Krimileser    Mit einem Broterwerb aus kleinen Übersetzungsarbeiten vegetierte Monsieur Jerôme bis zu seinem Tod kümmerlich dahin. Es machte ihm nicht sonderlich viel Arbeit und er verbrachte die meiste Zeit in seinem Zimmer, auf einem alten Sofa aus flaschengrünem Kunstleder liegend, immer mit dem gleichen Jacquard-Pullover oder einer gräulichen Flanelljacke bekleidet, unter dem Kopf das Einzige, was er nach all seinen Jahren in Indien von dort mitgebracht hatte: ein Fetzen - kaum größer als ein Taschentuch - eines früher einmal prächtigen Stoffs, von purpurrotem Grund, umstickt mit Silberfäden.

Rings um ihn herum war der Boden mit Krimis und Kleenex (er hatte ständig einen Tropfen an der Nase hängen) übersät; er verschlang leicht zwei bis drei Kriminalromane pro Tag und schmeichelte sich, dass er hundertdreiundachtzig Titel der Reihe L'Empreinte und mindestens zweihundert Titel der Reihe Le Masque gelesen habe und sich daran erinnere. Er mochte nur die Kriminalromane voller Rätsel, die guten alten klassischen angelsächsischen Kriminalromane von vorm Krieg mit abgeschlossenem Zimmer und perfekten Alibis, mit einer kleinen Vorliebe für die ein bisschen anstößigen Titel: Der fleißige Mörder oder Der Leichnam spielt Ihnen etwas auf dem Klavier vor oder Der Verwandte wird wütend.

Er las ungeheuer schnell - eine Gewohnheit und eine Technik, die er noch von der École normale zurückbehalten hatte -, aber nie sehr lang hintereinander. Oft hielt er inne, blieb liegen, ohne etwas zu tun, schloss die Augen. Er schob die dicke Hornbrille auf seine kahle Stirn; er legte den Kriminalroman vor das Sofa, nachdem er seine Seite durch eine Postkarte markiert hatte, die einen Globus darstellte, der wegen seinem gedrechselten Holzstiel einem Kreisel glich.-Es war einer der ersten bekannten Globusse, der, den Johannes Schöner, ein mit Kopernikus befreundeter Kartograph, 1520 in Bamberg hergestellt hatte und der in der Bibliothek von Nürnberg aufbewahrt wird.

Er erzählte nie jemandem etwas über das, was ihm zugestoßen war. Er sprach praktisch nie von seinen Reisen. Eines Tages fragte ihn Monsieur Riri, was das Erstaunlichste gewesen sei, das er in seinem Leben gesehen habe: Er antwortete, dass es ein Maharadscha gewesen sei, der an einem ganz mit Elfenbein inkrustierten Tisch saß und mit seinen drei Heerführern zu Abend aß. Keiner sprach ein Wort und die drei wilden Kriegsmänner sahen vor ihrem Chef wie kleine Kinder aus. Ein andermal sagte er, ohne dass man ihn gefragt hatte, das Schönste, was er auf der Welt gesehen habe, das Blendendste, sei eine in symmetrische Achtecke unterteilte Decke gewesen mit Gold- und Silberverzierungen und Ziselierungen, reicher als an einem Schmuckstück.  - (rec)

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