nopfstiefel
Zunächst konzentrierte sich mein Verlangen, da es das nächstliegende
Objekt war, auf meine Schwester Gertrud. Oft saß ich stundenlang bei ihr oder
ich half ihr in der Küche, nur um den Anblick ihrer mit zierlichen Knopfstiefeln
bekleideten Füße zu genießen. Weil aber solches Beginnen keineswegs eine Befreiung
von der brennenden Begierde brachte, sondern die nervenzerreibende, energiezerstörende
Unruhe ins Uferlose steigerte, kam ich auf den Gedanken, einfach die Objekte
meiner höllischen Lust abends heimlich in mein Zimmer zu nehmen, um mich an
ihnen zu befriedigen. Ich schlich mich also, kaum waren Karl und Gertrud zu
Bett, nach der Küche, holte mir Stiefel und Knöpfer und schloß mich mit fieberndem
Gehirn in meine schmale Schlafkammer ein. Mit zitternden Händen probierte ich
die Stiefel an und ein teuflischer Zufall wollte, daß sie an meinen Fuß paßten
wie angemessen. Ich schritt einigemale im Zimmer auf und ab, um das Gehen auf
hohen Absätzen recht ausgiebig zu genießen; dabei vollzog sich plötzlich eine
merkwürdige Verwandlung in meinem ganzen Wesen. Ich fühlte mich auf einmal als
Mädchen, ein schreckliches Verlangen nach männlicher Gewalt ergriff mich, am
liebsten hätte ich mich aufs Bett werfen lassen, bereit, jeden Mißbrauch meines
Körpers zu erdulden. Ich verlor mich so sehr, daß mir für Augenblicke die Erinnerung
an meinen früheren Zustand völlig schwand und ich im trüben Meere einer gefährlichen,
alles aufsaugenden weiblichen Empfangsbereitschaft versank. Es schien, als ob
meine ganze männliche Willensbetontheit untergegangen wäre in dem einen Wunsch,
Gewalt zu erleiden. Obgleich ich keine genaue Vorstellung von den Dingen hatte,
die bei der Vereinigung der beiden Geschlechter vor sich gingen, erschrak ich
doch vor den Konsequenzen meines Wunsches, eine fürchterliche Angst ergriff
mich, mich ganz in diesem Ozean verkehrter Lüste zu verlieren. Heiße Scham überfiel
mich plötzlich bei dem blitzartig auftauchenden Gedanken, was wohl Winnetou
oder Old Shatterhand oder sonst einer meiner Helden, dazu sagen würden, wenn
sie mich in diesem Zustand vom Jenseits aus beobachteten.
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Rudolf Schlichter, Das widerspenstige Fleisch. Berlin 1991 (zuerst 1932)
Knopfstiefel (2)
Knopfstiefel (3)
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