astrierte Am runden Marmortisch flüstert mir der Dicke zu: «Es ist
eine Frechheit, wenn Frauen sich dagegen empören, wenn man sie laufen läßt.
Und zwar mit der Begründung: sie hätten dem Mann so viel Genuß verschafft; erst
genieße er sie, dann schicke er sie weg. Das ist eine Frechheit, eine Ahnungslosigkeit
dieser Frauen. Sie haben genau so viel Genuß an einer Freundschaft und ihren
Gelegenheiten wie ein Mann. Es ist für eine Frau keine Kleinigkeit, einen Mann
zu kriegen; man gibt für sie eine Weile seine Ungebundenheit auf. Eine Frau
soll sich schämen, so etwas zu sagen.» - «Was?» -«Daß man sie mißbrauche, daß
man sie genieße und dann wegschicke. Gerade umgekehrt ist es. Sie beraubt und
genießt den Mann, wenn sie und er überhaupt zusammenpassen. Sie
verzehrt den Mann und nicht umgekehrt. Und nachher beleidigt sie ihn.» Ich sondiere
mitleidig: «Ist es ein akuter Fall?» Er brummt: «Nein, nein. Aber so was ist
immer akut. Mir ist es lange keine Neuigkeit mehr.» Nach einer Weile erhellt
sich sein Gesicht; am Tisch wird mehr Platz, er zeigt mir Herren und Damen an
den Nachbartischen. Dann haucht er glücklich in mich: «Wissen Sie, ohne ein
Geschöpf wie das Weib wäre es nicht auszuhalten auf der Erde. Der Gedanke an
ein Weib wirkt morgens, wenn ich schlapp und schwach in meinem Bett liege und
ein trüber Bureautag droht, wirkt auf mich wie eine Kampferspritze oder ein
Glas Wein. Es ist schon was daran, daß wir nur halb sind ohne sie. Es ist noch
schlimmer, als man glaubt. Mir fällt ein: wir sind eigentlich, Mann und Frau,
jeder einzeln, kastriert. Es ist ja auch ein Unsinn, anzunehmen, daß von einer
Tierart immer zwei verschiedene Geschöpfe herumlaufen. Es läuft tatsächlich
eins herum, der Weibmann. Mit ihrer Trennung hat eine Verstümmelung, eine Kastration
stattgefunden. Die Geschlechter und die Liebe sind Ausfallserscheinungen, wie
bei Eunuchen. Wir sind mit unserer Liebe krank und pathologisch als Kastrierte.
Und ab und zu ist man nicht Eunuch: nämlichich mit ihr zusammen, sie mit mir
zusammen.» - Alfred Döblin, Reise
in Polen. München 1987 (zuerst 1925)
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