larheit  Der Traum zerstört die Wirklichkeit des verlebten Tages, holt aus ihr irgendwelche Fragmente, wunderliche Bruchstücke hervor und setzt sie ungereimt zu einem arbiträren Muster zusammen - aber für uns ist diese Sinnlosigkeit eben ein tiefster Sinn, wir fragen, im Namen wovon uns der gewohnte Sinn vernichtet wurde; in das Absurde versonnen wie in eine Hieroglyphe, bemühen wir uns, seinen Grund zu entziffern, von dem wir wissen, daß er ist, daß er existiert . . . Die Kunst also kann ebenfalls und sollte die Wirklichkeit zerstören, sie in Elemente zerlegen, aus ihnen neue, ungereimte Welten bauen - in dieser Beliebigkeit ist ein Gesetz verborgen; die Antastung des Sinns hat ihren Sinn; der unseren äußeren Sinn vernichtende Wahn fuhrt uns in einen inneren Sinn hinein. Und der Traum offenbart den ganzen Idiotismus jener Forderung, die an die Kunst von einigen allzusehr klassizisierenden Geistern gestellt wird, daß sie »klar« sein müsse. Klarheit? Ihre Klarheit ist die Klarheit der Nacht, nicht die des Tages. Ihre Klarheit ist genauso wie die einer elektrischen Taschenlampe, die aus dem Dämmer einen Gegenstand hervorholt, den Rest in noch bodenlosere Finsternis tauchend. Sie muß - außerhalb der Grenzen ihres Lichtes - dunkel sein wie der Spruch der Pythia, mit einem von einem Schleier verhüllten Gesicht, von unvollendeter Aussage, in einer Vielheit der Sinne schillernd und weit umfassender als der Sinn. Klassische Klarheit? Die Klarheit der Griechen? Wenn euch das klar scheint, so nur darum, weil ihr blind seid. Geht am vollen Mittag euch die klassischste Venus anschauen, und ihr werdet schwärzeste Nacht sehen. - (gom)
 
 

Wahrheit

 

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