Kindskopf   Mein Vater, der in allen Arten von Büchern blätterte, hatte, als er einst in den „Lithopaedus senonesis de partu difficili""', den Adrianus Smelvgot herausgegeben hat, hineinschaute, ausfindig gemacht, daß die Weiche und Biegsamkeit eines Kindskopfes bei der Geburt so beschaffen seien — die Knochen der Hirnschädel haben dann noch keine Nähte —, daß der Druck, den die Gebärende ausübt, welcher bei heftigen Wehen vierhundertsiebzig Pfund entspricht und welcher senkrecht darauf wirkt, in fünfzig Fällen neunund-vierzigmal den besagten Kindeskopf zusammenknetet und zu einem länglichen Kegel preßt, wie etwa ein Bäcker seinen Teig rollt, aus dem er eine Pastete machen will. — „Gütiger Gott!" rief mein Vater, „welche Verwirrung und Verwüstung muß dies in dem unendlich feinen und zarten Gewebe des Cerebellum anrichten! Oder wenn es den Saft gibt, den Borri annimmt — ist das alles dann nicht genug, um selbst die klarste Flüssigkeit in der Welt trübe und modrig zu machen?"

Aber in welche Angst geriet er, als er ferner erfuhr, daß dieser Druck, welcher ganz genau auf den Scheitel des Kopfes wirke, nicht bloß das Gehirn selbst oder Cerebrum in Mitleidenschaft ziehe, sondern daß er notwendigerweise das Cerebrum gegen das Cerebellum treiben und pressen müsse, welches der unmittelbare Sitz des Verstandes sei. —

„Ihr Engel und Boten des Friedens, stellt uns bei!" rief mein Vater aus, „welche Seele kann einen solchen Stoß aushaken? Kein Wunder, daß das Verstandesgewebe so zerrissen und zerfetzt ist und daß so viele unserer besten Köpfe nichts anderes sind als ein wirrer Strang Seidengarn — lauter Verworrenheit und Konfusion im Innern!"

Als aber mein Vater weiterlas und auf das Geheimnis stieß, daß, wenn ein Kind umgedreht würde, was ein Geburtshelfer leicht tun könne, und man es bei den Füßen hervorholte, das Cerebrum keineswegs gegen das Cerebellum gepreßt, sondern statt dessen vielmehr das Cerebellum bloß gegen das Cerebrum gedrückt würde, wo es nicht den geringsten Schaden tun könne. — „Beim Himmel!" rief er. „Die Welt hat sich gegen das bißchen Witz verschworen, das uns Gott gegeben hat, und alle Professoren der obstetrischen Wissenschaft sind mit im Komplott! Was kümmert's mich, mit welchem Ende mein Sohn zuerst auf die Welt kommt, wenn nur nachher alles richtig geht und sein Cerebellum ungequetscht durchwischt!"   

* Der Autor irrt hier in doppelter Hinsicht, denn Lithopaedus sollte so geschrieben werden: Lithopaedus senonensis Icon. Der zweite Irrtum besteht darin, daß dieser Lithopaedus kein Autor, sondern die Zeichnung von einem versteinerten Kind ist. Den entsprechenden Bericht, den Albosius 1580 herausgegeben hat, findet man bei Spachius, und zwar am Schluß der Werke des Cordaeus. Herr Tristram Shandy ist dadurch zu diesem Irrtum verleitet worden, daß er entweder den Namen Lithopaedus in einem neueren Verzeichnis gelehrter Schriftsteller, das Dr. *** veröffentlicht hat, gelesen oder daß er den Lithopaedus mit dem Trinecavellius — wegen der allzu großen Ähnlichkeit der Namen! — verwechselt hat.

- (shan)

Kindskopf (2) Katzenberger hatte die  Köpfe und Ellenbogen am Pförtchen des Gottesackers angehäuft. — Endlich ließ er gar ein rundes Kinderköpfchen nach dem Dichter laufen als nach seinem Kegelkönig. Aber hier nahm Nieß aus übermäßiger Phantasie Reißaus und schwang sich auf einen nahen Birnbaum an der niedern Gottesackermauer, um allda - weil das Knochenwerk als Floßrechen und gestachelter Herisson die Pforte versperrte - ins Freie zu sehen und zu springen. Umsonst rief die über seinen Schrecken erschrockne Theoda bange nach, was ihn jage, ihr Vater sammle nur Skelette. Nun trat der Doktor selber aus seinen Schießscharten heraus, ein wohlerhaltenes Kindergerippe wie eine Bienenkappe auf den Kopf gestülpt, und begab sich unter den Birnbaum und sagte hinauf: »Am Ende sind Sie es, die selber droben sitzen, und wollen den Gottesacker und die Landschaft besser übersehen?« Aber Nieß, längst verständigt, war während des Hinaufredens des Doktors schon um die Mauer herum und durch das Pförtchen zurückgerannt und erfaßte jetzo, mit zwei aufgerafften Armknochen in Händen, hinten den Doktor an den Achselknochen, worüber er die bleichen ragen ließ, mit den Worten: »Ich bin der Tod, Spötter!« Katzenberger drehte sich selber ruhig um; da lachte der Poet ungemein, mit den Worten: »Nun so haben wir beide unsern lustigen! Zweck einer kleinen Schrecken-Zeit verfehlt; nur aber Sie zuerst!« — »Ich für meine Person fahre gern zusammen,« — versetzte der Doktor — »weil Schrecken stärkt, indes Furcht nur schwächt. In Hallers Physiologie und überall können Sie die Beispiele zusammenfinden, wie durch bloßen starken Schrecken - weil er dem Zorne ähnlich wirkt — Lähmung, Durchfall, Fieber gehoben worden, ja wie Sterbende durch auffliegende Pulverhäuser vom Aufflug nach dem Himmel gerettet worden und wieder auf die Beine gebracht; - und ganze matte Staaten waren oft nur zu stärken durch Erschrecken. Furcht hingegen, Herr von Nieß, ist, wie ihre Leiberbin und Verwandte, die Traurigkeit, nach demselben Haller und den nämlichen andern, wahres Lähmgift für Muskeln und Haut, Hemmkette des umlaufenden Bluts, macht Wunden, die man sich durch eigne Tapferkeit oder von fremder geholt, erst unheilbar und überhaupt leicht toll, blind und stumm.«  - (katz)
 
 

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