Klettermann    Mein Bruder hatte seine Liebeshändel, ohne jemals von den Bäumen zu steigen. Ich begegnete ihm einmal, wie er mit einer Matratze auf der Schulter über die Äste lief; er tat das mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der wir ihn Flinten, Seile, Handbeile, Doppelsäcke, Feldflaschen, Pulverhörner befördern sahen.

Eine gewisse Dorothea, ein galantes Frauenzimmer, gestand mir einmal, daß sie sich mit ihm getroffen habe; die Anregung sei von ihr ausgegangen, nicht des Geldes wegen, sondern um sich von der Sache ein Bild zu machen.

»Und wie war das Ergebnis?«

»Oh, ich bin's zufrieden...«

Ein anderes loses Mädchen, eine gewisse Zobeida, erzählte mir, daß sie von dem »Klettermann«, wie sie ihn nannte, geträumt habe, und dieser Traum zeugte von solcher Sachkunde und Kenntnis der Einzelheiten, daß sie ihn meiner Meinung nach selbst erlebt haben muß.

Natürlich weiß ich nicht, wie sich diese Dinge abspielten, aber Cosimo muß auf die Frauen eine besondere Anziehung ausgeübt haben. Seit er mit jenem Spanier zusammen war, legte er Wert auf ein gepflegtes Äußere. Er ging nun nicht mehr in Felle eingemummelt wie ein Bär, vielmehr trug er Hosen, einen eng anliegenden Frack und einen Zylinder nach englischer Art. Ja, auf Grund seiner Kleidung konnte man jetzt mit Sicherheit sagen, ob er auf die Jagd ging oder zu einem galanten Stelldichein unterwegs war.

Verbürgt ist auch folgendes: Eine Edelfrau reiferen Alters hier aus Ombrosa, deren Namen ich nicht erwähnen möchte (ihre Töchter und Enkelkinder leben noch und könnten daran Anstoß nehmen, aber damals war es eine allgemein bekannte Geschichte),   diese  Dame also  fuhr immer allein in ihrer Kutsche, mit dem alten Kutscher auf dem Bock, und ließ sich dorthin bringen, wo die Landstraße durch den Wald führt. Nach einer Weile sagte sie dann zum Kutscher: »Giovita, der Wald wimmelt von Pilzen! Flink! Füll dieses Körbchen, und dann komm zurück!«; zugleich reichte sie ihm einen Korb. Der Ärmste, der an Rheuma litt, kletterte vom Bock herunter, lud den Korb auf die Schulter, verließ die Fahrstraße, machte sich im Tau zwischen dem Farnkraut zu schaffen und drang immer tiefer in den Buchenwald ein, während er sich bückte und jedes Blatt durchforschte, um einen Steinpilz oder einen Pfifferling zu entdecken. Derweil verschwand die Dame aus der Kutsche im dichten Laubwerk, das die Straße überdachte, als würde sie in den Himmel entrückt. Mehr weiß man nicht darüber, außer daß Vorübergehende öfters die im Walde haltende Kutsche gesehen haben. Dann saß auf einmal die Dame wieder in der Kutsche, was sich auf die gleiche geheimnisvolle Weise vollzog wie ihr vorheriges Verschwinden, und blickte schmachtend vor sich hin.  - Italo Calvino, Der Baron auf den Bäumen. München 1984 (zuerst 1957)

 

Klettern Mann

 

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