rankenhaus Das
Prinzip des Krankenhausbetriebes sei die Umkehrung der Zeit. So wie der Tagesablauf
durch das zügig hintereinander vollzogene Verabreichen der Mahlzeiten zusammenschrumpfe,
dehne er sich wieder unendlich in den Wartezeiten vor den Untersuchungen und
Behandlungen. Es sei das Prinzip des Krankenhausbetriebes, den Patienten jegliches
Zeitgefühl zu rauben. So würden die Patienten auf das Leben nach dem Krankenhaus
vorbereitet, handele es sich dabei nun um Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß,
Einlieferung in ein Heim oder Überweisung auf die Sterbestation. Im Krankenhaus
lerne der Mensch, daß Zeit immer die Zeit des anderen sei, und dies sei auch
die Lehre der Gefängnisse, der Büros, Schulen, Fabriken und aller anderen gesellschaftlichen
Einrichtungen. Die Lehre, daß die Zeit immer die Zeit des anderen sei, habe
sich mittlerweile gesellschaftlich so tief verankert, daß die Menschen diese
Lehre auch in ihrem Privatleben nachspielten und verwirklichten, wobei dieses
Privatleben, solange man es als außerhalb einer gesellschaftlichen Wirklichkeit
betrachte, nichts weiter als eine Illusion sei und in keinster Weise tatsächlich
existiere. So sei die mit der Industrialisierung zusammenfallende Entwicklung
der Individualliebe allein auf das Prinzip zurückzuführen, daß die Zeit immer
die Zeit des anderen sei. - (rev)
Krankenhaus
(2) Er machte ein paar anzügliche Witze über die Krankenschwestern,
aber das war unvermeidlich, ganz natürlich, und ich war ihm nicht böse. Außerdem
ist es ja wahr, dass die Krankenschwestern bei der Hitze, die in den Spitälern
herrscht, unter ihren Kitteln fast nackt sind. Nur ein BH und ein Höschen, durchscheinend
unter dem Stoff. So muss einfach eine erotische Spannung entstehen, nicht sehr
stark, aber beständig, zumal einen die Schwestern berühren und man selbst beinahe
nackt ist usw. Leider verspürt sogar der kranke Körper noch Lüste. Eigentlich
schreibe ich das nur auf, um es später nicht zu vergessen. Ich selbst war in
einem Zustand fast vollkommener erotischer Empfindungslosigkeit, zumindest während
der ersten Woche. - Michel Houellebecq,
Ausweitung der Kampfzone (1999, zuerst 1994)
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