ußverfehlung Seit der Schulzeit war Benjamin Lee Baumgartner davon genervt, dass immer wieder einmal jemand auf die originelle Idee kam, ihm die ersten Worte an den Kopf zu werfen, mit denen mitten im Film Einer flog über das Kuckucksnest der vermeintlich stumme Chief Bromden sich bei Jack Nicholson für das Kaugummigeschenk bedankt. »Ah, Fruchtgeschmack«, war die Version, die er bisher kannte, und es war ja wirklich eine super Szene, wie der Stumme mitten im Film plötzlich »Ah, Fruchtgeschmack« sagt, doch Benjamin Lee Baumgartners Antwort auf diese Witze war noch nie besonders freundlich ausgefallen.
Jetzt aber tat er zum ersten Mal wem den Gefallen und antwortete dieser Dreikäsehochversion des Chief: »Du bist also gar nicht stumm?«
Der kleine Chief strahlte ihn an und schüttelte sehr langsam den Kopf.
»Kannst du mich denn auch hören?«, fragte Benjamin Lee Baumgartner den Chief.
»You bet!«
Mitten in London auf einer Brücke stehen. Filmdialog sprechen. Von zwei strahlenden
Augen angehimmelt werden. Benjamin Lee Baumgartner hatte den Eindruck, dass
ein besserer Moment für einen ersten KUSS nicht mehr kommen konnte. Ihn verstreichen
zu lassen war eine Todsünde, die er begehen musste, weil sich der Kaugummigeschmack
in seinem Hirn festgesetzt hatte. Er wollte nicht an den Geschmack eines Wrigley-Kaugummis
denken, wenn er sie zum ersten Mal küsste. Denn Benjamin Lee Baumgartner war
traumatisiert davon, dass mindestens drei der zwölf Hafbverliebtsituationen
mit der mädchenhaften Kussverfehlung Nummer eins verbunden waren. Allzu häufig
kam es in dieser Welt vor, dass der im Mädchenmund wohnende Kaugummi nicht rechtzeitig
ausgespuckt, sondern irgendwo zwischen Zahnfleisch und Backfischbacken gehamstert
und für späteres Weiterkauen aufgespart wurde. Deshalb blickte er sie nur an
und entschied sich für weiteres Abwarten, bis die Erinnerung an den Fruchtgeschmack
wieder verklungen war. - Wolf Haas, Verteidigung der Missionarsstellung.
Hamburg 2012
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