Konzept-Kunst  Das erschütternde, schmerzerfüllte Brüllen eines Stieres ertönt. Daniel späht durch die Menge, und das erste, was er sieht, ist ein ausgewachsenes Rind, das wild ausschlägt. Nur mit Müh und Not kann es von einigen Männern gebändigt werden. Die Männer legen das machtlose und verzweifelte Tier auf einen Holztisch. Sein Maul ist weit aufgerissen; in seinen Augen steht Wahnsinn; seine Hinterbeine sind gefesselt, so daß der Körper die Form eines Kreuzes bildet. Überall im Raum hängen Kreuze verschiedenster Form und Größe. Sogar ein violettes Meßgewand mit aufgesticktem Kreuz. Bevor Daniel sich noch weitere Details anschauen kann, gellt ein unerträglicher, metallischer Schrei in seinen Ohren. Die Leute um ihn herum zucken zusammen. Einer stößt pfeifend Luft durch die Zähne aus. Der Herzschlag all dieser Leute ist zu hören und wirkt wie eine beharrliche Hintergrundmusik. Dann sieht Daniel die Kreissäge, mit der man normalerweise Baumstämme durchsägt, und die sich jetzt mit rasender Geschwindigkeit auf das Tier zubewegt. Ängstlich hält man die Luft an. Mit offenem Mund, wie hypnotisiert, verfolgt man die Szene und wartet ab, was nun passieren wird. Die dichtgedrängte Menge steht mucksmäuschenstill. Plötzlich ist die Säge schon ein Teil des Maules. Diese wahnsinnigen Augen! Auf einmal hört das Brüllen auf. Ein Strahl aus Blut, Haut und Hirnmasse spritzt gegen die Decke und regnet auf die Zuschauer nieder. Instinktive Fluchtbewegungen, Panik, Schreie. Alle versuchen, sich mit Armen und Händen zu schützen. Daniel springt zurück. In einer Ecke erbricht sich ein junger Mann. Ein Mann mit Tirolerhut schleudert blasphemische Flüche in den Raum. Seine Frau sagt keinen Ton, um nicht ein Kunstwerk zu kritisieren, das sie nicht versteht. Ein Sportsmann, dessen Jacke mit Blut beschmiert ist, brüllt vor Lachen. Daniel bemerkt, daß er selbst auch Blutflecken auf der Schulter hat. Maria lacht immer noch und zieht ihn weiter, auf der Suche nach neuen, aufregenden Ereignissen. Auch auf ihrem tief dekolletierten, grünen Kleid sind Blutflecke zu sehen.   - Andreu Martín, Aus Liebe zur Kunst. Frankfurt am Main 1994
 
 

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