Krabbenfang  Näher, in Reichweite seiner Hand, befand sich oberhalb des Wasserspiegels eine Querspalte im Felsen, in die sich die Krabbe wahrscheinlich geflüchtet hatte. Er fühlte mit der Hand hinein, so weit es möglich war, und machte sich daran, das dunkle Loch zu untersuchen. Plötzlich fühlte er sich am Arm ergriffen. Ein unbeschreibliches Entsetzen ergriff ihn in diesem Augenblick. Ein Etwas, das dünn, rauh, kalt, klebrig und offenbar lebendig war, hatte sich im Dunkel um seinen Arm gewunden. Nun stieg es zu seiner Brust empor. Es umschnürte ihn wie mit einem Riemen und drang in sein Fleisch wie ein Bohrer ein: In weniger als einer Sekunde hatte es sich wie eine Spirale um Hand und Ellbogen geschlungen und war bis zur Schulter hinaufgedrungen. Die Spitze grub sich in seine Achselhöhle ein. Gilliatt versuchte sich zurückzuwerfen, aber er war wie festgenagelt und konnte sich kaum bewegen. Mit der freien linken Hand nahm er das Messer, das er zwischen den Zähnen gehalten hatte, heraus, dann stemmte er sich mit eben dieser Hand in verzweifelter Anstrengung gegen den Felsen, um seinen rechten Arm zurückzuziehen. Es gelang ihm nur, das Band, das seinen Arm umschlossen hielt, etwas zu lockern. Es war biegsam wie Leder, fest wie Stahl und kalt wie die Nacht. Ein zweites scharfes und schmales Ding kam aus dem Loch im Felsen hervor wie eine Zunge aus einem Maul, leckte Gilliatts nackten Rücken zu seinem höchsten Entsetzen, dann wurde es unendlich lang und dünn und legte sich auf seine Haut rings um den ganzen Brustkorb. Ein unerhörter, unvergleichlicher Schmerz durchzuckte in diesem Augenblick Gilliatts gespannte Muskeln. Es war ihm, als wenn unzählige Lippen sich an sein Fleisch hefteten und sein Blut auszusaugen suchten. Ein dritter Arm schoß aus dem Felsen heraus, tastete nach Gilliatt, traf seine Seiten wie ein Peitschenhieb und heftete sich daran fest.

Das Übermaß von Angst macht stumm. Gilliatt entrang sich nicht ein Schrei. Es war hell genug, daß er die-widerlichen Gebilde sehen konnte, die an ihm hafteten. Pfeilschnell kam ein vierter Arm herausgeschnellt und rollte sich um seinen Bauch herum. Es war ganz unmöglich, die zähen Riemen abzuschneiden oder herabzureißen, die an so vielen Stellen sich eng an seinen Körper anlegten. Von jeder dieser Stellen gingen eigenartige, entsetzliche Schmerzen aus, wie wenn sein Körper von einer Unzahl kleiner Manier zugleich zerrissen würde. Ein fünfter Arm kam aus dem Loch herausgekrochen und legte sich über die anderen auf Gilliatts Zwerchfell, einen solchen Druck ausübend, daß er kaum mehr atmen konnte. Die am Ende spitz zulaufenden Riemen verbreiterten sich nach ihrem Ausgangspunkt zu wie ein Degen zum Griff hin. Sie gehörten offenbar alle fünf ein und demselben Mittelpunkt an und krochen, sich schlangelnd, auf Gilliatt herum. Er fühlte, wie ihre Enden, die er für Manier hielt, sich vom Platz bewegten.

Plötzlich ward dieser Mittelpunkt sichtbar: ein großer, runder, flacher Schleimkörper, in dem sich die fünf Riesen vereinigten wie Speichen in einer Radnabe, kam hervorgekrochen. Auf der entgegengesetzten Seite waren die Anfänge von drei weiteren Fühlarmen zu sehen, die noch in der Felsenspalte steckten. Im Mittelpunkt des Schleimkörpers befanden sich zwei Augen, die um sich blickten. Sie sahen auf Gilliatt. Er erkannte einen Kraken.   - Victor Hugo, Die Arbeiter des Meeres, Leipzig 1954 (zuerst 1866)

 

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