Koma    Sie hatten sich angewöhnt, an Mechas Bett laut zu sprechen, das Flüstern am Anfang war völlig unbegründet, weil Mecha nichts hören konnte, Doktor Raimondi war sich sicher, daß der komatöse Zustand sie jeder Sinneswahrnehmung beraubte, man konnte gleich was sagen, ohne daß sich an ihrem Ausdruck völliger Teilnahmslosigkeit etwas änderte. Sie sprachen immer noch über das verschwundene Thermometer, als man Schüsse an der Ecke hörte, vielleicht auch weiter weg, in der Gegend von Gaona. Sie blickten einander an, die Krankenschwester zuckte die Achseln, denn Schüsse waren nichts Neues, weder in diesem Viertel noch anderswo, und Doña Luisa wollte gerade noch etwas bezüglich des Thermometers sagen, als sie sahen, wie ein Beben Mechas Hände durchlief. Es dauerte nur eine Sekunde, aber beide hatten sie es bemerkt, Dona Luisa stieß einen Schrei aus, und die Krankenschwester hielt ihr den Mund zu, Señor Botto kam aus dem Wohnzimmer gelaufen, und alle drei sahen, wie das Beben wiederkehrte und Mechas ganzen Körper durchlief, eine flinke Schlange, die vom Hals bis zu den Füßen glitt, ein Rollen der Augen unter den Lidern, ein leichtes, krampfartiges Zucken, das die Gesichtszüge veränderte, wie ein Drang zu sprechen, zu klagen, der Puls ging schneller, dann die langsame Rückkehr zur Reglosigkeit. Telefon, Raimondi, im Grunde nichts Neues, vielleicht etwas mehr Hoffnung, obgleich er das nicht sagen wollte, heilige Jungfrau Maria, möge es wahr sein, mach, daß mein Kind aufwacht und diese Qual, o Gott, ein Ende nimmt. Aber sie nahm kein Ende, das Beben begann eine Stunde später erneut, dann in kürzeren Abständen, es war, als träume Mecha und als sei ihr Traum quälend und unerträglich, ein Alptraum, der wieder und wieder kam, ohne daß sie ihn verscheuchen konnte, bei ihr bleiben und sie ansehen, zu ihr sprechen, ohne daß etwas von außen sie erreichte, heimgesucht von diesem anderen, das die Seelenqual aller, für die eine Kommunikation nicht möglich war, noch verlängerte, rette sie, o Gott, steh ihr bei, und Lauro, der von einer Vorlesung nach Hause kam und ebenfalls vor dem Bett verweilte, legte seiner betenden Mutter eine Hand auf die Schulter.  - Julio Cortázar, Alpträume. In: J.C., Ende der Etappe. Frankfurt am Main 1998
 

Schlaf Unbewußt

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

Verwandte Begriffe
Synonyme