Krakenkampf   Sie muß direkt dem Meer entstiegen sein. Auf diese Entfernung, so zwanzig Meter, ist sie nur ein dunkler Umriß in einem schwarzen Bombasinkleid, das zu den Knien reicht. Ihre nackten Beine sind lang und gerade, das Gesicht wird von einer Kapuze aus kurzem, hellblondem Haar beschattet, das gelockt über die Wangen springt. Ihr Blick ist tatsächlich auf Slotbrop gerichtet, aha. Der lächelt, bringt eine Art Winken zustande. Sie steht weiter unbeweglich, nur der Wind zerrt an ihren Ärmeln.. Slothrop wendet sich wieder ab, um einen Korken zu ziehen, dessen plop den Schrei kontrapunktiert, den eine der Tänzerinnen ausstößt. Tantivy ist schon halb aufgesprungen, Bloat gafft offenen Mundes in Richtung Meermaid, die Danseusen zucken in Abwehrreflexen, Haare wirbeln, Kleider fliegen, Schenkel blitzen -

Heilige Scheiße, es bewegt sich - ein Krake!? Ja, der größte, verdammteste Krake, den Slothrop jemals außerhalb eines Kinos gesehen hat, Bruderherz, gerade hat er das Wasser verlassen und sich halbwegs auf einen der schwarzen Felsen geringelt. Jetzt, einen übelwollenden Blick auf das Mädchen werfend, streckt er sich aus, schlingt vor aller Augen einen saugnapfbewehrten Tentakel um ihren Nacken, einen zweiten um ihre Taille und schickt sich an, die verzweifelt Zappelnde zurück ins Meer zu schleifen.

Slothrop ist auf den Beinen, rast, die Flasche in der Hand, an Tantivy vorbei, der einen zögernden Tanzschritt vollführt und die Taschen seines Straßenanzugs nach nicht vorhandenen Waffen abklopft, sieht den Oktopus größer werden, je näher er kommt, wow, verflucht groß sogar - schliddert, einen Fuß in einer Wasserlache, zum Stehen und beginnt, den Kraken mit der Weinflasche in den Kopf zu boxen. Das Mädchen, halb schon im Wasser, versucht zu schreien, aber der Fangarm, der sich klamm um ihren Hals schlangelt, läßt ihr kaum Luft zum Atmen. Sie streckt eine Hand aus, eine zartknochige Kinderhand mit einem stählernen ID-Männerarmband um das Gelenk, und faßt nach Slothrops Hawaii-Hemd, klammert sich fest, und wer hätte das geahnt, daß ihr Letztes auf dieser Welt Ukuleles, ordinärgesichtige Hulamädchen und Wellenreiter sein würden ... o Gott, lieber Gott, bibittebitte! Die Flasche klatscht, wieder und wieder, in das glitschige Krakenfleisch, völlig erfolglos, der Oktopus glotzt Slothrop triumphierend an, während der, im Angesicht des sicheren Todes, seinen Blick nicht von ihrer Hand losreißen kann, unter welcher sich sein Hemd im Takt ihres Entsetzens furcht, ein Knopf an seinem letzten Faden zerrt - er sieht den Namen auf der Erkennungsmarke, sieht eingravierte Silberlettern, jede ganz deutlich, aber er bringt sie nicht zusammen vor dem Hintergrund der schleimig-grauen Strangulierung, die sich zusammenzieht, glibbernd und doch stärker als sie beide, und der armen Hand schon den Starrkrampf aufdrückt, der sie von dieser Erde trennt -

«Slothrop!» Das ist Bloat, aus drei Metern Entfernung hält er ihm eine große Krabbe hin.

«Was zum Teufel...» Vielleicht, wenn er die Flasche auf dem Felsen zerschmetterte und dem Drecksbiest den Flaschenhals zwischen die Augen bohrte - «Er hat Hunger, er wird sich auf die Krabbe stürzen. Tu ihm nichts an, Slothrop! Hier, um Gottes willen -» Und da kommt sie auch schon durch die Luft gesegelt, die Beinchen nach allen Seiten zentrifugal ausgespreizt. Der bibbernde Slothrop läßt die Flasche fallen, im selben Augenblick klatscht ihm die Krabbe in die andere Hand. Sauberer Fang. Sofort kann er, durch die Finger des Mädchens und sein Hemd hindurch, den Reflex auf Futter spüren.

«Okay.» Zitternd winkt Slothrop dem Kraken mit der Krabbe zu. «Essenszeit, Freundchen!» Ein weiterer Tentakel schwenkt herum. Seine geriffelte Schlüpfrigkeit berührt Slothrops Handgelenk. Er schleudert die Krabbe ein paar Schritte weit auf den Strand, und was soll man sagen, dieser Oktopus macht doch tatsächlich hinterher: zerrt das Mädchen plus stolpernden Slothrop noch ein kleines Stück mit, läßt schließlich los. Slothrop schnappt sich rasch wieder die Krabbe, präsentiert sie dem Untier, das seine Beute speichelsabbernd fixiert, und beginnt, es tänzelnd und mit der Krabbe wedelnd am Ufer entlang fortzulocken.

Im Verlauf ihres kurzen Beisammenseins gewinnt Slothrop den Eindruck, daß sich der Krake nicht in der besten geistigen Verfassung befindet (obwohl - wo ist die Basis seines Vergleichens?). Er wirkt so unnatürlich aufgekratzt, ähnlich wie unbeseelte Gegenstände, die genau dann von Tischen fallen, wenn wir besonders sensibilisiert sind für Geräusche und für unsere Unbeholfenheit und um keinen Preis wollen, daß sie herunterfallen, eine Art Peng! haste gehört, ätsch, das sich hier wiederfindet, PENG! in jeder Bewegung dieses Cephalopoden, den loszuwerden Slothrop heilfroh ist, als er die Krabbe nun mit aller Kraft meerwärts schleudert wie einen Diskus, worauf der Krake mit hurtigem Planschen und Gurgeln zur Verfolgung ansetzt und alsbald verschwunden ist.  - Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei Hamburg 1981

 

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