amelkopf Ich setzte oder vielmehr kauerte mich nieder. Mit heller, lauter Stimme sprach ich die Beschwörungsformel und rief dann mit noch stärkerer Stimme dreimal in kurzem Abstand: »Beelzebub! Beelzebub! Beelzebub !«
Ein Schauer rann mir durch alle Adern, und die Haare sträubten sich mir auf dem Kopf.
Kaum hatte ich zu Ende gesprochen, so ging gerade mir gegenüber ein Fenster weit auf, und ein Lichtstrom, blendender als das Tageslicht, flutete durch die Öffnung herein. Ein scheußlicher Kamelskopf, abscheulich in Größe und Ausdruck, zeigte sich im Fenster. Besonders seine unmäßig großen Ohren fielen sofort ins Auge. Das greuliche Gespenst tat das Maul auf und fragte in einem Ton, der zur Erscheinung paßte: »Che vuoi?«
Und alle Gewölbe ringsum, alle Keller weit in der Runde erdröhnten und widerhallten von diesem grausigen Che vuoi?
Meine Lage kann ich nicht schildern, noch könnte ich sagen, was meine Standhaftigkeit stärkte und mich abhielt, angesichts dieser Erscheinung ohnmächtig hinzufallen und bei dem noch weit schauerlicheren Getöse, das an meine Ohren schlug, den Verstand zu verlieren.
Ich fühlte, daß ich um jeden Preis alle Kräfte zusammennehmen mußte. Die Sinne schwanden mir. Kalter Schweiß trat auf meine Stirn. Schließlich aber wurde ich wieder Herr meiner Sinne. Unsere Seele muß sehr weiträumig sein und ungeheure Spannkraft besitzen. Eine Unzahl von Gedanken, Gefühlen, Stimmungen und Erwägungen fuhren mir durch den Kopf, wühlten mein Herz auf und stürmten auf mich ein.
Dann trat der Umschwung ein. Ich ward Herr über den Schrecken. Beherzt und kühn blickte ich das Gespenst an.
»Was willst du selbst, und was fällt dir ein, dich so dreist in dieser scheußlichen Gestalt zu zeigen ?«
Einen Augenblick wurde das Phantom unsicher. »Du hast mich gerufen!« sagte es dann leise und kleinlaut.
»Darf ein Sklave wagen, seinen Herrn zu erschrecken?« fragte ich zurück. »Wenn du kommst, um meine Befehle entgegenzunehmen, so nimm eine schicklichere Gestalt an und sprich zu mir in unterwürfigem Ton!«
»Meister«, sprach nun das Gespenst, »in welcher Gestalt soll ich erscheinen, um Euch genehm zu sein?«
Das erste, was mir einfiel, war ein Hund. »Erscheine mir in der Gestalt eines Wachtelhundes«, befahl ich. Kaum hatte ich diesen Befehl ausgesprochen, so streckte das fürchterliche Kamel seinen sechzehn Fuß langen Hals aus, neigte den Kopf bis in die Mitte des Gewölbes herab und spie einen schneeweißen Wachtelhund aus, mit feinem, glänzendem Fell und mit Ohren, die fast die Erde streiften.
Dann schloß sich das Fenster wieder. Die ganze Erscheinung verschwand, und unter dem spärlich erleuchteten Gewölbe blieb nichts zurück außer dem Hund und mir.
Er kreiste rund um den magischen Zirkel, wedelte mit dem Schwanz und kroch demütig vor mir herum. »Meister«, sagte er dann, »ich möchte dir gern die Fußspitzen lecken, doch der furchtbare Kreis, der dich umgibt, stößt mich zurück.«
Mein Selbstvertrauen war bis zur Tollkühnheit gewachsen. Ich trat aus dem
Kreis, streckte meinen Fuß hin, und der Hund leckte ihn unterwürfig. Nun streckte
ich die Hand aus, um ihn an den Ohren zu zupfen. Da legte er sich auf den Rücken,
als wollte er um Gnade betteln. Ich sah, daß es ein Weibchen war. - Jacques
Cazotte, Der verliebte Teufel. In: Meistererzählungen des französischen
Rokoko. München 1962
Kamelkopf (2) Der Trug Für jedes Mal muß es ein erstes Mal geben, und das erste Mal war es nachts. Da war der Mond, und er strahlte eine silbrige Ruhe aus. Und die Quelle war klar, das Wasser rann langsam dahin. Ich neigte naich und streckte meine Hand aus. Als die kühlen glitzernden Tropfen meinen Mund erreichten, sah ich neben meinem in Licht und Schatten auf und nieder schaukelnden Bild und dem des schwankenden Mondes das Bild eines anderen Kopfes, schmal und nach vorn gestreckt, als hätte eine Hand die Züge gewaltsam verzerrt, einen schmalen Kopf mit einem waagerechten Schlitz von erschreckender Größe und - als genüge das nicht - mit einem senkrechten. Wahrhaftig, der Kopf eines Kamels. Ohne Geräusch. Ohne Laut. Ohne Regung.
Plötzlich war der Kopf da. Er schaute nicht einmal
wirklich, sondern so, als sähe er mich nicht oder als wäre ich gar nicht
da. Ich hatte Angst, er könnte mich plötzlich sehen, sich auf mich
stürzen, mich beißen. Aber nein, ganz und gar nicht. In seinen Augen lag
weder Zorn noch Erregung. Da war nichts. Nur große Augen, nach vorn
gerichtet. Und vorn war nichts.
Obwohl ich sicher war, nicht zu träumen, sagte ich mir, es sei nur ein
Tagtraum, eine Vision, eine Halluzination, die sich nie wiederholen
würde. Am Morgen bestieg ich den Bus. Das Gedränge war zum Ersticken.
Plötzlich sah ich, wie der stumme, unbewegliche Kopf auf uns
herabschaute. Sein Anblick allein genügte, Schrecken zu verbreiten -
oder zumindest Unruhe. Aber es war sonderbar, daß nur einige wenige
Fahrgäste aufmerksam wurden. Die meisten blieben gleichgültig. Und
obwohl ich mich nicht wunderte, stieg doch langsam ein Gefühl in mir
auf, für das ich bei den Alten keine Beschreibung finde. Vielleicht
haben sie es nicht gekannt oder dafür keinen Namen gefunden. Aber das
Gefühl war schließlich da, wurde aufdringlich, und so redete ich darüber
mit meinen Kollegen im Büro und mit meinen Freunden.
Es war deutlich, daß sie seit langem unter dem gleichen Gefühl leiden,
und daß ihnen der Kamelkopfüberall und zu jeder Stunde erscheint. Die
Diskussionen griffen um sich und nahmen kein Ende, und erstaunlich war,
daß der größte Teil der Diskussion in seiner Gegenwart stattfand. Er
schaute auf uns von der Tür, die zum Büro des Amtsdirektors führte. Er
schaute immer in derselben Weise von oben herab, vor uns starrte er
schweigend und regungslos, und in seinen Augen lag alles und nichts.
Ich selbst zweifle gelegentlich beinahe an meinem Verstand und an meinen
Sinnen und lehne ab, zu glauben, was ich sehe und was die anderen
gleichzeitig wahrnehmen. Es muß da einen Fehler geben. Die Wissenschaft,
der Verstand lehnt es ab, aber schrecklicherweisc ist es da und
geschieht.
Alles, was dabei bewirkt wird, ist, daß mit jedem Anfall
sein Erscheinen häufiger wird, so daß ich ihn überall sehe, wohin immer
ich mich wende, laufe, gehe, auf allen Seiten, vorn und hinten, links
und rechts, und nicht nur dort - das ist das Furchtbarste - ich sehe ihn
manchmal auch in mir selbst, mit starrem, nach vorn gerichtetem Blick
ohne Wimpern seh lag, in meinem geheimen Innersten -und nicht nur dort.
Manchmal sehe ich ihn in meiner Kindheit, wie er auf meine Mutter
herabschaut, die mich gebiert, oder auf meinen Vater, der mich zeugt.
Was soll ich tun? Vielleicht sind wir krank, sind wir alle krank. An
irgendeinem Tag ist unserer Phantasie etwas zugestoßen, das Male in der
Form eines Kamelkopfes hinterließ - oder vielleicht ist es noch etwas
anderes. Vielleicht liegt es in der Entwicklung. Ja die Entwicklung des
Menschen hat die Phase erreicht, in der der Kamelkopf dem Menschen
erscheinen muß. Was können wir tun, außer den Kamelkopfsehen? Er sieht
uns nicht, aber wir sehen ihn. Jetzt, ohne daß ich meinen Kopf hebe, bin
sich sicher, daß der Kamelkopf auf mich herabschaut. Dieser große,
schmale Kopf mit den mächtigen, gedunsenen Lippen . . .
Ich sehe das Kamel, geführt von seinem Besitzer, in
einem bedächtigen Gang, als wäre jeder Schritt ein Ereignis und
fortschreitende Geschichte. Dann, ohne Übergang, ohne Kampf, ohne Täter,
ohne Schuß oder Waffe, absolut ohne Ursache, fällt der Mann mit dem
weißen Gewand um, fällt tot um. Das Kamel flüchtet aber nicht. Es bleibt
stehen. Seine Zügel hängen herab, es schaut von oben herunter und
zugleich nach vorn, mit einem Blick, der alles und nichts umfaßt, mit
einem starren, undurchdringlichen Blick, als sei es immer da gewesen und
bliebe für immer . - Yussuf Idris, nach
(arc)
Kamelkopf (3)
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