Kontaktmann   Der Hauptmann wußte aus einem umfänglichen Aktenstück, das sich auf Calogero Dibella, genannt Parri-nieddu, den Kontaktmann, bezog, daß der Mann einer der beiden eosche der dörflichen Mafia nahestand, ja vielleicht angehörte. (Man hatte ihm erklärt, daß cosca der dichte Blätterkranz der Artischocken ist.) Und zwar derjenigen, die, wenn auch nicht nachweisbar, Einfluß auf die öffentlichen Arbeiten hatte. Die andere, jüngere und waghalsigere cosca, befaßte sich, da S. ein Dorf am Meer war, mit dem Schmuggel amerikanischer Zigaretten. Der Hauptmanh sah deshalb die Lüge des Kontaktmanns voraus. Gleichwohl war es nützlich, seine Reaktionen bei dieser Lüge zu beobachten. Er hörte ihn an, ohne ihn zu unterbrechen, und versetzte ihn durch gelegentliches verstreutes Nicken in immer größere Verlegenheit, Und währenddessen dachte er an jene Kontaktleute, die unter einer dünnen Schicht Erde und trockener Blätter in den Tälern des Apennin lagen. Armselige Leute, nichts als schmutzige Angst und als Laster. Und doch spielten sie ihre Todespartie. Auf dem Grat der Lüge zwischen Faschisten und Partisanen spielten sie um ihr Leben. Und das einzig Menschliche an ihnen war dieser Todeskampf, in dem sie um sich schlugen und in den sie eben ihrer Feigheit wegen geraten waren. Aus Todesangst stellten sie sich jeden Tag dem Tod. Und schließlich tauchte der Tod empor. Endlich der Tod. Als letztes, endgültiges, einziges, der Tod. Nicht mehr das doppelte Spiel, der doppelte Tod jeder Stunde. Der Kontaktmann von S. wagte sein Leben. Die eine oder die andere cosea würde ihn eines Tages mit einem doppelten Schrotschuß oder einer Maschinenpistolensalve erledigen. (Auch im Gebrauch der Waffen unterschieden sich die beiden coschel} Aber wenn er sich zwischen Mafia und Carabinieri entscheiden mußte, den beiden Parteien, zwischen denen er sein Hasardspiel betrieb, drohte der Tod ihm nur von der einen Seite. Hier auf dieser Seite gab es keinen Tod. Hier saß dieser blonde, gutrasierte Mann in seiner eleganten Uniform. Dieser Mann, der beim Sprechen das S verschluckte, der die Stimme nicht erhob und ihn nicht verächtlich behandelte. Und doch war er das Gesetz, schrecklich wie der Tod. Nicht das Gesetz, das aus Vernunft entsteht und selbst Vernunft ist. Für den Kontaktmann war das Gesetz das Gesetz eines Mannes, das von den Gedanken und den Lauten dieses Mannes seinen Ausgang nimmt. Von dem Kratzer, den er sich beim Rasieren zufügen kann, oder von dem guten Kaffee, den er getrunken hat. Ein völlig vernunftloses Gesetz, das jeden Augenblick von dem geschaffen wird, der befiehlt. Von der Polizei oder dem Carabinieri-Wachtmeister, vom Polizeipräsidenten oder vom Richter. Alles in allem von dem, der die Macht hat. Daß das Gesetz unveränderlich geschrieben stand und für alle gleich war, hatte der Kontaktmann nie geglaubt, noch konnte er daran glauben. - Leonardo Sciascia, Der Tag der Eule. Zürich 1991
 
 

Kontakt Mann

 

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V-MannSpitzel
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