Jetzt  Jeder denke, daß sein innerster Kern etwas ist, das die Gegenwart enthält und mit sich herumträgt.

Wann immer wir auch leben mögen; stets stehn wir, mit unserm Bewußtseyn, im Centro der Zeit, nie an ihren Endpunkten, und könnten daraus abnehmen, daß Jeder den unbeweglichen Mittelpunkt der ganzen unendlichen Zeit in sich selbst trägt. Dies ist es auch im Grunde, was ihm die Zuversicht giebt, mit der er ohne beständige Todesscbauer dahinlebt. Wer nun aber, vermöge der Stärke seiner Erinnerung und Phantasie, sich das längst Vergangene seines eigenen Lebenslaufs am lebhaftesten vergegenwärtigen kann, der wird sich der Identität des Jetzt in aller Zeit deutlicher, als die Ändern, bewußt. Vielleicht sogar gilt dieser Satz richtiger umgekehrt. Jedenfalls aber ist ein solches deutlicheres Bewußtseyn der Identität alles Jetzt ein wesentliches Erforderniß zur philosophischen Anlage. Mittelst seiner faßt man das Allerflüchtigste, das Jetzt, als das allein Beharrende auf. Wer nun auf solche intuitive Weise inne wird, daß die Gegenwart, welche doch die alleinige Form aller Realität, im engsten Sinne, ist, ihre Quelle in uns hat, also von innen, nicht von außen quillt, der kann an der Unzerstörbarkeit seines eigenen Wesens nicht zweifeln. Vielmehr wird er begreifen, daß bei seinem Tode zwar die objektive Welt, mit dem Medio ihrer Darstellung, dem Intellekt, für ihn untergeht, Dies aber sein Daseyn nicht anficht: denn es war eben so viel Realität innerhalb, wie außerhalb. Er wird mit vollem Verständniß sagen: Ich bin alles, was war und ist und sein wird [Inschrift des Isistempels zu Sais.]

Wer alles Dieses nicht gelten läßt, muß das Gegentheil behaupten und sagen: »Die Zeit ist etwas rein Objektives und Reales, das ganz unabhängig von mir existirt. Ich bin nur zufällig hineingeworfen, eines kleinen Theiles derselben habhaft geworden und dadurch zu einer vorübergehenden Realität gelangt, wie tausend Andere vor mir, die jetzt eben nichts mehr sind, und auch ich werde sehr bald nichts seyn. Die Zeit hingegen, die ist das Reale: sie zieht dann weiter ohne mich.« Ich denke, daß das Grundverkehrte, ja Absurde dieser Ansicht durch die Entschiedenheit des Ausdrucks fühlbar wird.

Das Leben kann, diesem Allen zufolge, allerdings angesehn werden als ein Traum, und der Tod als das Erwachen. Dann aber gehört die Persönlichkeit, das Individuum, dem träumenden und nicht dem wachen Bewußtseyn an; weshalb denn jenem der Tod sich als Vernichtung darstellt. Jedenfalls jedoch ist er, von diesem Gesichtspunkt aus, nicht zu betrachten als der Ueber-gang zu einem uns ganz neuen und fremden Zustande, vielmehr nur als der Rücktritt zu dem uns ursprünglich eigenen, als von welchem das Leben nur eine kurze Episode war.

Wenn inzwischen ein Philosoph etwan vermeinen sollte, er würde im Sterben einen ihm allein eigenen Trost, jedenfalls eine Diversion, darin finden, daß dann ihm ein Problem sich löste, welches ihn so häufig beschäftigt hat; so wird es ihm vermuthlich gehn, wie Einem, dem, als er eben das Gesuchte zu finden im Begriff ist, die Laterne ausgeblasen wird.   - (schop)

Jetzt (2)  Kurze Bewegungen wie etwa ein Winken oder Streicheln, das zornige Aufstampfen mit dem Fuß oder ein freundliches Händeschüttein dauerten immer etwa drei Sekunden, bevor die Bewegungsabfolge leicht variiert wurde. Das Erstaunliche daran: Das Leben im Dreisekundentakt scheint universell verbreitet zu sein, bei den Yanomami-Indianern am Orinoko oder dem San-Volk in der Kalahariwüste, bei den Trobriandern auf den melanesischen Inseln ebenso wie im bayerischen Bierzelt.

«Inseln der Gegenwart» nennt Ernst Pöppel, Direktor am Forschungszentrum Jülich, dieses Taktphänomen. Wann er dem Dreisekundentakt erstmals auf die Spur kam, weiß der Hirnforscher heute nicht mehr so genau. Um so genauer aber kann er das Phänomen beschreiben, «Wenn man eine Zeitlang dem Schlagen eines Metronoms zuhört, ordnen sich die gleichmäßigen Schläge im Kopf fast automatisch zu Gruppen. Beim Versuch, die Gruppen immer länger werden zu lassen, beginnt dieser Takt irgendwann zu verschwimmen, etwa dann, wenn zwischen den Schlägen mehr als drei Sekunden verstreichen.»

Das Versmaß des Eebens läßt sich auch in anderen Experimenten nachweisen. Soll eine Versuchsperson zwei Reize mit leicht unterschiedlicher Intensität miteinander vergleichen, dann müssen sie innerhalb eines Zeitfensters von drei Sekunden präsentiert werden. Das gilt für Lichtreize ebenso wie für Töne. Wird die Zeit überschritten, kann der Versuchsteilnehmer meist nur noch raten.

Den Takt im Kopf hat Pöppel fast überall entdeckt: im Versmaß von Gedichten wie in Bachschen Fugen, im japanischen Nô-Theater wie in Balladen der Beatles. Hier ein Experiment zur Nachahmung: Bei der Silbenfolge Ba-Ku-Ba-Ku-Ba-Ku . . . pendelt der Zuhörer im Geiste unausgesetzt zwischen den Großen Antillen und dem Kaspischen Meer, reist von Kuba nach Baku und zurück, auch das im Dreisekundentakt.

«All dies zeigt deutlich, daß das bewußte Jetzt sprach- und kulturunabhängig etwa drei Sekunden zu betragen scheint», glaubt die Physikerin und Philosophin Eva Ruhnau, die mit Pöppel am Münchner Institut für medizinische Psychologie zusammenarbeitete. «Das Jetzt ist kein Punkt, sondern besitzt eine Ausdehnung.» Eben darin unterscheiden sich biologische und physikalische Zeit. Denn in der Physik ist das Jetzt ein Punkt ohne Ausdehnung, ein nicht faßbares Abstraktum. Die Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft hat keine Dimension. Lebende Organismen schaffen sich, so scheint es, die Dimension der Gegenwart in ihrer Wahrnehmung selbst, geben ihr Dauer und Richtung. Folgen und Rhythmen ordnen und gliedern das Unfaßbare und machen es so dem Erleben zugänglich.  - (kopf)

Jetzt (3)
 

Jetztheit Augenblick

 

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