ategoriensystem Schlanke Frauen für beleibte Männer; dicke Frauen für Epheben; soeben dem Kindesalter entwachsene Mädchen für genießerische alte Herren, und für die restliche Kundschaft - jene Masse der Fünfundzwanzig- bis Fünfundvierzigjährigen — die Damen mit einem sowohl erotischen als auch intellektuellen Appeal: das war, in großen Zügen, das Kategoriensystem der Bordellmutter Ika Loch, ihr Arbeitsprogramm. Schade, daß diejenigen, auf die das Lochsche Schema zugeschnitten worden war, so ohne weiteres nicht damit einverstanden waren. Bisweilen kam es in dem schicken Bordell Nr. 33 zu wüsten Schimpf- und Beleidigungsszenen. Eines Tages wies ein dicker Kerl die ihm — wenn ich so sagen darf — »verordnete« schlanke Frau zurück. Begründung: in seiner Eigenschaft als Viehhändler habe er Skelette bis oben hin satt. Manchmal benahmen sich aber auch die schmächtigen Jünglinge ungewöhnlich aufsässig und verstiegen sich zu der Behauptung, sie ertrügen lieber vier Stunden Arrest als die Anwesenheit der von Ika Loch für sie ausgewählten Damen. Schließlich brach eine richtige kleine Revolution unter der Kundschaft des Hauses Nr. 33 aus.
Niemand war zufrieden. Ein alter Herr wünschte die Dame, die eigentlich einem
Epheben zugedacht gewesen war, und der Ephebe bewarb
sich um die Freundin eines fetten Matrosen, der seinerseits über beide Ohren
in eine Dirne mit kurzgeschnittenem mahagoniroten Haar verschossen war; diese
aber hatte Ika Loch für einen glattrasierten Mann bestimmt, den sie, ihren Vorausschätzungen
trauend, für raffiniert gehalten hatte, der sich jedoch als Aufseher an einer
Mittelschule entpuppte und in sexuellen Dingen völlig unerfahren war. Wütend
verließen alle das Bordell. -
Paul van Ostaijen, Grotesken. Frankfurt am Main 1967 (es 202, zuerst 1926)
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