Kriminalität(sniveau)  Beim Essen wandte sich die Unterhaltung - keineswegs unnatürlich - der Battersea-Untersuchung zu, und die Herzogin schilderte auf lebendige Weise, wie Mrs. Thipps verhört worden war. »›Hörten Sie in der Nacht etwas Ungewöhnliches?‹ schrie der Kronbeamte sie an und lehnte sich vor. Ganz rot war er im Gesicht, und seine Ohren standen ab - genau wie bei dem Cherub in dem Gedicht von Tennyson - oder ist ein Cherub blau? Vielleicht meine ich einen Seraph - jedenfalls wissen Sie, was ich meine - ganz Augen mit kleinen Flügeln am Kopf. Und die gute alte Mrs. Thipps sagte: ›Natürlich, immer in all diesen achtzig Jahren ‹, und es gab eine solche Sensation im Saal, bis sich herausstellte, daß sie verstanden hatte: ›Schlafen Sie in der Nacht ohne Licht?« Und alle lachten, und dann sagte der Kronbeamte ziemlich laut: ›Zum Teufel mit diesem Weib‹, und das hörte sie, wieso, weiß ich nicht, und sie sagte: ›Fluchen Sie nicht, junger Mann, wenn Sie da im Angesicht Gottes sitzen. Ich weiß nicht, was aus den jungen Leuten heutzutage werden soll . .. ‹ Dabei ist er sechzig, müssen Sie wissen.«

Infolge einer natürlichen Gedankenverbindung erwähnte Mrs. Tommy Frayle den Mann, der gehängt worden war, weil er drei Frauen in der Badewanne ermordet hatte. »Das fand ich immer sehr einfallsreich«, sagte sie und blickte Lord Peter seelenvoll an. »Und stellen Sie sich vor, als das geschah, hatte Tommy gerade eine Lebensversicherung für mich abgeschlossen, und ich bekam solche Angst, daß ich morgens nicht mehr badete, sondern nachmittags, wenn er nicht zu Hause war.«

»Meine Gnädigste««, erwiderte Lord Peter vorwurfsvoll, »ich erinnere mich deutlich, daß alle diese Frauen ganz und gar reizlos waren. Aber es war ein sehr einfallsreiches Verfahren - das erstemal - nur hätte er es nicht wiederholen dürfen.«

»Heutzutage verlangt man etwas mehr Originalität, auch von Mördern«, sagte Lady Swaffham. »Wie bei den Dramatikern -zu Shakespeares Zeiten war es viel einfacher, nicht wahr? Immer dasselbe Mädchen, als Mann verkleidet, und auch das war von Boccaccio oder Dante oder sonst einem andern entlehnt. Ich bin sicher, wenn ich eine Shakespearsche Heldin gewesen wäre, hätte ich beim ersten Blick auf einen schlanken Pagen gesagt: »Herrje, da ist das Mädchen schon wieder!««

»Genau das ist auch in Wirklichkeit geschehen«, antwortete Lord Peter. »Sehen Sie, Lady Swaffham, wenn Sie jemals einen Mord begehen wollen, müssen Sie unbedingt vermeiden, daß die Leute Gedankenassoziationen bekommen. Die meisten Menschen haben keine - ihre Gedanken rollen einfach durcheinander wie Erbsen auf einem Tablett, vollführen großen Lärm und gelangen nirgends hin; aber wenn man erst einmal zuläßt, daß sie ihre Erbsen auf ein Halsband aufziehen, dann wird es stark genug, daß man sie daran aufknüpfen kann.«  - Dorothy Sayers, Ein Toter zu wenig. Frankfurt am Main 1973

Verbrecher

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