onzentration »Jetzt
aber lasse mich alle meine Kräfte sammeln, alle meine
Gedanken in einem einzigen Brennpunkt vereinigen, ich will mit aller Gewalt
an das Fürchterliche des menschlichen Lebens denken, an die Unvollkommenheit
der Welt, an die Myriaden von Leben, die sich zerfleischen, an die Raubtiere,
die einander toten, an die Schlange, die das Rehkitz aus dem Schatten lockt,
an die Wolfe, die Lämmer fressen, an die Gottesanbeterin, die ihren Gatten mordet,
an die Bienen, die nach ihrem Stich sterben müssen, an den Schmerz der Mutter,
die uns gebiert, an die blinden Katzchen, die von Kindern in den Fluß geworfen
werden, an das Grauen der Fische im Schlunde des Wales, an das Grauen des Wales,
der auf dem Ufer strandet, an die Trauer der Elefanten, die vor Alter sterben,
an die kurzfristige Freude des Schmetterlings, an die tauschende Schönheit der
Blume, an den kurzen Schwindel der verliebten Umarmung, an den Schrecken des
vergossenen Samens, an die Ohnmacht des alt gewordenen Tigers, an faule Zähne
im Munde, an die Myriaden toten Laubes, das sich in den Wäldern häuft, an die
Angst des aus dem Ei geschlüpften Vögelchens, das von seiner Mutter aus dem
Nest gedrückt wird, an die höllischen Qualen des Regenwurmes, der in der Sonne
brät wie im lebendigen Feuer, an die Pein des Abschiedes von Verliebten, an
den Schrecken der Aussätzigen, an die schreckliche Metamorphose
von Frauenbrüsten, an Wunden, an den Schmerz
der Blinden...«
Und dann sah man plötzlich, wie sich der sterbliche Leib Simons, des Wundertäters,
von der Erde trennt, wie er aufrecht immer höher fliegt, nur leicht mit den
Händen rudernd, so wie Fische ihre Flossen bewegen, fast unmerklich, und nur
Bart und Haare schwingen von diesem
langsamen Fliegen, von diesem Schweben. - (
kis
)
Konzentration (2) Als Khung-Tse auf
dem Wege nach dem Staate Thschu aus einem Walde trat, sah er einen Buckligen,
der mit einer Leimrute Zikaden fing, als läse
er sie mit der Hand auf.
«Du bist geschickt!» rief er. «Gibt es einen Weg dazu?»
«Es gibt einen Weg», antwortete der Bucklige. «Fünf oder sechs Monate
lang übte ich mich, zwei Bälle auf meiner Leimrute
zu wiegen. Als sie nicht mehr fielen, verfehlte ich nur noch wenige Zikaden.
Als ich drei Bälle wiegen konnte, verfehlte ich von zehn Zikaden nur eine.
Als ich fünf wiegen konnte, fing ich Zikaden, als läse ich sie mit der
Hand auf. Ich halte meinen Körper wie einen Baumstumpf, meinen Arm wie
einen abgestorbenen Ast. Von Himmel und Erde, so groß sie sind, und den
vielen Dingen darin weiß ich nichts als die Flügel meiner Zikaden. Ich
wende mich nicht, ich neige mich nicht zur Seite; ich tausche nicht für
alle Dinge die Flügel meiner Zikaden. Wie sollte es mir nicht gelingen?»
Khung-Tse sah seine Schüler an und sagte: «Wo der Wille
an einem haftet, sammelt der Geist
seine Macht. Das ist die Lehre dieses Buckligen.»
- (tschu)
Konzentration (3) Ich fing an, mir vorzustellen, daß Julie
eine Prostituierte war. Allerdings beschimpfte ich sie nicht und verlangte auch
nichts Abartiges von ihr, da es meine Phantasie und nicht ihre war. Wenn wir
uns liebten, stellte ich mir nur vor, daß sie mich an der Straßenecke angesprochen
und mich gebeten hatte, zu ihr in einen Wagen zu steigen. Nach einigem Feilschen
konnte ich sie dann überreden, zu mir in die Wohnung zu kommen, wo sie ihren
weißen Kunstpelz und ihren Lederrock auszog und zu mir ins Bett kam. Sie streifte
ihre Netzstrümpfe ab, hakte ihren schwarzen BH auf, legte sich auf den Rücken,
streckte die Beine und die roten Pumps zur Decke hoch und stieß perverse Schreie
aus.
Manchmal fragte mich Julie, warum ich beim Sex immer die Augen zumachte,
und ich sagte ihr, daß ich mich so besser auf meinen Orgasmus
konzentrieren könne. -
Jason Starr, Top Job. München 2006 (SZ Kriminalbibliothek 31)