Jungfrau, schmutzige  Sie war fünfundzwanzig Jahre alt, häßlich und sichtlich ungepflegt (während die Frauen, mit denen ich zuvor ausging, gutgekleidet und hübsch waren). Ihr Familienname Lazare entsprach ihrem makabren Äußeren weit mehr als ihr Vorname. Sie war eigenartig, sogar reichlich lächerlich. Mein Interesse an ihr war schwer zu erklären. Man mußte eine Geistesstörung annehmen. So erschien es wenigstens jenen meiner Freunde, die mir an der Börse begegneten.

Sie war zu jener Zeit das einzige Wesen, das mich meiner Niedergeschlagenheit entriß: kaum war sie zur Tür der Bar hereingekommen - ihre knochenlose schwarze Silhouette am Eingang dieser dem Zufall und dem Glück geweihten Stätte glich einem stupiden Auftauchen des Unglücks -, schon erhob ich mich und führte sie an meinen Tisch. Sie trug schwarze, schlechtgeschnittene und fleckige Kleider. Sie machte den Eindruck, als sähe sie nichts von ihrer Umgebung. Oft stieß sie im Vorbeigehen an die Tische. Sie trug keinen Hut, ihre kurzen, strähnigen und schlechtgekämmten Haare hingen wie Rabenflügel zu beiden Seiten ihres Gesichtes herab. Sie hatte die große Nase einer mageren Jüdin, mit gelblicher Haut, unter einer Stahlbrille zwischen den Flügeln hervortretend.

Sie bereitete Unbehagen: sie sprach langsam, mit der Abgeklärtheit eines wirklichkeitsfremden Geistes; Krankheit, Müdigkeit, Entbehrung oder Tod galten nichts in ihren Augen. Was sie bei den anderen von vornherein voraussetzte, war vollkommene Gelassenheit. Sie wirkte sowohl durch ihren Scharfsinn als auch durch ihr visionäres Denken faszinierend. Ich stellte ihr das Geld zur Verfügung, das sie für den Druck einer kleinen Zeitschrift brauchte, der sie sehr viel Bedeutung beimaß. Sie verfocht darin die Prinzipien eines Kommunismus, der recht anders aussah als der offizielle Moskauer Kommunismus. Sehr oft glaubte Ich, sie sei tatsächlich verrückt, und es sei meinerseits ein übler Scherz, mich auf ihr Spiel einzulassen. Ich suchte ihren Umgang, glaube ich, weil ihre Betriebsamkeit ebenso ziellos und ebenso unfruchtbar war wie mein eigenes Leben, und ebenso gestört. Am meisten interessierte mich an ihr die krankhafte Gier, die sie dazu trieb, ihr Leben und ihr Blut für die Sache der Enterbten aufzuopfern. Ich dachte bei mir, daß es das armselige Blut einer schmutzigen Jungfrau sei.  - (bat)

 

Jungfrau Schmutz

 

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