reuzschnitt   »Tatsache ist«, versetzte Pangloß, »Sie haben mich mit eigenen Augen hängen sehen. Natürlich hätte ich eigentlich verbrannt werden müssen, aber Sie erinnern sich vielleicht noch, daß es mit Kübeln vom Himmel goß, als man mich schmoren wollte. Gewitter und Sturm waren so heftig, daß man es endlich aufgab, ein Feuer anzuzünden. So wurde ich gehängt, weil man sich einfach nicht anders zu helfen wußte. Ein Wundarzt erstand meine Leiche und nahm mich mit nach Hause, wo er mich entzweizuschneiden begann. Zuerst machte er einen Kreuzschnitt vom Nabel bis zum Schlüsselbein. Unsachgemäßer als ich war noch nie einer aufgeknüpft worden. Der Vollstrecker des hochnotpeinlichen Halsgerichts bei der heiligen Inquisition, ein Subdiakon, verstand sich meisterlich auf das Schmoren von Menschen, aber das Henken war er nicht gewohnt. Der Strick war naß und glitt nicht recht, und so zog er nicht ganz zu. Kurz, ich atmete noch.

Als ich den Kreuzschnitt spürte, stieß ich einen entsetzlichen Wehschrei aus, so daß der Wundarzt ärschlings zu Boden fiel. Überzeugt, er habe den leibhaftigen Gottseibeiuns seziert, rannte er, was er konnte, in heller Todesangst davon und fiel auf seiner kopflosen Flucht noch die Treppe hinunter. Seine Frau hörte den Heidenlärm im Nebenzimmer und kam eilends herbeigelaufen. Da sah sie mich mit meinem Kreuzschnitt auf dem Tisch liegen. Sie bekam's noch ärger mit der Angst als ihr Mann, lief auch davon und purzelte längelang über ihn hin. Als sich beide leidlich von ihtem Schrecken erholt hatten, hörte ich, wie die Feldscherin zum Feldscher sagte: »Herzliebster, was fällt dir auch ein, daß du einen Ketzer sezieren willst? Weißt du denn nicht, daß diese Ketzerbrut allezeit den Teufel im Leib hat? Ich will geschwind einen Priester holen, damit er ihn austreibt.« Bei diesen Worten lief mir's eiskalt den Rücken hinab, ich nahm meine letzten Kräfte zusammen und schrie: »Habt Erbarmen mit mir!« Endlich faßte sich der portugiesische Bader ein Herz und nähte meine Haut wieder zusammen.  - Voltaire, Candide oder Der Glaube an die beste der Welten, nach (vol2)