Kollegialität   Der Leser wird verstehen, daß ich nicht allzu deutlich werden kann. Meine Existenzform beruht in hohem Maße auf Einbildung und verlangt in dieser Hinsicht viel guten Willen. Ich werde nicht nur einmal an ihn und seine sehr subtilen Schattierungen appellieren, auf die man lediglich mit einem gewissen diskreten Augenzwinkern hinweisen kann, das mir infolge der Steifheit meiner aller mimischen Bewegungen entwöhnten Maske ganz besonders schwerfallt. Außerdem dränge ich mich niemandem auf und bin weit davon entfernt, vor Dankbarkeit für ein Asyl, das mir in jemandes Einbildung gewährt wurde, zu zerfließen. Ich quittiere dieses Zugeständnis ohne Rührung, kalt und mit völliger Gleichgültigkeit. Ich mag es nicht gern, wenn mir jemand zugleich mit der Wohltat des Verstehens als Rechnung die Dankbarkeit präsentiert. Am besten ist es, wenn man mich mit einer gewissen gesunden Rücksichtslosigkeit, scherzhaft und kollegial behandelt. In dieser Hinsicht treffen meine ehrlichen, geistig schlichten Bürokollegen und die jüngeren Amtskollegen den richtigen Ton.

Ich gehe mitunter, so um den Ersten eines jeden Monats, zu ihnen, bleibe leise an der Barriere stehen und warte, bis man mich bemerkt. Dann spielt sich jedesmal folgende Szene ab. In einem bestimmten Augenblick legt der Bürovorstand, Herr Ka-watkiewicz, die Feder weg, gibt den Beamten mit den Augen ein Zeichen und sagt plötzlich, während er an mir vorbei in die leere Luft starrt, mit der Hand am Ohr: »Wenn mich mein Gehör nicht trügt, dann sind jetzt Herr Rat irgendwo bei uns im Zimmer.« Seine Augen, hoch über mich hinweg ins Leere gerichtet, beginnen zu schielen, während er das sagt, das Gesicht lächelt schalkhaft. »Ich habe eine Stimme im Kosmos vernommen und dachte mir sogleich, daß es unser lieber Herr Rat sein muß!« ruft er laut-und angestrengt wie zu jemand weit Entfernten. »Geben Sie ein Zeichen, trüben Sie wenigstens die Luft an der Stelle, wo Sie schweben.« — »Lose Scherze, Herr Kawatkiewicz«, sage ich leise, ihm direkt ins Gesicht, »ich bin um meine Pension gekommen.« — »Um die Pension?« schreit Herr Kawatkiewicz und starrt schielend in die Luft. »Haben Sie gesagt: Um die Pension? Sie scherzen, lieber Herr Rat. Sie sind schon längst von der Pensionsliste gestrichen. Wie lange wollen Sie noch Pension beziehen, geehrter Herr?«

Auf diese Weise scherzen sie mit mir auf eine warme, belebende und menschliche Art. Diese ungenierte Derbheit, dieser unzeremonielle Griff am Ärmel bereiten mir eine seltsame Erleichterung. Ich komme von dort gestärkt und munter heraus und eile schnell nach Hause, um ein bißchen von dieser angenehmen inneren Wärme, die schon am Verdunsten ist, in die Wohnung zu bringen.    - Bruno Schulz, Der Pensionist. In: B. S., Die Zimtläden und alle anderen Erzählungen. München 1966

 

Kollege

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme