,Nein, das ist nicht wahr. Das glaube ich nicht. Die Bomben haben immerhin bewirkt, dass wenigstens eine Jugend auf der Welt geheilt ist von CC und McD."

Der letzte Satz seines Buchs lautet: ,,Das Zeitalter der Informationen ist vorbei."

Das ist es: Eine programmatische Selbstbezichtigung, die intellektuelle, künstlerische und moralische Bankrotterklärung.

Der Dichter — hingestreckt zum Gebet.

Reinhard Mohr

* Peter Handke: ,,Unter Tränen fragend. Nachträgliche Aufzeichnungen von zwei Jugoslawien-Durchquerungen im Krieg. März und April 1999". Suhrkamp Verlag, Frankfurt anl Main; 160 Seiten; 36 Mark.

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@Gerade [29.11.03] habe ich eine mögliche Erklärung / Vorankündigung für Peter Handkes Verhalten in diesem Zusammenhang
@gefunden, in der "Geschichte des Bleistifts" von 1982, mit dem Stichwort "
Spiel". Man kann ja nicht gleich alles von dem @gelesen haben, wenn man über einen Schriftsteller schreibt ....
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Dann gabs da noch das gedruckte Geschwätz des Herrn Jessen über  Handkes Bericht zur Milosevic-Verhandlung in Den @Haag - noch so einer, der zwar schreibt, aber nicht lesen kann ...
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Versuch einer sachlichen Darstellung von Bernd Reinhard

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Das deutsche Feuilleton kann nicht enden - ob diese Tatsache es groß macht, ist eine offene Frage.  Hier eine "Perlentaucher"-Sammlung zur neueren Entwicklung, Juni 2006. Die Verfasser der genannten Webseite sind ausgewiesene Feuilletonisten-Verehrer und haben u.a. Botho Strauß zum "Großdichterkollegen" Handkes ernannt: Irgendwo gabs doch mal das Wort vom "Großschriftsteller"? Und da setzen wir dann noch den "Dichter" drauf.

Einige Perlen:  Ein gewisser Marius Meller meint im immer noch reichlich verschmockten Tagesspiegel, Botho Straußens Verteidigung Handkes in der FAZ sei "widerwärtig". Strauß: "Was bleibt schließlich von dem angeblichen Sänger des großserbischen Reichs, Peter Handke? Nicht nur der sprachgeladenste Dichter seiner Generation, sondern wie nur Überragende es sind, ein Episteme-Schaffender (nach dem Wortgebrauch Foucaults), eine Wegscheide des Sehens, Fühlens und Wissens in der deutschen Literatur." - Ich weiß zwar noch nicht allzu genau, was "Episteme" sind, und Handke sieht sich ja auch gar nicht als "Dichter" (jedenfalls nicht als einer im Sinne des journalistischen Wortgebrauchs, er schreibt auch keinen gesetzgeberischen "hohen Stil"), aber einen Umriß von Handkes Arbeit - zwischen Sprache und Wahrnehmung, weg von den dort herrschenden Automatismen ..., hat Strauß sehr wohl geliefert, was ist daran "widerwärtig", und ggf. wem ? Immer noch ist Handkes Schreib-Programm die eigentliche Provokation: das Gegenteil des herrschenden Medien-Geschwätzes.

Besonders provoziert fühlt sich auch Herr Droste in der taz, ein bekannter Diagnostiker, der gleich einen "Dachschaden" feststellt, und zwar bei Handke.  Der ist unter anderem auch eine Art Probierstein, es finden sich immer Leute, die es drängt, sich an ihm zu blamieren.

Andererseits hat der Feuilletonist Ulrich Weinzierl das  Wort "Kampfmimose" erfunden, was ihm hiermit gedankt sei - unabhängig davon, ob dieses schöne Wort auf Handke zutrifft oder nicht.

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 In einem Internet-Forum hat sich auch ein ehemaliger Übersetzer Handkes zu Wort gemeldet.

Elfriede Jelinek, 30. Mai 2006, "Handke/Heine"

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Ein für die FAZ (28. November 2006) schreibender Studienrat namens Friedmar Apel bringt das Problem auf den Punkt: "Peter Handke mangelt es an Medienkompetenz, er kann seine Gedanken nicht auf eine bündige Aussage reduzieren [ergänze: wie ein Journalist z.B.] ... Trotz laufender Kamera redet er wie spätabends beim Wein." ... Bleibt noch viel pädagogische Arbeit für Journalisten.

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DIRK KNIPPHALS TAZ 5.2.2007 über "Kali".

Typischer Selbstdarstellungs-Feulletonist: Dem Leser darf doch  nicht unterschlagen werden, daß das Buch auf dem Sofa liegend gelesen wurde und die Tochter Zahnschmerzen hatte. Mit Namen (Arthur C. Danto, wow!) und anderen Worten ("Wallungswert", toll, Benn läßt grüßen) wird geprotzt, und der Feuilletonist hält den Gebrauch des (gewöhnlichen süddeutschen) Worts "nachtmahlen" für  "hohen Ton"; offenbar kommen dem Schreiber seine Proseminare hoch. Der "Gebrauchswert" (auch noch Nationalökonomie, vielleicht sogar Studium generale, wow!) seien die "kostbaren kleinen profanen Verzauberungen" Handkes, wohingegen der Schluß, wo es um "Schicksal und Erlösung" (na sowas!) gehe und der Wind spreche, Kitsch sei. Auch das wird bloß behauptet, und stimmen tut ersteres ebensowenig: Handke ist wohl hinter Epiphanien her, wenigstens einer möglichst unmittelbaren, nicht medien-präformierten  Wahrnehmung, das wird aber weder "kostbar" präsentiert (K. versucht Handke mit Pseudolob runter zu machen), noch ist es eine "Verzauberung" - einfach nur unjournalistisch-klischeelose Wahrnehmung, jedenfalls der Versuch dazu. Fazit: Die "Abwertung von Gegenwart und Mainstream" wirft der Schreiber Handke vor und schmeißt zu Unrecht zwei Dinge in einen Topf: Er teilt ja Handkes Aversion gegen das immergleiche immeröde Fernseh-Geschwätz, und das ist schließlich "Mainstream", wie sich Abend für Abend leicht nachprüfen läßt.

Aberdann, versteckt irgendwo mittendrin: K.s Bemerkung über Handkes Erzählungen als "Road Movies". Die einzige sachlich treffende Bemerkung, die den Verdacht weckt, daß K. schon seit Jahren heimlich den Handke liest (was man nicht allen seinen Rezensions-Kollegen nachsagen kann ), anders hätte er eine derartige Bemerkung  nicht zustande bringen können.  Unvorhersehbarkeit macht tatsächlich einen großen Teil des Reizes von Handkes Texten aus.

Also, es geht doch! Nach ungefähr 3 weiteren Handke-Büchern, und wenn er  sich über "hohen Stil"  u.ä. kundig gemacht sowie den Arthur C. Danto (wow! Arthur C. Danto!) hinweg sein wird, werden wir den K. ganz anders, nämlich unter den bekennenden Handke-Verehrern wiedertreffen, aufrecht am Schreibtisch sitzend, über den neuesten Handke-Text gebeugt.

http://www.taz.de/pt/2007/02/05/a0206.1/textdruck

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Nicht der Rede wert: FAZ-Tradition. Ebenfalls "Rezension" von "Kali".

Überall ist Auenland: Von Hubert Spiegel, der sich demonstrativ weigert, auf den Handkeschen Text einzugehen. Chronistenpflicht war früher, heute ist Qualitätszeitung.

F.A.Z., 03.02.2007, Nr. 29 / Seite Z5

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Physiologus 8. April 2007