leben »Die Mehrzahl der Menschen lebt ja gar nicht«, sagte Kafka ungemein ruhig. »Sie kleben nur am Leben wie die kleinen Korallentierchen an einem Riff. Dabei sind die Menschen aber noch viel ärmer als diese primitiven Lebewesen. Sie haben kein festes, der Brandung trotzendes Felsenriff. Es fehlt ihnen auch ein eigenes Kalkgehäuse. Sie geben nur einen ätzenden Gallenschleim von sich, der sie noch schwächer und einsamer macht, da er sie von den anderen trennt. Was kann man da tun?«
Franz Kafka breitete die Arme aus und ließ sie wie ein Paar gelähmter Flügel
hilflos herabfallen. »Soll man gegen das Meer protestieren, das solche unvollkommene
Geschöpfe ins Leben setzt? Damit würde man ja nur gegen sein eigenes Leben protestieren,
da man ja auch nur so ein armes Korallentierchen ist. Man kann sich also nur
der Geduld befleißigen und allen, allen ätzenden Gallenschleim, der in einem
aufsteigt, wortlos hinunterwürgen. Das ist alles, was man tun kann, um sich
nicht der Menschen und seiner selbst schämen zu müssen.« - Gustav Janouch,
Gespräch
e
mit
Kafka
. Aufzeichnungen
und Erinnerungen. Frankfurt am Main 1981 (Fischer Tb. 5093, zuerst 1954)
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