nüppeln  Weil der Zweite Offizier während der Reise erkrankte, wurde ich zum Wachoffizier befördert und durfte meine Wache alleine gehen. So wurde die ungeheure Hebelkraft der hohen Masten dieses Schiffes zu einer sehr persönlichen Angelegenheit für mich. Für einen jungen Mann war es wohl so etwas wie ein Kompliment, daß ihm offenbar ohne jegliche Beaufsichtigung von einem Kommandanten wie Kapitän S. dieses Vertrauen geschenkt wurde; obgleich, soweit ich mich erinnern kann, weder der Ton noch die Art und ebensowenig die Tendenz seiner Äußerungen mir gegenüber auch nur im mindesten auf eine günstige Meinung von meinen Fähigkeiten schließen ließen. Und ich muß sagen, er war schon ein recht unbequemer Kapitän, wenn man sich nachts seine Befehle von ihm holen mußte. Wenn ich die Wache von acht bis Mitternacht hatte, verließ er gewöhnlich gegen neun Uhr das Deck mit den Worten: »Nehmen Sie keine Segel weg«, und ehe er ganz im Niedergang verschwand, pflegte er dann noch kurz hinzuzufügen: »Aber lassen Sie nichts wegfliegen.« Zu meiner Freude kann ich sagen, daß mir das nie passiert ist; aber eines Nachts wurde ich ziemlich unvorbereitet vom plötzlichen Umspringen des Windes überrascht.

Dabei gab es natürlich viel Lärm an Deck. Das Umherrennen und Aussingen der Leute, das Schlagen der Segel hätten genügt, einen Toten aufzuwecken. Doch der Alte kam nicht an Deck. Als ich aber eine Stunde später vom Ersten abgelöst wurde, ließ er mich rufen. Ich ging zu ihm in den Salon, wo er in eine Decke gehüllt mit einem Kissen unterm Kopf auf dem Sofa lag.

»Was war denn eben mit Ihnen da oben los?« fragte er. »Der Wind sprang um und kam plötzlich von Lee achtern ein«, sagte ich.

»Konnten Sie das nicht rechtzeitig merken?« »Doch, Herr Kapitän, ich dachte nur, es würde noch etwas dauern.« »Warum haben Sie dann nicht sofort die Untersegel aufgeien lassen?« fragte er mich hierauf in einem Ton, der einem das Blut in den Adern erstarren lassen konnte. Aber ich sah meine Chance, und ich ließ sie mir nicht entgehen. »Jawohl«, sagte ich wie zu meiner Rechtfertigung, »wir liefen gut elf Knoten, und ich dachte, eine halbe Stunde etwa könnte ich noch alles stehen lassen.« Einen Augenblick lag er wie erstarrt auf seinem weißen Kissen, dann warf er mir einen finsteren Blick zu:

»So, so, noch eine halbe Stunde. Auf diese Weise werden Schiffe entmastet.« Das war die ganze Standpauke, die er mir hielt. Ich wartete noch eine Weile, dann ging ich hinaus und machte die Salontür ganz vorsichtig hinter mir zu.

Nun, ich habe die See geliebt, ich habe lange mit ihr gelebt, und schließlich habe ich sie verlassen, ohne jemals erlebt zu haben, wie dieses hochaufragende Gefüge eines Segelschiffes, das aus Reisern, Spinnweben und Sommerfäden besteht, über Bord ging. Reine Glücksache, ohne Zweifel. Doch was den armen P. betrifft, so bin ich sicher, daß er nicht unbeschadet davongekommen wäre, wenn ihn der Gott der Stürme nicht so früh von dieser Welt abberufen hätte, von dieser Welt, die zu Dreivierteln aus Meeren besteht und daher eine so passende Stätte für Seeleute ist. Ich traf einige Jahre später in einem indischen Hafen einen Mann, der auf Schiffen derselben Reederei gefahren hatte. In unserm Gespräch kamen wir auch auf verschiedene Namen zu sprechen, Namen von Kollegen im gleichen Dienstverhältnis, und so erkundigte ich mich natürlich auch nach P. Hatte er schon ein Schiff als Kapitän? Die Antwort des andern klang sehr unbekümmert: »Nein, aber er ist gut versorgt. Eine schwere See holte ihn auf der Reise zwischen Neuseeland und der Hoorn von der Poop.«

So verschwand P. aus der Mitte der hohen Schiffsmasten, die er bei so manchem stürmischen Wetter bis zum äußersten überlastet hatte. Mir hatte er gezeigt, was Knüppeln heißt, aber er war nicht der Mann, von dem man Besonnenheit lernen konnte. Er war nicht schuld an seiner Schwerhörigkeit. Nun blieb uns die Erinnerung an sein heiteres Gemüt, an seine Bewunderung für die Witze im ›Punch‹, an seine kleinen Eigenarten wie die merkwürdige Leidenschaft, sich Spiegel auszuleihen. Jede Kammer hatte ihren eigenen Spiegel, der am Schott festgeschraubt war. Was er mit mehr als einem wollte, haben wir nie herausbekommen. Er tat immer sehr geheimnisvoll dabei. Warum? Ein Rätsel. Wir stellten die verschiedensten Vermutungen an. Nun wird es niemand mehr erfahren. Auf jeden Fall war es eine harmlose Absonderlichkeit, und der Gott der Stürme, der ihn so jäh zwischen Neuseeland und der Hoorn von Bord holte, möge seine Seele in ein Paradies wahrer Seeleute eingehen lassen, wo kein noch so hartes Knüppeln jemals ein Schiff entmasten kann! - (con)

Schiff Knüppel
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