So wie jede reife Existenz des Menschen ihr entsprechendes Gegenstück in
den Formen und Inhalten der höheren Kultur hat, so besitzt auch diese heimliche
und inoffizielle Existenz eine Welt entsprechender Gegenstücke, in der sie sich
fortbewegt und wirkt. Vom Standpunkt der Kultur aus sind dies bestimmte Neben-
und Abfallprodukte kultureller Prozesse, eine Zone subkultureller unausgeformter
und rudimentärer Inhalte, ein riesiger Schuttplatz, der die Randgebiete der
Kultur verunreinigt. Diese Welt von Kanälen und Gossen, diese ungeheure Kloake
der Kultur bildet jedoch eine Grundsubstanz, einen Dünger, einen lebenspendenden
Brei, aus dem jeder Wert und jede Kultur wächst.
Hier
befindet sich ein Sammelbecken gewaltiger emotionaler Spannungen, welche diese
subkulturellen Inhalte zu binden und sammeln vermochten. Unsere Unreife (und
im Grunde vielleicht unsere Lebenskraft) ist durch
tausend Knoten, tausend Atavismen, mit jener zweiten Garnitur der Form, mit
jener Kultur zweiter Klasse verknüpft, steckt kraft uralten Bündnisses und uralter
Gemeinschaft beharrlich in ihr. Während wir unter der Hülle erwachsener und
offizieller Formen höheren, verfeinerten Werken huldigen, findet unser tatsächliches
Leben heimlich und ohne höhere Sanktionen in dieser schmutzigen heimischen Sphäre
statt, und die in ihr gespeicherten emotionalen Energien sind hundertfach mächtiger
als jene, die der dünnen Schicht des Offiziellen zur Verfügung stehen. Gombrowicz
zeigt, daß sich gerade hier, in dieser verschmähten und unrühmlichen Sphäre,
schäumendes und üppiges Leben vermehrt, daß das Leben auch ganz gut ohne höhere
Sanktionen auskommen kann, daß unter dem hundertfachen Druck des Ekels und der
Schande es sich besser fortpflanzt als auf den Hochebenen der Sublimation. - Bruno Schulz, Nachwort
zu (
fer
)
Wir lauschten. Durch den Fußboden drang ein schwer zu beschreibendes Geräusch herauf: ein Gesumme, ein dumpfes Beben, ein Brodeln wie von unruhig gärenden Stoffen, und dazwischen Stimmen — kleine, spitze Schreie, Pfiffe, Gezischel.
»Wie viele mögen es sein?« fragte ich, und ein Schauder überlief mich.
»Was weiß denn ich? Millionen vielleicht... Jetzt schau einmal, aber schnell!« Er entzündete ein Streichholz und ließ es durch die geöffnete Falltür hinunterfallen. Sekundenlang sah ich in diese Höhle hinab, in der zahllose schwarze Formen übereinander hinwegkletterten, durcheinanderschossen, sich zu Wirbeln ballten. In diesem ekelerregenden Tumult brodelte eine Kraft, eine teuflische Vitalität, die niemand mehr würde aufhalten können. Und ich sah ihre Pupillen leuchten, Tausende. Bösartig starrten sie zu mir empor. Mit einem dumpfen Knall warf Giorgio die Falltür zu.
Und jetzt? Warum hat mir Giovanni geschrieben, er könne mich nicht mehr einladen?
Was ist geschehen? Gerne würde ich ihn aufsuchen, um mir Klarheit zu verschaffen,
aber ich gestehe, daß mir der Mut dazu fehlt. Von verschiedenen Seiten sind
sonderbare Gerüchte zu mir gedrungen. Die Leute, die davon sprechen, lachen
darüber, wie über Märchen. Aber ich lache nicht. Da heißt es zum Beispiel, daß
niemand mehr das Haus verläßt, und daß ein Mann aus dem Dorf die Lebensmittel
am Waldrand abstellen muß, weil man auch nicht mehr in das Haus hinein kann.
Riesige Mäuse, so erzählt man sich, hätten von ihm Besitz ergriffen, die Corios
seien zu ihren Sklaven geworden. Ein Bauer, der sich einmal heranwagte — nicht
zu nahe, weil an der Schwelle des Hauses ein Dutzend Ungetüme Wache hielten.
- Dino Buzzati, Die Maschine des Aldo Christofari. Frankfurt
am Main 1985
»Du glaubst mir doch, Korporal? Dieser Lord war nicht auf den Kopf gefallen,
er hat meine Wette angenommen. Und am nächsten Tag, genau um zwölf, als
sie anmarschiert kamen, die Schlappschwänze, die Polizisten und Soldaten
und Wärter und die komischen Kerle, die alle zu dem alten Kasten gehörten,
und die Bonzen von der Hochfinanz, und als mein Lord den Schlüssel herumdrehte
und die Tür des Tresors aufstieß, was meinst du, mein Freund, wer da mit
dem Hintern auf den Moneten Ihrer Gnädigen Majestät saß und sich mit ihren
dreckigen Kröten hatte vollstopfen können? Das war meine Wenigkeit, mein
Bester, und sie konnten mich alle sehen, wie du mich siehst, nur daß ich
mir einen Ast lachte, und ihnen fielen fast die Augen aus dem Kopf. Oh,
verdammte Scheiße! Das war kein Kino, das war sogar
noch toller als Fantomas! Sie kriegten sich
nicht ein, die ganzen hohen Tiere. Und es waren welche in der Bande, die
mich am liebsten umgebracht hätten, gemeine Kerls. Aber sie kamen nicht
an mich ran. Mein Lord hat mich am Arm gepackt und mitgenommen. Wir haben
uns alle beide in sein Büro eingeschlossen. Er wollte nicht, daß man uns
störte. Dahin wollte ich ja gerade kommen. Und es lief wie am Schnürchen.
Wir haben wie Kumpels miteinander geredet, und sofort waren wir uns einig.
Ich sagte dir ja, er war nicht auf den Kopf gefallen, der Knabe. Ich hab
mich halb totgelacht. Aber ich hab ihm mein Wort gegeben, nie etwas zu
sagen. Ich hab's geschworen. Und ich erzähl dir nur davon, weil ich sowieso
krepiere, glaub mir das . . .« - Blaise Cendrars, Wahre Geschichten. Zürich 1979
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