inderaugen   Herr Balthasar Cherbonneau nahm sich aus wie eine Gestalt aus Hoffmanns phantastischen Erzählungen, die ihr gespenstisches Treiben in die Wirklichkeit verlegt hatte. Sein ungewöhnlich gebräuntes Antlitz wurde förmlich erdrückt vom riesigen Schädel, dessen Kahlheit ihn noch größer erscheinen ließ. Dieser nackte, wie Elfenbein spiegelnde Schädel hatte sich weiß erhalten, während das den Sonnenstrahlen ausgesetzte Gesicht durch immer tieferes Einbrennen nachgedunkelt war wie altes Eichenholz oder altes Gemälde. Die Wölbungen und Höhlungen der Knochenbildung waren so deutlich sichtbar, daß die dünne Fleischschicht über ihnen mit ihren unzähligen, knittrigen Fältchen sich ausnahm wie feuchte Haut, einem Totenschädel angepreßt.

Die spärlich auf dem Hinterhaupt sprießenden weißen Haare waren zu drei Strähnen gekämmt, von denen zwei sich oberhalb der Ohren bäumten, die dritte sich vom Nacken bis zum Stimbeginn zog. Sie verschmähten es, sich unter der vormals üblichen Flügelperücke oder neuzeitlicher Queckengras-Atzel zu verstecken, und bildeten die Groteskbekrönung dieser Nußknackermaske. Unwiderstehlich aber mußte die Aufmerksamkeit von den Augen des Arztes gefesselt werden; inmitten dieses altersgegerbten Antlitzes, verdorrt unter mitleidlosen Himmeln, arbeitsverbraucht, in das die Anspannung des Daseins und unermüdlicher Forschung tiefe Runen geritzt hatte, ein Fächergefältel von Krähenfüßen, dichter als Buchblätter sich aneinanderpressen, inmitten dieses Antlitzes gleißten zwei Augensterne in Türkisenbläue und von unbeschreiblicher Jugendfrische und Klarheit. Diese blauen Gestirne glänzten aus dunkeltiefen Augenhöhlen und fahlen Runzelkreisen, die einige Ähnlichkeit besaßen mit den Federstrahlen rings um den Augen der nachtsichtigen Eule. Man konnte meinen, durch irgendwelche von Brahmanen und Pandis erkundete Zaubereien habe der Arzt sich zwei Kinderaugen angeeignet und sie seinem Totenkopf eingefügt. - Théophile Gautier, Avatar. Frankfurt am Main 1985 (st 1161, zuerst 1856)

Kinderaugen (2)  Ich hatte  meine Zuflucht zu dem seltsam beruhigenden Zusammensein mit Flora genommen und die - fast wollüstige - Entdeckung gemacht, daß sie ihr kleines wissendes Händchen sofort auf die schmerzende Stelle zu legen wußte. Sie hatte mich zärtlich forschend angeblickt und mir dann ins Gesicht hinein gesagt, ich hätte geweint. Ich glaubte, die häßlichen Spuren ganz weggewischt zu haben; nunmehr aber empfand ich angesichts dieses unergründlichen Mitgefühls eine wirkliche Freude, daß sie nicht ganz verschwunden waren. In den blauen Tiefen dieser rührenden Kinderaugen nichts weiter als eine frühreife Verschlagenheit zu finden, wäre ein so zynisches Unrecht gewesen, daß ich tausendmal lieber mein doch so begründetes Urteil aufgab und mir meine Erregung, soweit ich's vermochte, verbot.  - Henry James,  Bis zum Äußersten. Frankfurt am Main 1962 (zuerst 1898)
 
Auge Kind
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