affeekränzchen Nach angeregtester Rasputinlektüre saß sie mit feurigem Auge und leicht wirrem Haar da, bewegte ihre Gold- und Pferdezähne, hatte aber nichts zu beißen, sagte achgottachgott und meinte den uralten Sauerteig. Da Mama, die ja ihren Jan hatte, dem Gretchen nicht helfen konnte, hätten die Minuten nach diesem Teil meines Unterrichtes leicht unglücklich enden können, wenn das Gretchen nicht ein so fröhliches Herz gehabt hätte.
Schnell sprang sie dann in die Küche, kam mit der Kaffeemühle
wieder, nahm die wie einen Liebhaber, sang, während
der Kaffee zu Schrot wurde, wehmütig leidenschaftlich und von Mama unterstützt
»Schwarze Augen« oder »Der rote Sarafan«, nahm die schwarzen Augen in die Küche
mit, setzte dort Wasser auf, lief, während sich das Wasser auf der Gasflamme
erhitzte, hinunter in die Bäckerei, holte dort, oft gegen Schefflers Einspruch,
Frisch- und Altgebackenes, deckte das Tischchen mit geblümten Sammeltassen,
Sahnekännchen, Zuckerdöschen, Kuchengabeln und streute Stiefmütterchen dazwischen,
goß dann den Kaffee ein, lenkte zu Melodien aus dem »Zarewitsch« über, reichte
Liebesknochen, Bienenstiche, Es steht ein Soldat am Wolgastrand, und mit Mandelsplittern
gespickten Frankfurter Kranz, Hast du dort droben viel Englein bei dir, auch
Baiser mit Schlagsahne so süß, so süß; und kauend kam man wieder, doch jetzt
mit dem nötigen Abstand, auf Rasputin zu sprechen, konnte sich alsbald, nach
kurzer, kuchengesättigter Zeit ehrlich über die so schlimme und abgrundtiefverdorbene
Zarenzeit entrüsten. - Günter Grass, Die Blechtrommel.
Frankfurt am Main 1965 (zuerst 1958)
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