Judas   Judas erläutert Pilatus, daß er Jesus verurteilen müsse, daß es gar keine andere Möglichkeit gebe. Für das Heil der Welt sei es unabdingbar, daß der Sohn Gottes sich in einem Menschen verkörpere und am Kreuz sterbe. Dafür brauche es Menschen, die ihn ausliefern und verdammen, um so die göttliche Absicht zu vollenden. »Das Heil der Welt«, sagt Judas, »hängt an der Kreuzigung Christi. Wenn Er am Leben bleibt, wenn Er eines natürlichen Todes stirbt, am Biß einer Hornviper, an der Pest, an Wundbrand oder an irgend etwas, so wie alle Menschen sterben, dann ist es um die Erlösung geschehen. Aber dank Judas Iskariot, dank dir, Prokurator, wird dem nicht so sein.«

Indem er die schlimmstmögliche Schande bewußt auf sich nimmt, um am Plan Gottes mitzuwirken, stellt Judas eine Opferbereitschaft unter Beweis, die ihn über alle Heiligen erhebt. Zum größten Ruhme Gottes verzichtet dieser Asket, indem er sich selbst überbietet, auf Ehre, auf das Heil, das Himmelreich, so wie andere, weniger heldenhaft, der Fleischeslust entsagen. (»Warum«, fragt Borges, »entsagte er nicht dem Entsagen? Warum nicht dem Entsagen des Entsagens usw.?«) Judas ist das Werkzeug des göttlichen Opfers und Pilatus mit ihm. »Von nun an«, sagt der Jünger zum Römer, »sind unsere Namen auf ewig miteinander verbunden: der Feigling und der Verräter. In Wahrheit der Tapfere und der Treue par excellence, der, dessen Schwäche nötig war, und der andere so ergeben, daß er es aus Liebe auf sich nahm, für immer mit dem Schandmal des Treubruchs gebrandmarkt zu sein. Du wirst verabscheut werden, aber tröste dich. Er weiß, daß Er die Menschen nicht hätte erlösen können ohne meinen vorgeblichen Verrat und ohne deine scheinbare Feigheit- Roger Caillois, nach: Emmanuel Carrère, Kleopatras Nase. Berlin 1993

Apostel

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 

Unterbegriffe

VB
Verräter

 

Synonyme