erl, kräftiger  ‹Erdbeben›, sage ich, ‹da sind noch eine Menge Nonnen und Kinder in dem Laden da drüben, und nach dem Kreischen da drin zu urteilen, sind einige von ihnen noch quietschlebendig. Aber, sage ich, ‹in ein paar Minuten werden sie wahrscheinlich nicht mehr so quietschlebendig sein, denn die Mauern sind im Umkippen und machen Gelee aus ihnen.›

‹Weiß der Himmel›, sagt Erdbeben und wirft einen Blick auf das Kloster, ‹was du da sagst, scheint zu stimmen. Nun, Blauer›, sagt er, ‹was ist in einer solchen Situation zu machen ?›

‹Nun›, sage ich, ‹ich sehe eine Chance, ein paar Leutchen da herauszufischen, wenn du mir behilflich bist, Erdbeben›, sage ich. ‹Stimmt es, daß du ein kräftiger Kerl bist?›

‹Kräftig?› sagt Erdbeben. ‹Teufel noch eins›, sagt er. ‹Du weißt doch, ich bin wahrscheinlich der stärkste Mann in der ganzen Welt.›

‹Erdbeben›, sage ich, ‹siehst du den Torweg da drüben? Also, Erdbeben, wenn du dich kräftig genug fühlst, diesen Torweg auseinanderzuhalten und ihn vor dem Einstürzen zu bewahren, dann werde ich hineinschlüpfen und alle Nonnen und Kinder, die noch am Leben sind, herausexpedieren.›

‹Teufel noch eins›, sagt Erdbeben, ‹das ist der beste Einfall, den ich je von einem Blauen höre. Also los›, sagt er, ‹ich halte den Torweg auseinander, meinetwegen bis nächste Weihnachten.›

Daraufhin hält Erdbeben mir seine Fäuste hin, und ich entsichere die Handschellen. Dann läuft er zum Torweg des Klosters hinüber und ich hinter ihm her.

Der Torweg schließt sich jetzt zusehends unter dem Gewicht der Steinmassen, die gegen den Holzrahmen drücken, und als wir dort anlangen, wird der auf dem Kopf stehende Buchstabe V von oben bis unten so eng, daß es Erdbeben allerhand zu schaffen macht, sich in den noch verbleibenden Zwischenraum hineinzuzwängen.

Doch der gute Erdbeben zwängt sich hinein, das Gesicht nach innen gerichtet, und als er erst einmal drin ist, stößt er von beiden Seiten gegen den Torrahmen, und jetzt wird mir sofort und unwiderruflich klar, wie Erdbeben zu seinem Ruf als dem stärksten Mann der Welt kommt. Der Torweg erweitert sich wieder, und während er sich erweitert, spreizt Erdbeben seine Beine mehr und mehr auseinander, so daß bald ein ziemlicher Zwischenraum zwischen seinen Beinen entsteht. Sein Kopf ist so weit vornübergebeugt, daß sein Kinn fast auf dem Brustkorb zu ruhen kommt, denn Erdbebens Hals und Schultern haben allerhand Gewicht zu tragen, und — ehrlich gestanden — er erinnert mich in diesem Augenblick an die Bilder eines Burschen namens Atlas, der die Welt auf seinen Schultern trägt.

Ich schlüpfe also durch die Öffnung, die seine ausgespreizten Beine bilden, um mich auf die Suche nach den Nonnen und Kindern zu begeben. Die meisten sind in einem großen Raum im Erdgeschoß des Gebäudes, und sie sind alle eng zusammengepfercht und kreischen im Chor.

Ich mache ihnen ein Zeichen, mir zu folgen, und dann führe ich sie zurück über die Trümmer und durch die große Halle zu der Stelle, wo Erdbeben den Torweg auseinanderhält, und ich möchte hier ausdrücklich feststellen, daß er das wirklich großartig macht.

Doch der Druck des Gewichts auf Erdbebens Schultern muß ihm wirklich mehr und mehr zu schaffen machen, denn seine Schultern beugen sich schon leicht unter der Last, und sein Kinn langt jetzt fast unten beim Magen an, und sein Gesicht ist purpurrot.

Es gelingt mir schließlich, fünf Nonnen und fünfzehn Kinder durch Erdbebens auseinandergespreizte Beine auf die Straße hinauszubugsieren. Eine alte Nonne weigert sich, zwischen Erdbebens Beinen durchzuschlüpfen, und aus den Zeichen, die sie mir mit den Händen macht, entnehme ich schließlich, daß noch mehr Kinder im Kloster, sind und daß ich die auch noch herausholen soll.

Nun, ich kann sehen, daß jeder weitere Aufschub Erdbeben auf eine etwas zu harte Probe stellen, ihn vielleicht ein wenig verärgern könnte, und ich spreche daher zu ihm wie folgt:

‹Erdbeben›, sage ich, ‹du siehst mir ein bißchen schlapp und ausgesprochen müde aus. Alsdann›, sage ich, ‹wenn du jetzt abtreten willst, dann halte ich den Torweg eine Weile auseinander, und du gehst mit der Nonne und holst den Rest der Kinder heraus.›

‹Blauer›, sagt Erdbeben, von der Brust heraufsprechend, weil er den Kopf nicht mehr richtig hochkriegt, ‹ich kann diesen Torweg mit meinen zwei kleinen Fingern auseinanderhalten, solange nicht einer verstaucht ist, also mach ruhig weiter.›  - Damon Runyon, Stories vom Broadway. Reinbek bei Hamburg 1963 (rororo 566, zuerst ca. 1935)

 

Kerl

 

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