Krankensaal  Die Rente - schön und gut, aber der Gestank! Der Gestank! Wie in einem Affenkäfig. Mama macht schon lange unter sich, bei diese alten Frauen im Krankensaal riecht es zum Erbarmen, wie sie sich vor Fremden schämen, die Bettdecke bis zum Kinn hochziehen, und bis zum Kinn sind sie auch voll, in meiner Gegenwart riß die Schwester einmal mit herzlichem Gezeter der alten Krasnowa, Mamas Nachbarin, die sich in der Wärme ihres Bettes verkrochen hatte, die Decke runter und schrie: Verdammter Mist, bis zum Hals! Die Augen meiner Mutter funkelten, im dunklen Wasser des weißen Augapfels leuchtete bescheidener Triumph. Ach, wie gut kannte ich diesen Triumph! Wie oft hatte ich ihn erlebt, besonders wenn sie mich angeblich vor meinem Mann in Schutz nahm, es passiert ja alles Mögliche unter so engen Verhältnissen, aber wehe, vor Mamas Augen oder in ihrer Hörweite! Der Triumph von einer, die immer recht hatte. Unter der Losung «Ich hab's dir ja gesagt» triumphierte ihre Vernunft über meine Dummheit.

Ich glaube sogar, daß sie die wenigen guten Taten, die sie zu Wege brachte, jemandem zum Trotz getan hat.  - Ljudmila Petruschewskaja, Meine Zeit ist die Nacht. Aufzeichnungen auf der Tischkante.  Berlin 1991 (zuerst 1990)

Krankensaal (2)  Der Krieg brach aus. Ein Krankenhausbett wurde ein schwer erreichbarer Luxus. Auf Anordnung des Chefarztes mußten alle Kranken oder Gebrechlichen in einen gemeinsamen Saal gelegt werden. Eine heimliche List der Vorsehung war wohl mit im Spiele, daß man Fräulein Zéline zwischen eine Epileptikerin und eine Skrofulöse mit eitrigen Geschwüren bettete. Jedesmal, wenn man zu ihrer Rechten die brandigen Schwären der Skrofulösen, die aufgebrochen waren, verband, schlug eine fürchterliche Ausdünstung Fräulein Zeline entgegen, überzog ihre Hände, füllte ihr den Mund, stieg ihr in die Nasenlöcher, drang ihr bis in die Seele. Ihre Glieder, ihre Bettlaken waren schließlich ganz davon durchtränkt; dieser zähe Geruch, so dick wie kleine greifbare, klebrige Wolken, wurde ihr zu einer ständigen Qual, heftete sich an den geringsten Gedanken, an jede Empfindung, und nichts konnte sie davon ablenken. Indessen erhoben sich von Stunde zu Stunde zu ihrer Linken unartikulierte gurgelnde Angstschreie, wie das gräßliche Jachzen eines ertränkten Tieres, und bald wälzte sich eine menschenähnliche Masse bis unter Fräulein Zelines Bett, ja manchmal bis auf ihr Bett. Fräulein Zeline fragte sich, was das sein könnte. In der zweiten Nacht von Fräulein Zélines Aufenthalt in diesem Saal wollte die Epileptikerin, nach einem Anfall mit Delirium, ins falsche Bett; sie hielt Fräulein Zélines für das ihre und drängte hinein. Fräulein Zéline wehrte sich lange; zuletzt fühlte sie, halb bewußtlos vor Entsetzen über ein solches Beilager, wie, dicht an sie geschmiegt, ihre nackten Beine entlang, ein haariger nasser Körper heraufglitt wie ein zitternder Hund, mit klappernden Zähnen. Das Übermaß des Entsetzens, das ihre arme Blindenhand empfand, die perlmutterne, zarte, einst so entrückte, als sie auf ihrem eigenen Kopfkissen auf einen unbekannten, grauenhaft verkrampften, schaumbedeckten Mund stieß, gab ihr die Kraft zum Schreien zurück. Die Wärterinnen kamen gelaufen. Man brachte Licht. In demselben engen Bett lagen sie beide wie tot, Fräulein Zéline und die Epileptikerin, und nur die Hand der Blinden hielt ihre beiden Gesichter auseinander.  - Marcel Jouhandeau, Fräulein Zéline oder Gottes Glück zum Gebrauch eines alten Fräuleins. In: M. J., Chaminadour. Reinbek bei Hamburg 1964
 
 

Patient

 

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