Kirchgänger »Ich bin in die Kirche gegangen.«

»Wozu?«

»Oh, heilige Einfalt, um zu beten

»Bravo!« meinte die Signora. »Ein gesegneter Mann, er hat gebetet!«

»Sind Sie denn nicht zu denen dort gegangen?«

»Zu denen dort, zu denen dort! Nennt ihr die Leute ›denen dort‹?«

»Also, wollen wir zum Schluß kommen?«

Der alte Schwager senkte seine Stimme:

»Ganz nah beim Hauptaltar, unter der Kanzel zu Füßen des Treppchens, ist eine Spinne

»Eine Spinne?«

»Unglücklicherweise ist sie größer und dicker als eine Kuh...«

»Aber mein Lieber!«

»Hört endlich auf, mich mein Lieber zu nennen! Ich schwöre euch beim Haupt meiner Tochter, daß diese Spinne dort ein Jahrhundert lang bleibt, wenn man nicht die Glocken läutet und ganz Catania zusammenruft!«

Und indem er das sagte, stand der kleine Alte auf:

»Schwägerin, gibt es in meinem Zimmer ein Vorhängeschloß?«

»Ja, Schwager!«

»Nun, dann laßt mich schlafengehen!«

Und bevor irgend jemand die Zeit gehabt hätte, ihn zurückzuhalten, ging er auf sein Zimmer und schob den Riegel an der einen wie an der anderen Tür vor. - Vitaliano Brancati, Geräusche. Nach (branc)

Kirchgänger (2) John Johannes de Grier war französischer Abstammung; zur Zeit der Hugenotten setzte sein Blut, soweit es sich in seinen Vätern befand, nach England über. Von Geschäft war John Johannes Baumeister, im Herzen Kunsttischler.

Er fettete seine Reitstiefel jeden Morgen mit ff-prima gelbem Unschlitt ein, striegelte seine Pferde und nahm, im Flug über jede Hecke setzend, den Weg zur Kirche, das behexte Schwänzchen eines Kaninchens jagend. Seine Frau sagte, er käme nie zu Gott wie andere Menschen, sondern am dicken Ende eines Hasen hängend. Sei dem wie ihm wolle, er mochte die Felder lieber als das Paternoster, seine Möbel lieber als seine Frau (was schließlich nicht so schlimm ist, wie es klingt, denn Möbel können höchst stolz und schön sein und gelegentlich von einem beseligenden Fluß der Glieder, dem Weibe nicht gewährt), Amelia aber am liebsten. Diese Neigung war nicht auf gewöhnliche Weise entstanden, mußte er sie doch gegen elf weitere abwägen. - (ryder)

Kirchgänger (3) Mein Vater war ein starrköpfiger Deutsch-Amerikaner, untersetzt, blond, mit einem dünnen Bart, an dem er ständig zupfte, und verrückten kleinen blauen Augen. Er war tugendhaft und fromm - das wußte man gleich, wenn man ihn kennenlernte -und darüber verbittert und böse. Sein Großvater war Sdiiffszimmermann gewesen und in Philadelphia vor Anker gegangen. Die Familie bestand schon damals aus emsigen Kirchgehern, die den Hintern in Chorstühle zwängten, stets fromme Sprüche von sich gaben und ihre Weste sauberhielten. Sie setzten Scharen von Kindern in die Welt, und die starben entweder jung oder machten sich aus dem Staub, wenn sie herangewachsen waren, und ließen nie wieder etwas von sich hören.

So wie einige andere Farmer und ihre Familien, die eifrig die Messe besuchten, verstand er etwas Kirchenlatein. Alles, was wir Kinder taten, verstieß gegen die frömmlerische, bigotte Ansicht Vaters über uns und die Welt im allgemeinen. Er bewirtschaftete die Farm mehr schlecht als recht, und beinahe jede Nacht bumste er meine verstörte Mutter auf der Maisstrohmatratze, brüllte und grunzte, wenn es ihm kam. Er bumste in einem fort und kannte kein Ende damit. „Zeugen" nannte er es. Auf diese Weise hing jedes Jahr ein neues Baby an den Titten meiner Mutter, während sie mit der freien Hand in den Töpfen rührte, sich das Haar aus der Stirn strich und versuchte, Ordnung unter uns Kindern zu halten. Sie mußte einmal ein hübsches Ding gewesen sein, mit schönen, großen Augen. - Nell Kimball, Madame - Meine Mädchen, meine Häuser. Hg. Stephen Longstreet. Frankfurt am Main, Wienund Berlin 1982 (entst. ca. 1917-1932)

Kirchgänger (4)

»Jeder wußte, daß er ein notorischer Verschwender war und weder Sinn noch Verstand hatte, da sein Geist oft gestört war, und oft brach er in aller Frühe auf und ging ganz allein durch die Straßen, und wenn man ihm vorhielt, das sei nicht gut, gab er noch verrücktere und unsinnigere Antworten als sonst.« (Memoire des héritiers de Gilles de Rais pour prouver sa prodigalité...)

Er war sich übrigens dieses monströsen Charakters bewußt. Er sei, sagte er, »unter einer derartigen Konstellation geboren, daß man die Missetaten, die er verübt habe, nicht vernehmen könne, ohne zu schaudern.« Einer von denen, die ihm bei seinen Greueln halfen, hörte ihn sagen: »kein lebendiger Mensch werde jemals begreifen können, was er getan habe.« Sein Stern trieb ihn, so zu handeln ...

Zweifellos hatte er abergläubische Vorstellungen von sich selbst, als wenn er aus einer anderen Welt stamme, ein übernatürliches Wesen eigener Art sei, dem Gott und Teufel beistünden, ein Opfer der profanen, der realen Welt, die ihn bei seiner Geburt mit ihren Wohltaten überhäuft, später aber im Stich gelassen habe. Er war davon überzeugt, daß der Teufel bei seinem ersten Ruf herbeieilen würde, ihm zu helfen. Das Verbrechen gab ihm das Gefühl, als gehöre er dadurch — ähnlich wie durch eine fortgesetzte sakrale Handlung —, der geweihten Welt, die ihm schlechterdings nicht ihre Unterstützung verweigern könne. Die Verluste, die er durch seine Unklugheit erlitten hatte, würde der Teufel gewiß wieder gutmachen... Aber daß er diese Zuflucht beim Teufel suchte, ruinierte ihn endgültig; es überließ ihn der Gewalt von Scharlatanen, die seine Leichtgläubigkeit ausnutzten. Seine Tragödie ist die eines Doktor Faust, aber die eines kindlichen Faust. Dieses Ungeheuer zitterte tatsächlich vor dem Teufel. Der Teufel jedoch, die letzte Hoffnung des Verbrechers, überließ ihn nicht nur seinem Verzagen, sondern brachte ihn auch aus lächerlicher, ergebener Furcht vor ihm wieder zum Beten. Das Ungeheuer war blutrünstig, aber es war feige.

In verblüffender Schamlosigkeit bildete Rais sich bis zum Ende ein, er würde gerettet werden und trotz seiner abscheulichen Verbrechen den Höllenflammen entgehen, die den Kern seines Köhlerglaubens bildeten. Obgleich er den Teufel anrief und von ihm die Wiederherstellung seines Reichtums erwartete, war er bis zum Ende in aller Naivität ein guter Christ und Kirchgänger. - Georges Bataille, Gilles de Rais. Frankfurt/Main, Berlin, Wien 1975 (zuerst 1965)

Kirchgänger (5) In einem von mehreren Parteien bewohnten Wohnhause nahe der Stadt Münsterberg, an der Strecke Breslau — Glatz in Schlesien, lebte durch lange Jahre der Landwirt Karl Denke, ein als frömmster Kirchengänger des Sprengeis bekannter und geehrter Einsiedler, 54 Jahre alt. Am 20. Dezember 1924 sprach ein vorübergehender Handwerksbursche, namens Vincenz Oliver, den Mann um eine Gabe an und wurde eingeladen, ins Haus zu kommen. Als er am Tische Platz genommen hatte, wurde er plötzlich von Denke mit einer Spitzhacke überfallen, doch gelang es ihm, zu entkommen. Nunmehr wurde Denke in Schutzhaft genommen, erhängte sich aber im Untersuchungsgefängnis. Darauf nahm die Polizei eine Haussuchung im Gehöft des Denke vor. Man fand zahlreiche Papiere von verschwundenen Handwerksburschen, sowie in der Scheuer Töpfe mit gepökeltem Fleisch, das von den Gerichtsärzten einwandfrei als Menschenfleisch festgestellt wurde. — Man konnte feststellen, daß der Mann seit mindestens 20 Jahren sehr viele Menschen, Mädchen und Jünglinge, tötete, aß, verschlang oder ihr Fleisch auf Märkten verkaufte. - Theodor Lessing, Haarmann. Die Geschichte eines Werwolfs. Berlin 1925
 

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