ino-Königin  Die «Kino-Königin» ironisiert die heuchlerische Debatte um die Kinozensur, sie spielt mit der Theaterkrise und bringt schließlich die Kinematographie selbst auf die Bühne.

«1.Bild: Im Berliner Lustgarten demonstriert, kurze Zeit nachdem die Wachtparade vorbeigezogen ist, eine Frauenrechtlerin. Eine Dame ist von ihrem Auftreten so begeistert, daß sie sie einlädt und ihr ihre Visitenkarte gibt. Die Frauenrechtlerin entpuppt sich als die Filmschauspielerin Delia Gill; der Auftritt war nur eine Filmszene. Belustigt betrachten sie, ihr Regisseur Eichwald und der Kameramann Lehmann, die Visitenkarte der inzwischen entschwundenen Dame. Es war Auguste von Perlitz, die Frau des Kultusministers Rüdiger von Perlitz, Gattin ausgerechnet jenes Mannes, der die Kinos schließen lassen will, weil der Film eine Afterkunst sei und eine Brutstätte unpreußischer und sinnlicher Gefühle. Delia sieht in der Visitenkarte eine Möglichkeit, mit Perlitz bekannt zu werden, um zu versuchen, ihn umzustimmen. Sie beschließt, die Einladung anzunehmen.

2. Bild: Kultusminister von Perlitz sitzt in einem kleinen Café und gibt seinem Wachtmeister Pachulke den Befehl, Max Marder, einen Schriftsteller, der umstürzlerische Thesen verbreite, zu verhaften und vorzuführen. Auguste kommt, um den Gatten abzuholen. Beide treffen auf ihre Tochter Anni und deren Verlobten, Edelhard von Edelhorst, dem der Vater mit Mißtrauen begegnet, weil er nichts von ihm weiß.

3. Bild: Im Hotel Adlon soll die Verlobung von Anni und Edelhard gefeiert werden. Anni, ihre Eltern und die zahlreichen Gäste warten vergebens, denn der Bräutigam ist noch nicht da. Delia Gill, die hier im Adlon wohnt, verschafft sich durch jene Visitenkarten Zutritt zur Verlobungsgesellschaft, lernt Perlitz kennen und bezaubert ihn. Auch Delias Verlobter, der Hofschauspieler Viktor Matthusius, der bei ihrer Firma filmt, erscheint. Da er sich nicht im Atelier umziehen konnte — der Regisseur hat den Garderobenschlüssel eingesteckt —, tritt er in seinem Kostüm eines ›ungarischen‹ Honvédoffiziers auf und stellt sich in komödiantischer Laune als solcher dem Kultusminister vor. Da kein Bräutigam da ist, löst sich die Gesellschaft auf. Nachdem alle gegangen sind, will Viktor die weinende Anni im Fahrstuhl nach oben fahren. Durch einen Kurzschluß bleibt der Fahrstuhl vor dem ersten Stockwerk stecken.

4. Bild: An einem Bockwurststand taucht Wachtmeister Pachulke mit dem gefesselten Edelhard auf. Der konnte nicht zu seiner eigenen Verlobungsfeier gehen, weil Pachulke ihn als den gesuchten Schriftsteller entlarvte, ihn verhaftete und dem Kultusminister vorführen will.

5. Bild: Der Kurzschluß scheucht die Hotelgäste auf. Perlitz und seine Auguste erblicken zu ihrem Schrecken im Fahrstuhl Anni und Viktor, die dort eingeschlafen sind. Der Fahrstuhl wird nach unten geholt. Vor allen Gästen zwingt Perlitz den vermeintlichen Honvédoffizier, die «Konsequenzen zu ziehen». Er gibt die Verlobung seiner Tochter mit dem ungarischen Oberleutnant Peköffy bekannt. In diesem Augenblick schleift Pachulke den gefesselten Edelhard in den Saal und präsentiert ihn dem Minister als den gesuchten Schriftsteller. Jetzt ist Perlitz froh, daß Anni sich nicht mit diesem verlobte, sondern den Honvédoffizier nehmen muß. Delia kommt dazu. Sie verrät Viktor nicht, die Verlobungsfeier nimmt ihren Anfang.

6. Bild: Im Filmatelier spielt Viktor in einer Szene mit, die revuehaft das Leben und Treiben der nächtlichen Friedrichstraße darstellt.

7. Bild: Delia trifft sich mit Viktor in ihrer Villa. Sie hat ihm seinen dummen Streich schon fast verziehen, zumal er einen Plan entwickelt, wie man den Minister von seiner Filmfeindlichkeir heilen könnte. Delia hat eine Idee, die noch besser ist. Sie hat den Minister zu sich geladen. Dessen Frau hat die Einladung gefunden und kommt, Delia zu bitten, ihr den Gatten nicht abspenstig zu machen. Delia verspricht, die Angelegenheit im Sinne Augustes zu klären. Getröstet zieht die Ministergattin ab und sieht nicht Anni und den noch immer gefesselten Edelhard, die gleichfalls mit ihren Sorgen hergefunden haben. Instruktionsgemäß läßt Pachulke seinen Gefangenen um vier Uhr frei. Nun kann das Brautpaar sich in die Arme fallen. Auch diese beiden gehen getröstet. Jetzt kommt Perlitz. Delia hat alles vorbereitet, um ihm eine Verführungsszene vorzuspielen, die heimlich gefilmt werden soll. Perlitz geht in die Falle.

8. Bild: Im Vorführraum der Delia-Filmgesellschaft befindet sich ein Kreis illustrer Gäste, darunter in zwei Logen der Ministerpräsident und der Kultusminister von Perlitz. Ihnen allen führt der Regisseur Eichwald seinen neuesten Film ›Graf Pornos letztes Abenteuer‹ vor. Das sagte er; aber was sehen die Gäste? Das, was sich in Delias Boudoir abspielte: Perlitz versucht, Delia zu vergewaltigen! Im Vorführraum bricht ein Skandal aus. Der anwesende Ministerpräsident setzt Perlitz auf der Stelle ab. Jetzt ist Perlitz Privatmann und gibt Anni und Edelhard sein Jawort. Daß Delia Gill ihn besiegt hat, ist ihm gar nicht so unlieb. Endlich darf er auch Mensch sein und nicht nur preußischer Beamter.» - Hanns Zischler, Kafka geht ins Kino. Reinbek bei Hamburg 1996

Kino Feminismus
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