ondor
Besonders ein Kondor ist mir in Erinnerung geblieben, ein riesiger
Vogel mit nacktem Hals, verrunzeltem Gesicht und wuchernden Höckern. Es war
ein magerer Asket, ein buddhistischer Lama, dessen ganzes nach dem eisernen
Zeremoniell seiner großen Sippe ausgerichtetes Verhalten voll unerschütterlicher
Würde war. Wenn er sich meinem Vater gegenübersetzte, in der reglosen Haltung
unsterblicher ägyptischer Gottheiten, das Auge von einer weißlichen Nickhaut
überzogen, die er von der Seite her über die Pupille schob, um sich vollständig
in die Kontemplation seiner erhabenen Einsamkeit
zurückzuziehen, dann gab er sich mit seinem steinernen Profil
als älterer Bruder meines Vaters aus. Die gleiche Körpermaterie, Sehnen und
runzlige, harte Haut, das gleiche ausgedörrte und knochige Gesicht, die gleichen
verhornten tiefen Augenhöhlen. Sogar die Hände mit ihren dicken Knoten, die
langen, mageren Hände meines Vaters mit den gewölbten Fingernägeln bildeten
eine Analogie zu den Krallen des Kondors. Wenn ich ihn so schlafen sah, drängte
sich mir der Eindruck auf, ich hätte eine Mumie vor
mir, die ausgetrocknete und daher geschrumpfte Mumie meines Vaters. Ich vermute,
auch meiner Mutter war die äußerst merkwürdige Ähnlichkeit
nicht entgangen, obwohl wir das Thema niemals ansprachen. Bezeichnend ist, daß
der Kondor dasselbe Nachtgeschirr wie mein Vater
benutzte.
- (
bs2
)
Kondor
(2) Einmal nahm Ich in Peru an einem rituellen
Fest teil, bei dem der Condor geopfert wird. Es wiederholt sich im Februar.
Die Leute sind grausam; obwohl sie ihn als Gott verehren, quälen sie ihn
langsam zu Tod. Vor allem aber wird der gefangene Condor zum Stierkampf
aufbewahrt. Zuvor läßt man ihn eine Woche lang hungern, dann bindet man
ihn, als ob er ritte, auf den Rücken des Stieres, den man mit Lanzen bfutig
gestochen hat. Das Volk gerät in Paroxismus, während der Condor mit ausgeschwungenen
Flügeln das mächtige Tier zerfleischt. - Ernst Jünger, Eumeswil.
Stuttgart 1977
|
||
|
||