Kettenhund  Wie immer überläuft mich ein Zittern des Widerwillens bei diesem Anblick. Ich will möglichst schnell an ihm vorbei, um nicht dieses aus der Tiefe des Herzens kommende Stöhnen des Hasses zu hören, als ich zu meinem Entsetzen — ich traue den eigenen Augen nicht — sehe, wie er sich mit großen Sprüngen von seiner Hütte entfernt und — nicht angebunden — mit dumpfem wie aus einem Faß kommenden Gebell um den Hof herumläuft und mir den Rückweg abschneiden will.

Starr vor Grauen weiche ich in den gegenüberliegenden, entferntesten Winkel des Hofes zurück, suche instinktiv nach einem Versteck und rette mich in den kleinen Altan, der dort steht, fest überzeugt, daß alle meine Anstrengungen vergeblich sind. Die zottige Bestie nähert sich mir in großen Sprüngen, und da ist ihr Maul schon am Eingang des Altans und sperrt mich in der Falle ein. Halbtot vor Angst merke ich, daß die ganze Länge der Kette, die sie hinter sich über den Hof schleppt, abgewickelt ist und daß der Altan selbst schon außerhalb des Bereiches ihrer Zähne liegt. Maltraitiert, von Grauen zermalmt, spüre ich kaum eine Erleichterung. Auf den Füßen schwankend, einer Ohnmacht nahe, hebe ich die Augen. Niemals hatte ich sie so nahe gesehen — und erst jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Wie groß ist die Macht des Vorurteils! "Wie mächtig die Suggestion der Angst ist! Welch eine Verblendung! Das war doch ein Mensch. Ein Mensch an der Kette, den ich in abkürzender, metaphorischer, pauschaler Vereinfachung unbegreiflicherweise für einen Hund gehalten hatte. Bitte mich nicht falsch zu verstehen. Es war ein Hund — ohne allen Zweifel, aber in menschlicher Gestalt. Die Beschaffenheit des Hundes ist eine innerliche und vermag sich ebensogut in menschlicher wie in tierischer Gestalt zu manifestieren. Der, welcher vor mir in der Öffnung des Altans stand — den Rachen ein wenig zur Seite gedreht, alle Zähne zu einem schrecklichen Knurren gebleckt —, war ein Mann mittlerer Statur mit schwarzem Bart. Das Gesicht gelb und knochig, die Augen schwarz, böse und unglücklich. Dem schwarzen Anzug und der zivilisierten Form des Bartes nach zu urteilen, hätte man ihn für einen Intellektuellen, einen Gelehrten halten können. Er hätte der ältere, ungeratene Bruder Doktor Gotards sein können. Aber dieser erste Schein trog. Seine großen, mit Kleister beschmierten Hände, zwei brutale und zynische Furchen um die Nase herum, die sich im Bart verloren, und die waagrechten ordinären Falten auf der niedrigen Stirn zerstörten diese erste Illusion sehr schnell. Es war eher ein Buchbinder, Schreier, Versammlungsredner und Parteimensch — ein gewalttätiger Mensch mit dunklen, explosiven Leidenschaften. Und gerade dort, in diesen Abgründen der Leidenschaft, in diesem krampfhaften Sträuben aller Fibern, in dieser wahnsinnigen Furie, die wütend das Ende eines auf sie gerichteten Stockes verbellt, war er ein hundertprozentiger Hund.  - Bruno Schulz, Das Sanatorium zur Todesanzeige. In: B. S., Die Zimtläden und alle anderen Erzählungen. München 1966

 

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