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Ich war immer gut in Mathematik und fing an Schach zu spielen, um mein analytisches
Talent auszuleben. Im College war ich Kapitän des Schachteams, meine Spieler
waren fast ausschließlich Mathematiker und spielten fast alle — wie ich auch
— auf Kompetenz-Level. Dann begannen einige aus dem Team, die nicht zugleich
auch Mathematiker waren, Schach auf Tempo zu spielen
— mit Zeiten von fünf oderzehn Minuten pro Spiel. Daneben spielten sie eifrig
die Spiele der Großmeister nach. Ich machte nicht mit. Schnell-Schach machte
mir keinen Spaß, weil es mir keine Zeit ließ, meine Züge zu überlegen. Großmeister-Spiele
schienen mir unergründlich. Und da die Spielprotokolle fast nie (wenn überhaupt
jemals) Regeln oder Prinzipien angaben, die die Züge erklärten, glaubte ich,
daß ich nichts von diesen Spielen lernen konnte. Einige der Spieler im Team,
die beim Schnell-Schach und der Beschäftigung mit den Großmeister-Spielen eine
Menge konkrete Erfahrungen sammelten, wurden später Schachmeister. Wenn ich
mich unter meinen akademischen Mathematiker-Kollegen umsehe, von denen fast
alle Schach spielen, keiner aber (genau wie ich) je über das Kompetenz-Level
hinausgekommen ist, wird mir klar, daß unsere Auffassung von Schach als einem
streng analytischen Spiel uns vom Sammeln konkreter Erfahrungen abgehalten hat.
Während schachbegeisterte Jugendliche heute überwiegend Mathematikstudenten
und Studenten verwandter Fächer sind, kann man unter den Weltklasse-Spielern
Lastwagenfahrer ebenso finden wie Mathematiker — wahrscheinlicher noch aber
Amateurpsychologen oder Journalisten. Irgendwie bin ich fast froh, daß mein
analytischer Zugang zum Schach meine Entwicklung auf diesem Gebiet behindert
hat — denn das hat mir zu der Erkenntnis verholfen, daß zum Können mehr dazugehört
als nur logisches Denken. - Aus: Hubert L. und Stuart E. Dreyfus, Künstliche
Intelligenz. Von den Grenzen der
Denkmaschine
und dem Wert der Intuition. Reinbek bei Hamburg 1991 (zuerst 1986)
Können (2)
Immer weniger können Nicht mehr hinten hoch können |
- Robert Gernhardt, nach: Der Rabe, Magazin für
jede Art Literatur Nr. 38, Zürich 1993
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