ünstler  Ein Trapezkünstler — bekanntlich ist diese hoch in den Kuppeln der großen Varietébühnen ausgeübte Kunst eine der schwierigsten unter allen, Menschen erreichbaren — hatte, zuerst nur aus dem Streben nach Vervollkommnung, später. auch aus tyrannisch gewordener Gewohnheit sein Leben derart eingerichtet, daß er, so lange er im gleichen Unternehmen arbeitete, Tag und Nacht auf dem Trapeze blieb. Allen seinen, übrigens sehr geringen Bedürfnissen würde durch einander ablösende Diener entsprochen, welche unten wachten und alles, was oben benötigt wurde, in eigens konstruierten Gefäßen hinauf- und hinabgezogen. Besondere Schwierigkeiten für die Umwelt ergaben sich aus dieser Lebensweise nicht; nur während der sonstigen Programmnummern war es ein wenig störend, daß er, wie sich nicht verbergen ließ, oben geblieben war und daß, trotzdem er sich in solchen Zeiten meist ruhig verhielt, hie und da ein Blick aus dem Publikum zu ihm abirrte. Doch verziehen ihm dies die Direktionen, weil er ein außerordentlicher, unersetzlicher Künstler war. Auch sah man natürlich ein, daß er nicht aus Mutwillen so lebte, und eigentlich nur so sich in dauernder Übung erhalten, nur so seine Kunst in ihrer Vollkommenbeit bewahren konnte. - (kaf)

Künstler (2) Monsieur Gide sieht nicht aus wie ein Kind der Liebe, noch wie ein Elefant, noch wie viele Menschen: Er sieht aus wie ein Künstler; und ich will ihm dieses einzige, übrigens unliebsame Kompliment machen, daß er seine kleine Stimmenmehrheit bei der Aufnahme unter die Unsterblichen der Tatsache verdankt, daß man ihn leicht für einen Schmierenschauspieler halten kann. An seinem Knochenbau ist nichts Bemerkenswertes; seine Hände sind die eines Nichtstuers, so weiß sind sie, bei Gott! Alles in allem ein ganz kleines Geschöpf. - Monsieur Gide dürfte um die 55 Kilo wiegen und ungefähr 1 Meter 65 groß sein. - Sein Gang verrät einen Prosaiker, der nie einen Vers wird schreiben können. Außerdem hat der Künstler ein kränkliches Gesicht, zu den Schläfen hin löst sich die Haut in feinen Plättchen, größer als Schuppen; eine Unannehmlichkeit, die das Volk damit erklärt, daß es von so einem gewöhnlich sagt: »Er schält sich.«

Dabei weist des Künstlers Gesicht keineswegs die edlen Verwüstungen des Verschwenders auf, der nicht nur sein Vermögen vergeudet, sondern auch mit seiner Gesundheit aast. Nein, hundertmal nein: Der Künstler scheint im Gegenteil zu beweisen, daß er sich sorgsamst pflegt, daß er für Hygiene ist und mit einem

Verlaine, nach Félix Valloton

Verlaine, der seine Syphilis wie ein Gebrechen zur Schau trug, nichts gemein hat, und ich glaube, wofern er das nicht dementiert, nicht zu weit zu gehen, wenn ich behaupte, daß er weder mit Mädchen verkehrt noch berüchtigte Orte aufsucht. Wir können also erfreut feststellen, wie wir dazu bereits des öfteren die Gelegenheit hatten, daß er vorsichtig ist. - Arthur Cravan, André Gide. In: (hum)

Künstler (3) De Moustier war Maler in Pastell; seine Porträts waren nur halb lebensgroß und noch viel kleiner als das Modell. Er konnte Italienisch und Spanisch, glaube ich, las sehr gern und hatte ziemlich viele Bücher. Er war ein kleiner Mann und trug fast immer eine Kalotte mit Ohrenklappen, war von natürlicher Neigung für Frauen und schmutzig in seiner Ausdrucksweise, aber gutmütig und beherzt. Er war in den Galerien des Louvre untergebracht wie ein berühmter Künstler, aber seine Art zu leben und zu reden zog mehr Leute dahin als seine Werke. Sein Arbeitsraum war indessen recht sehenswert: Über der Treppe hatte er ein Paar großer Hörner, und darunter stand: «Betrachtet eure eigenen!»; und unter seinen Büchern: «Die Bücherleiher holt der Teufel!»

Bei Gelegenheit der Bücher: Er erzählte selbst einen Streich, den er einem Buchhändler vom Pont-Neuf gespielt hatte, was aber ganz und gar eine Schurkerei war; aber es gibt eine ganze Reihe von Leuten, die glauben, Bücher zu stehlen sei nicht stehlen, vorausgesetzt, man verkaufe sie danach nicht weiter. Er spähte die Zeit aus, wenn der Buchhändler nicht in seinem Laden war, und entwendete ihm ein Buch, das er seit langem suchte.

Ich glaube, daß ihm die meisten Bücher, die er besaß, geschenkt worden waren. Er wußte mehr als die Hälfte zweier Folianten der beiden Pastoren Aubertin und La Fauscheur über das Thema der Eucharistie auswendig, und er hatte sie und einen anderen namens Daille gemalt. Katholik war er nur so obenhin.

Es gab da ein Fach, an das er geschrieben hatte: «Narrenfach». Der Pater Arnoul, der Beichtiger des Königs, welcher ein hochmütiger Jesuit war, fragte ihn, wer diese Narren denn seien. - «Sucht nur, sucht nur», sagte er, «Ihr werdet Euch darunter finden.» Ein anderer Jesuit fand sich tatsächlich darunter und fragte ihn, ohne sich zu erkennen zu geben, nach dem Grund; de Moustier antwortete ihm brummend, denn er mochte die Jesuiten nicht leiden: «Weil er gesagt hat, Heinrich IV. sei mit Zuckerbrot aus Eisen und Stahl aufgezogen worden.»'

Er besaß ein kleines Gemach voller Stellungen des Aretino, die er «Vorlagen zur Handarbeit» nannte. Außerdem kannte er alle schmutzigen französischen Epigramme. Ich habe einen seiner Vettern in Rom erlebt, der vom selben Gewerbe ist und auch Tausende solcher Verse kannte.

Er mochte die Ärzte geradesowenig wie die Jesuiten und nannte sie «die herrlichen Henker der Natur». - (tal)

Künstler (4)  Er griff nach seinen Instrumenten und fuchtelte mir damit in gefährlicher Nähe vor meinem Gesicht herum, wobei er die Bewegungen seiner Kunst nachahmte und jeden Augenblick aufs neue in bewundernde Ausrufe über die Schönheit seiner Zeichnungen ausbrach.

Entsetzt über den bloßen Gedanken, fürs Leben entstellt zu sein, wenn der Kerl sein Vorhaben an mir ausführte, suchte ich von ihm loszukommen, während Kory-Kory, der sich als Verräter entpuppte, daneben stand und mich zu überreden suchte, mein Einverständnis zu diesem abscheulichen Ansinnen zu geben. Auf meine wiederholten Weigerungen geriet der erregte Künstler beinahe außer sich und war überwältigt vom Kummer über den Verlust einer so außergewöhnlichen Gelegenheit, sich in seinem Beruf auszuzeichnen.

Der Gedanke, seine Tätowierung auf meiner weißen Haut einzugravieren, erfüllte ihn mit der Begeisterung eines Malers. Immer und immer wieder schaute er mir ins Gesicht, und jeder neue Blick steigerte offenbar die Gewalt seines Ehrgeizes. Da ich nicht wußte, wie weit er gehen würde, und schaudernd bei dem Gedanken an den Schaden, den er an meinem Galionsbild anrichten würde, war ich nun bestrebt, seine Aufmerksamkeit davon abzulenken. In einem Anfall der Verzweiflung hielt ich ihm meinen Arm hin und bedeutete ihm, dort mit seiner Arbeit zu beginnen. Aber gekränkt lehnte er diesen Kompromiß ab und fuhr mit seinen Angriffen auf mein Gesicht fort, als wollte er sich mit nichts Geringerem zufriedengeben. Als sein Zeigefinger über mein Gesicht fuhr, um die Umrisse dieser parallelen Bänder nachzuzeichnen, die meine Züge einrahmen sollten, da schauderte mir mein Fleisch auf den Knochen. Letzten Endes gelang es mir, halb toll vor Schrecken und Wut, den drei Wilden zu entkommen und zum Hause des alten Marheyo zu fliehen, verfolgt von dem unerbittlichen Künstler, der, seine Instrumente in der Hand, hinter mir herlief. - Herman Melville, Typee. Ein Blick in das polynesische Leben... München 1979 (zuerst 1846)

Künstler (5) Bisweilen kommt mir der Gedanke, die Arbeit des Künstlers sei eine Arbeit noch ganz urtümlicher Art; der Künstler selber etwas Überlebtes; zu einer im Aussterben begriffenen Klasse von Arbeitern oder Handwerkern gehörig, die unter Anwendung höchst persönlicher Methoden und Erfahrungen Heimarbeit verrichtet; im vertrauten Durcheinander ihrer Werkzeuge lebt; blind für ihre Umgebung, nur sieht, was sie sehen will; die zerschlagene Töpfe, häuslichen Eisenkram und sonstiges überzähliges Zeug ihren Zwecken dienstbar macht... Ob dieser Zustand sich je ändert und man vielleicht an Stelle des wunderlichen Wesens, das mit so weitgehend vom Zufall abhängigem Werkzeug sich behilft, dereinst einen peinlich in Weiß gekleideten, mit Gummihandschuhen versehenen Herrn in seinem Mal-Laboratorium antreffen wird, der sich an einen strikten Stundenplan hält, über streng spezialisierte Apparate und ausgesuchte Instrumente verfügt: jedes an seinem Platz, jedes einer bestimmten Verwendung vorbehalten? ... Bis jetzt freilich ist der Zufall aus unserem Tun noch nicht ausgeschaltet, so wenig als das Geheimnis aus der Technik, die Trunkenheit aus dem Stundenplan; aber ich möchte mich für nichts verbürgen.  - (deg)

Künstler (6) General Walter Kriwitskij war Chef der sowjetischen Militärspionageabteilung für Westeuropa (des vierten Büros der Roten Armee), bis er 1937 mit dem Regime brach. Es war der erste Fall von Desertion eines hohen Beamten des sowjetischen Spionagenetzes. Zweimal versuchte die GPU, ihn in Frankreich zu ermorden; beim dritten Versuch, in den Vereinigten Staaten, gelang es ihr. Sein Tod wurde so arrangiert, daß es wie Selbstmord aussah. General Kriwitskij wurde mit einem scheinbar selbst beigebrachten Kopfschuß im Zimmer eines kleinen Washingtoner Hotels gefunden, in dem er nie vorher abgestiegen war. Er hatte seiner Familie und seinen Freunden wiederholt erklärt, sie sollten im Falle seines plötzlichen Ablebens unter keinen Umständen je an einen Selbstmord glauben. Es gibt einen alten GPU-Ausspruch: Jeder Dummkopf kann einen Mord ausführen, aber nur ein Künstler bringt einen natürlichen Tod zustande. - Arthur Koestler, Nachwort zu: Sonnenfinsternis. Frankfurt am Main u.a. 1979

Künstler (7)  Füssli hatte keine Visionen. Er war ein skeptischer Liebhaber des Phantastischen. Er liebte es auch, das Publikum zu erschrecken und zu verstören, niemand war ihm so zuwider wie der satte und selbstgerechte Bürger des Rokoko, der seine Spießigkeit durch alle Umwälzungen, Aufklärungen und Revolutionen seiner Zeit sich zu bewahren wußte. »The wild Swiss« nannten ihn die Londoner, »Beware of Fuseli!« hieß es, wenn er in seiner Milton-Galerie Satan, Sünde und Tod auftreten ließ. Das war ihm nur recht; die Anerkennung der Intellektuellen, die ihm reichlich zuteil wurde, genügte ihm vollkommen. Er war nicht naiv, und er mochte sich nicht volkstümlich geben. Er war ein Spötter und ein Verächter.  - Wieland Schmied, Zweihundert Jahre phantastische Malerei. München 1980

Künstler (8)    Kein Ort läßt sich denken, an den er weniger passen würde. Längst ist die große Zeit Worpswedes vorüber, aber die Erinnerung an sie wird gepflegt, wie man Beete pflegt. Hier bringt er mehr als 16 Jahre zu, von 1945 bis 1962. Er lebt in ärmlichsten Verhältnissen, er bleibt ein Außenseiter, aus der Distanz geachtet, von Legenden umgeben. Mehrmals wechselt er das Quartier, am längsten haust er beim Leichen-Brüning, im hinteren Trakt eines strohgedeckten Rohziegelbaus. Auf der Diele stand der Leichenwagen, der sich in der Familie mit dem Beruf des Leichenfahrers vererbte. Hier malt Oelze, rührt Farbe auf einer Untertasse an, malt mit haarfeinen Pinseln auf Leinwand - oder, in den ersten Jahren nach dem Krieg, als er sich Leinwand nicht leisten kann, auf Malpappe. - Wieland Schmied, Zweihundert Jahre phantastische Malerei. München 1980

Künstler (9)  Die Welt der Künstler ist  aus einem Guß, aber ganz verschieden von der andern. Jeder Künstler ist ein Spaßvogel, übers Kreuz mit seiner Familie, trägt nie Zylinderhut, spricht sein eigenes Kauderwelsch. Sein Leben besteht darin, den Polizisten Streiche zu spielen, wenn sie ihn holen kommen, oder groteske Verkleidungen für den Maskenball ausfindig zu machen. Nichtsdestoweniger bringen sie oft Meisterwerke hervor, bei den meisten ist sogar der Mißbrauch von Weib und Wein die Ursache ihrer Inspiration, wenn nicht die Ursache ihres Genies. Sie schlafen am Tage, nachts gehen sie spazieren, arbeiten, niemand weiß wann, den Kopf haben sie stolz zurückgebogen, so lassen sie im Winde eine weiche Krawatte flattern, und zwischen den Fingern rollen sie unaufhörlich Zigaretten.

Die Welt des Theaters unterscheidet sich kaum von der letztgenannten. Man macht hier in keiner Weise von den Wohltaten des Familienlebens Gebrauch, man ist phantastisch und unerschöpfbar generös. Die Künstler sind wohl eitel und eifersüchtig, auch neidisch, aber sie erweisen einander doch unaufhörlich Gefälligkeiten, applaudieren, um dem andern zum Erfolg zu helfen, adoptieren Kinder von schwindsüchtigen oder unglücklichen Schauspielerinnen. Man schätzt sie in der Gesellschaft, obgleich sie infolge ihrer mangelhaften Erziehung oft frömmlerisch und abergläubisch sind. Die Mitglieder der Staatstheater nehmen einen eigenen Rang ein; durchaus würdig unserer Verehrung, könnten sie ebensogut bei Tisch neben einem General sitzen oder vor einem Fürsten rangieren, sie tragen in ihrem Busen die Gefühle, deren Ausdruck die Meisterwerke unserer dramatischen Literatur auf den ersten Bühnen wiedergeben. Ihr Gedächtnis ist erstaunlich, ihre Haltung vollendet. - Bouvard und Pècuchet, nach Marcel Proust, Tage der Freuden. Frankfurt am Main  1965 (BS 164, zuerst 1896)

Künstler (10)    »Sprechen Sie weiter, Mr. Holmes. Die Sache gefallt mir. Das klingt gut.«

Holmes lächelte. Aufrichtige Bewunderung ließ ihn immer auftauen - ein Kennzeichen des wahren Künstlers. - Arthur Conan Doyle, Das Tal der Furcht. Zürich 1986 (zuerst 1914)

Künstler (11)   Mit einem Klumpfuß geschlagen, der ihn zwang, Krücken zu benutzen, dazu noch mit einer merkwürdigen Geschwulst, die sich eines schönen Tages auf seiner Glatze entwickelt hatte, besaß Ludwig der Behinderte eine blühende Gesichtsfarbe und einen breiten, fächerförmigen Bart. Als lebenslustigen Menschen und gelegentliches Pumpgenie ließ ihn die Armut, in der er mit Frau und drei Kindern dahinvegetierte, ziemlich ungerührt, und er dilettierte — mit kaum gesichertem Lebensunterhalt durch irgendeine Stelle im Finanzministerium — ein wenig in Malerei und Kunstkritik. Einige seiner Werke (sehr biedere Landschaften, kaum von einem Tupfer Impressionismus berührt) waren ständig in seinem Büro ausgestellt und hingen zusammen mit anderen Erwerbungen, Reproduktionen oder Geschenken von Freunden, zwischen den klassischen gelben Pappordnern, die verhinderten, daß man die administrative Natur des Orts vergaß. Er war ein guter Katholik und erklärte sich außerstande, sich in der Kirche andächtig sammeln zu können, wenn er nicht einen »hübschen lieben Gott« vor sich hatte. Im übrigen felsenfest davon überzeugt, ein Künstler zu sein, war er unter seiner offensichtlichen Gutmütigkeit ziemlich selbstgefällig, so daß man zu Hause von ihm kaum anders als von dem »Meister« sprach, ein ihm vom Bruder meiner Mutter verliehener Spitzname, der manchmal den Spaß übertrieb und ihn mit dem Superlativ maître cinquante bedachte. Sein Hang zum Nichtstun und seine Vorliebe, sich im Cafe herumzutreiben, hatten ihm einmal das Leben gerettet. Eines Tages, als er zum Abendessen bei uns war, hatte sich die ganze Familie an den Saint-Honores eines Konditors vergiftet, eine Sache, die an diesem Abend im Viertel mehrere Tote forderte. An diese Vergiftung, der ich selbst entging (denn ich war noch zu klein, um an der Mahlzeit teilzunehmen), erinnerte sich mein Bruder Pierre sehr genau: tagelang hatte er, wie er sagte, das Gefühl verspürt, »Zähne aus Watte« zu haben. Ludwig der Behinderte war der einzige unter den Tischgästen, der nichts spürte, höchstens eine leichte Kolik; daher vermuteten meine Eltern, dals das Bier, dem er reichlich zugesprochen, bei ihm eine heilsame Abführwirkung hatte, als sie erfuhren, daß er, nachdem er uns verlassen, sich mit Freunden im Café getroffen und mit ihnen zahlreiche Humpen geleert hatte.  - Michel Leiris, Die Spielregel I. Streichungen. München 1982 (zuerst 1948)

[ein Meister, der einen mètre cinquante - 1 Meter 50 - groß war]

Künstler (12)   Butterweg vertrat mit Eifer die Ansicht, daß man zum Künstler geboren sein müsse, während Kakadu meinte, es sei nichts leichter als mit einiger Übung das zu erwerben, was den Künstler ausmache. Butterweg sagte: »Wie Sie mich hier sehen, bin ich ein Froschesser von meiner frühsten Jugend an.« »Darauf kommt es nicht an,« antwortete Kakadu, »es handelt sich darum, ob Ihnen das Motiv, welches Sie damals bestimmte, die Frösche zu essen, angeboren ist oder ob es nur zufällig in Ihnen vorhanden war.« »Darüber habe ich mir niemals Rechenschaft gegeben. Jedenfalls weiß ich, daß es mir in frühster Jugend schon gelang, Frösche zu verspeisen — mit Respekt zu sagen — und daß ich bald mit mir darüber einig war, aus dieser Fähigkeit einen Lebensberuf zu machen. Die Knaben, die mit mir spielten, schrien, als sie sahen, das ich das Tier verschluckte, aber ich habe damals schon das wahrhaft große Gefühl genossen, welches mir später immer solches Vergnügen in der Arena bereitete.« »Sprechen Sie über jenes Gefühl,« sagte Jamaika, »ich glaube, daß ich eine Ahnung davon habe, wie es beschaffen ist.« Kakadu lachte, Butterweg aber zündete sich eine Zigarette an und setzte sich, indem er seine Haltung der Haltung Jamaikas ähnlich zu machen suchte. »Dieses Gefühl macht eigentlich unseren Stand aus. Wer es von uns nicht besitzt, gehört streng genommen nicht zu den Künstlern. Er bleibt immer ein Handwerker und wird niemals die Feinheiten des Gewerbes zu begreifen wissen. Deshalb sagt man mit Recht, daß wir zu unserem Beruf geboren sein müssen.« - Richard Huelsenbeck, Verwandlungen. München 1918

Künstler (13)   Schnecken sind Helden, das heißt Lebewesen, deren Existenz selbst Kunstwerk ist — als Künstler, das heißt Erzeuger von Kunstwerken. Doch hier komme ich auf einen der wesentlichen Punkte der Lektion, die sie erteilen, die ihnen übrigens nicht eigentümlich ist, sondern die sie mit allen Schalentieren gemein haben: dies Schalengehäuse, dieser Teil ihrer selbst, ist gleichzeitig Kunstwerk, Denkmal. Es überdauert sie.

Und hierin besteht das Beispiel, das sie uns geben. Als Heilige machen sie ihr Leben zum Kunstwerk — ihre Vervollkommnung zum Kunstwerk. Sogar ihre Sekretion geschieht derart, daß sie zur Form gerät. Ihr Werk kennt nichts, was ihnen, ihrer Notwendigkeit, ihren Bedürfnissen nur äußerlich eignete. Nichts andererseits, was zu ihrer Körperlichkeit in Mißverhältnis stünde. Nichts, was ihr nicht notwendig, nicht unabdingbar wäre. So schreiben sie dem Menschen die Spur seiner Pflicht und Aufgabe vor. Die großen Gedanken kommen aus dem Herzen. Vervollkommne dich sittlich, und du wirst gute Verse schreiben. Moral und Rhetorik vereinen sich im Ehrgeiz und Verlangen des Weisen. Heilige jedoch darin: indem sie eben ihrer Natur gehorchen. Erkenne dich daher zunächst einmal selbst. Und erkenne dich an, so wie du bist. Im Einklang mit deinen Lastern. Im rechten Verhältnis zu deinem Maß.   - (lyr)

Künstler (14)  

Joseph Beuys

- Robert Lebeck

Kunst Beruf
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