Kleptomanie  Alison Langdon mit ihrer großen Nase und dieser ekelhafte Filipino — er verabscheute beide. Aber hassen konnte er Alison nicht, da sie ihm dazu keine Gelegenheit gab. Es ließ ihm keine Ruhe, daß er ihr verpflichtet war. Sie war nämlich der einzige Mensch in der Welt, der um eine gewisse peinliche Schwäche seiner Natur wußte: Hauptmann Penderton war Kleptomane. Er mußte ständig gegen die Versuchung ankämpfen, Dinge, die er bei andern Leuten sah, mitzunehmen. Immerhin war er dieser Schwäche nur zweimal in seinem Leben unterlegen. Als siebenjähriger Junge hatte er sich in den größten Raufbold seiner Klasse, der ihn einmal geprügelt hatte, so vernarrt, daß er ihm eine altmodische Silberdose für ausgefallene Haare, die er vom Toilettentisch seiner Tante entwendet hatte, als Geschenk brachte. Und siebenundzwanzig Jahre später, hier in der Garnison, war der Hauptmann rückfällig geworden. Auf einem Festessen zu Ehren einer jungen Braut hatte ein gewisser Gegenstand es ihm so angetan, daß er ihn in die Tasche gesteckt und nach Hause mitgenommen hatte. Es handelte sich um einen besonders schönen kleinen Löffel, ein sehr altes und kostbar ziseliertes Stück. Der Hauptmann war wie verhext gewesen von diesem Löffelchen (das übrige Tafelsilber war eher gewöhnlich) und hatte schließlich nicht widerstehen können. Als er seine Beute mit ein paar geschickten Griffen in seine Tasche manövriert hatte, stellte er fest, daß Alison, die neben ihm saß, den Diebstahl bemerkt hatte. Sie sah ihn groß an, mit einem Ausdruck höchster Verwunderung. Auch jetzt konnte er nicht ohne Schaudern daran denken. Alison hatte ihn eine entsetzlich lange Zeit angestarrt und hatte dann laut gelacht - ja, gelacht! Sie lachte so hemmungslos, daß sie sich verschluckte und jemand ihr den Rücken klopfen mußte.   - Carson McCullers, Spiegelbild im goldenen Auge. Zürich 1974 (zuerst 1941)
 
 

Dieb Manie

 

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