ant  Törleß hatte sich  gleich am Morgen die Reclamausgabe jenes Kant-Bandes gekauft, den er bei seinem Professor gesehen hatte, und benützte die erste Pause, um mit dem Lesen zu beginnen. Aber vor lauter Klammern und Fußnoten verstand er kein Wort, und wenn er gewissenhaft mit den Augen den Sätzen folgte, war ihm, als drehe eine alte, knöcherne Hand ihm das Gehirn in Schraubenwindungen aus dem Kopfe.

  Als er nach etwa einer halben Stunde erschöpft aufhörte, war er nur bis zur zweiten Seite gelangt, und Schweiß stand auf seiner Stirne. - Robert Musil, Die Verwirrungen des Zöglings Törleß. Reinbek bei Hamburg 1965 (zuerst 1906)

Kant (2)  Bei Kant ist mir immer, als trete man in ein helles Zimmer. - Goethe

Kant (3) Vor kurzem ward ich mit der neueren sogenannten Kantischen Philosophie bekannt - und Dir muß ich jetzt daraus einen Gedanken mitteilen, indem ich nicht fürchten darf, daß er Dich so tief, so schmerzhaft erschüttern wird, als mich. Auch kennst Du das Ganze nicht hinlänglich, um sein Interesse vollständig zu begreifen. Ich will indessen so deutlich sprechen, als möglich.

Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urteilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün - und nie würden sie entscheiden können, ob ihr Auge ihnen die Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas zu ihnen hinzutut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört. So ist es mit dem Verstande. Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint. Ist das letzte, so ist die Wahrheit, die wir hier sammeln, nach dem Tode nicht mehr - und alles Bestreben, ein Eigentum sich zu erwerben, das uns auch in das Grab folgt, ist vergeblich -

Ach, Wilhelmine, wenn die Spitze dieses Gedankens Dein Herz nicht trifft, so lächle nicht über einen andern, der sich tief in seinem heiligsten Innern davon verwundet fühlt. Mein einziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, und ich habe nun keines mehr -

Seit diese Überzeugung, nämlich, daß hienieden keine Wahrheit zu finden ist, vor meine Seele trat, habe ich nicht wieder ein Buch angerührt. Ich bin untätig in meinem Zimmer umhergegangen, ich habe mich an das offne Fenster gesetzt, ich bin hinausgelaufen ins Freie, eine innerliche Unruhe trieb mich zuletzt in Tabagien und Kaffeehäuser, ich habe Schauspiele und Konzerte besucht, um mich zu zerstreuen, ich habe sogar, um mich zu betäuben, eine Torheit begangen, die Dir Carl lieber erzählen mag, als ich; und dennoch war der einzige Gedanke, den meine Seele in diesem äußeren Tumulte mit glühender Angst bearbeitete, immer nur dieser: dein einziges, dein höchstes Ziel ist gesunken -   - Heinrich von Kleist am 22. März 1801 an  Wilhelmine von Zenge

Kant (4)  Kant ist vielleicht der originellste Kopf, den jemals die Natur hervorgebracht hat. Mit ihm und in seiner Weise zu denken, ist etwas, das mit gar nichts Anderm irgend verglichen werden kann: denn er besaß einen Grad von klarer, ganz eigenthümlicher Besonnenheit, wie solche niemals irgend einem andern Sterblichen zu Theil geworden ist. Man gelangt zum Mitgenuß derselben, wenn man, durch fleißiges und ernstliches Studium eingeweiht, es dahin bringt, daß man, beim Lesen der eigentlich tiefsinnigen Kapitel der Kritik der reinen Vernunft, der Sache sich ganz hingebend, nunmehr wirklich mit Kants Kopfe denkt, wodurch man hoch über sich selbst hinausgehoben wird. So z. B., wenn man ein Mal wieder die »Grundsätze des reinen Verstandes« durchnimmt, zumal die »Analogien der Erfahrung« betrachtet und nun in den tiefen Gedanken der synthetischen Einheit der Apperception eindringt. Man fühlt sich alsdann dem ganzen traumartigen Daseyn, in welches wir versenkt sind, auf wundersame Weise, entrückt und entfremdet, indem man die Urelemente desselben jedes für sich in die Hand erhält und nun sieht, wie Zeit, Raum, Kausalität, durch die synthetische Einheit der Apperception aller Erscheinungen verknüpft, diesen erfahrungsmäßigen Komplex des Ganzen und seinen Verlauf möglich machen, worin unsere, durch den Intellekt so sehr bedingte Welt besteht, die eben deshalb bloße Erscheinung ist. Die synthetische Einheit der Apperception ist nämlich derjenige Zusammenhang der Welt als eines Ganzen, welcher auf den Gesetzen unsers Intellekts beruht und daher unverbrüchlich ist. In der Darstellung derselben weist Kant die Urgrundgesetze der Welt nach, da, wo sie mit denen unsers Intellekts in Eins zusammenlaufen, und hält sie uns, auf Einen Faden gereiht, vor. Diese Betrachtungsweise, welche Kanten ausschließlich eigen ist, läßt sich beschreiben als der entfremdeteste Blick, der jemals auf die Welt geworfen worden, und als der höchste Grad von Objektivität. Ihr zu folgen gewährt einen geistigen Genuß, dem vielleicht kein anderer gleich kommt. Denn er ist höherer Art, als der, den Poeten gewähren, welche freilich Jedem zugänglich sind, während dem hier geschilderten Genüsse Mühe und Anstrengung vorhergegangen seyn müssen.  - Schopenhauer, Ueber die Universitäts-Philosophie. Nach (schop)
 

 

Philosoph

 

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme