inderlektüre
Unsere Besucher gingen nach Hause, ich blieb allein, entschlüpfte dem banalen
Friedhof und kehrte zurück zum Leben, zum Wahnsinn in den Büchern. Ich brauchte
nur eines zu öffnen, um dort jenes unmenschliche und beunruhigte Denken wiederzufinden,
dessen Pomp und Finsternis mein Verständnis überstiegen und das von einer Idee
hinsprang zur anderen, so schnell, daß ich nicht mitkam, hundertmal auf einer
Seite, so daß ich es ganz verwirrt und verloren entschwinden lassen mußte. Ich
nahm an Ereignissen teil, die mein Großvater sicherlich als unwahrscheinlich
bezeichnet hätte und die trotzdem die grelle Wahrheit geschriebener Dinge besaßen.
Gestalten traten auf, ohne sich anzukündigen, sie liebten sich, stritten miteinander,
töteten einander; der Überlebende verzehrte sich vor Kummer und folgte seinem
Freund oder seiner zärtlichen Geliebten, die er soeben getötet hatte, in die
Grube nach. Was sollte ich tun? War ich gleichfalls aufgerufen, wie die Erwachsenen,
zu tadeln, zu loben, freizusprechen? Aber diese Originale sahen gar nicht so
aus, als richteten sie sich nach unseren Grundsätzen, und selbst dort, wo ihre
Motive erläutert wurden, kam ich nicht mit. Brutus tötet seinen Sohn, und Mateo
Falcone tut es auch. Diese Praxis schien also ziemlich verbreitet zu sein, trotzdem
machte in meiner Umgebung niemand davon Gebrauch. In Meudon hatte sich mein
Großvater mit meinem Onkel Emile gezankt, und ich hatte gehört, wie sie einander
im Garten anbrüllten; trotzdem hatte man nicht den Eindruck, der Großvater habe
je daran gedacht, ihn zu töten. Wie urteilte er überhaupt über kindertötende
Väter? Ich enthielt mich des Urteils: mein Leben war nicht in Gefahr, denn ich
war ein Waisenkind, und diese prunkvollen Mordtaten machten mir ein bißchen
Spaß, aber in den Erzählungen darüber spürte ich eine Billigung, die mich ganz
unsicher machte. Ich mußte mir Gewalt antun im Falle des Horace von Corneille,
um nicht auf die Abbildung zu spucken, die ihn mit Helm und nacktem Schwert
zeigte, wie er der armen Camille nachlief. - Jean-Paul Sartre, Die Wörter. Reinbek bei Hamburg 1968
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