orrektor Es ist, als sei man in einem Irrenhaus, mit der Erlaubnis, für den Rest seines Lebens zu onanieren. Die Welt wird mir auf den Schreibtisch gelegt, und man verlangt von mir nur, daß ich die Katastrophen herauspicke. Es gibt nichts, in was diese glatten Jungens von oben nicht ihre Nase stecken: keine Freude, kein Elend bleibt unbemerkt. Sie leben mit den harten Tatsachen des Lebens, in der Wirklichkeit, wie man so sagt. Es ist die Wirklichkeit eines Sumpfes, und sie sind die Frösche, die nichts Besseres zu tun wissen, als zu quaken. Je mehr sie quaken, desto wirklicher wird das Leben. Rechtsanwälte, Priester, Ärzte, Politiker, Journalisten - das sind Quacksalber, die ihren Finger am Puls der Welt haben. Eine dauernde Atmosphäre des Unheils. Es ist wunderbar. Es ist, als ändere sich das Barometer nie, als sei die Flagge ständig auf halbmast. Man kann jetzt sehen, wie die Vorstellung des Himmels im menschlichen Bewußtsein Wurzel faßt, wie sie Boden gewinnt, auch wenn alle Stützen unter ihr weggeschlagen wurden. Es muß noch eine andere Welt geben außer diesem Sumpf, in den alles kunterbunt hineingeworfen ist. Es ist schwer, sich vorzustellen, wie dieser Himmel wohl aussehen mag, den der Mensch sich erträumt. Ein Froschhimmel, ohne Zweifel. Miasma, Schlamm, Seerosen, stehendes Wasser. Ungestört auf einem großen Seerosenblatt sitzen und den ganzen Tag quaken. So etwa stelle ich mir das vor.
Diese Katastrophen, die ich in Korrektur lese, haben eine wunderbar
heilende Wirkung auf mich. Man stelle sich einen Zustand völliger Immunität
vor, ein geschütztes Dasein, ein vollkommen gesichertes Leben inmitten
von Giftbazillen. Nichts berührt mich, weder Erdbeben noch Explosionen,
noch Aufstände, noch Hungersnöte, noch Zusammenstöße, noch Kriege oder
Revolutionen. Ich bin gegen jede Krankheit, jedes Unglück, jeden Kummer
und jedes Elend geimpft. Es ist der Gipfel eines Lebens in Unerschütterlichkeit.
Ich sitze in meinem kleinen Verschlag und lasse alle Gifte, die die Welt
jeden Tag erzeugt, durch meine Hände gehen. Nicht einmal ein Fingernagel
wird dabei schmutzig. Ich bin völlig immun. Ich bin sogar besser dran als
ein Laborant, denn hier gibt es keine schlechten Gerüche, nur den nach
geschmolzenem Blei. Die Welt kann in die Luft fliegen - ich werde trotzdem
hier sitzen, um ein Komma oder ein Semikolon einzusetzen. Ich bekomme vielleicht
sogar eine kleine Überstunden-Zulage, denn ein solches Ereignis ist dazu
angetan, ein Extrablatt zu rechtfertigen. Wenn die Welt in die Luft fliegt
und das Extrablatt in Druck gegangen ist, werden die Korrektoren ruhig
alle Kommas, Semikolons, Bindestriche, Sternchen, runde und eckige Klammern,
Punkte, Ausrufezeichen usw. einsammeln und sie in eine kleine Schachtel
über dem Redakteursessel legen. Comme ça tout est réglé. - (krebs)
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