unge,
großer
Meine Mutter wendet sich mir zu, wie ich dampfend in der Wanne sitze. Mein Kopf
schmerzt noch einmal. »Heile, heile Segen«, macht meine Mutter und wäscht mir
gründlich die Haare. Sie ist sehr nah an mir, ihre schwarzen Augenrinnen, flache
rissige Lippen, ein Gesicht so groß wie der Sturm. Sie nimmt meinen Kopf und
tunkt ihn tief ein. »Gott, was für eine Brühe«, sagt sie, sie rubbelt unter
Wasser an meinem Rücken, an meinem Nabel, an meinem Zipfel, sie fährt herauf
und bohrt sich mir tief in die Ohren, die ich immer vergesse. Sie ist noch immer
sehr kräftig, meine Mutter, tief unter der scheckigen Armhaut, die schlottert,
treten Muskeln an, wie in Elefanten. Mein Körper fängt an, sich in der Wanne
aufzulösen, aber meine Mutter zieht leider schon den Stöpsel, das Wasser gurgelt
zwischen meinen Zehen fort. Fröstelnd schmiege ich mich in das riesige Badetuch,
während meine Mutter - ich bin ja in Obhut - schon auf und ab läuft, um meine
Wärmeflasche zu richten und vieles andere abzuwik-keln, was sich ein Laienverstand
so nicht ausdenken kann. Das Nachthemd klebt mir am Rücken, unter den Achseln,
kühlend vom flüchtigen Abtrocknen, im Bett regnet es Vorwürfe, meine Mutter,
über mich gebeugt, die Brüste tief wie Nimbuswolken, klopft und schüttelt das
Plumeau um mich, sie skandiert »und - so - ein - großer - Junge - kann - sich
- nicht - einmal - richtig - abtrocknen!« - Walter E. Richartz, Drei
Tage Regen, drei Tage Schnee.
In: W.E.R., Das Leben als Umweg. Zürich 1988
Junge, großer (2) Spät in der Nacht schlenderte er durch die Straßen und studierte beim Schein der Laternen die Stellenanzeigen. Wie immer suchte auch diesmal niemand ausgerechnet ihn.
Wäre jemand dagewesen, der sich an ihn erinnert hätte, so würde er festgestellt
haben, daß Profane sich nicht verändert hatte. Immer noch der große amöbengleiche
Junge, weichlich und fett, mit kurz geschnittenem Haar, das nur noch stellenweise
wuchs, seine Augen klein wie die eines Ferkels und zu weit auseinanderstehend.
Die Straßenarbeit hatte den äußeren Profane nicht verändert, und den inneren
genausowenig. Obwohl die Straße einen großen Teil
von Profanes Jahren an sich gerissen hatte, blieben sie sich in jeder Hinsicht
fremd. Straßen (Gassen, Alleen, Wege, Plätze) hatten - ihn nichts gelehrt: er
konnte keinen Kran, Bulldozer, keine Dampfwalze bedienen, konnte keine Pflastersteine
legen, kein Bandmaß geradehalten, keine Feldmesserlatte richtig stellen, hatte
nicht einmal gelernt, Auto zu fahren. Er ging zu Fuß; ging, so dachte er manchmal,
durch die Auslagen eines hellen, gigantischen Supermarkts, und seine einzige
Aufgabe war, sich etwas zu wünschen. -
(v)
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