emand Ich hielt es für angezeigt, mich vorzustellen: »Mein Name ist Eudoro Acevedo. Ich bin 1897 geboren, in der Stadt Buenos Aires. Ich bin schon siebzig Jahre alt. Ich bin Professor für Englische und Amerikanische Literatur und schreibe phantastische Erzählungen.«
»Ich entsinne mich«, antwortete er, »zwei phantastische Erzählungen ohne Mißfallen gelesen zu haben. Die Reisen des Kapitäns Lemuel Gulliver, die viele für wahr halten, und die Summa Theologica. Aber sprechen wir nicht von Geschehenem. Geschehenes kümmert niemanden mehr. Es ist höchstens Ausgangspunkt für Erfindung und Nachdenken. In den Schulen bringen sie uns den Zweifel bei und die Kunst des Vergessens. Vergessen werden soll vor allem Persönliches und Ortsverhaftetes. Wir leben in der Zeit, die sukzessiv ist, aber wir versuchen, sub specie aeternitatis zu leben. Aus der Vergangenheit verbleiben uns ein paar Namen, und die Sprache neigt dazu, sie auszulöschen. Wir scheuen überflüssige Einzelheiten. Es gibt weder Chronologie noch Geschichte. Auch Statistiken gibt es nicht. Du hast mir gesagt, daß du Eudoro heißt; ich kann dir meinen Namen nicht sagen, weil man mich Jemand nennt.«
»Und wie hieß dein Vater?«
»Er hatte keinen Namen.« - Jorge Luis Borges,
Utopie eines müden Mannes. In: Spiegel und
Maske. Erzählungen 1970 bis 1983. Frankfurt am Main 2000 (Fischer Tb. 10589)
Jemand (2) Jemand, dem im letzten
Krieg zufällig keine Bombe auf den Kopf fiel, der noch während dieses Krieges
an Difterie erkrankte, dem nur das eigenwillige Verhalten seiner Mutter das
Leben rettete, indem sie das Fenster und die Verdunklung während eines Fliegeralarms
aufriß und den Dr. Paul in Unterhosen herbeizerrte, damit ihr Kind nicht wie
das nebenan nach den Worten der Krankenschwester ein schönes Engerl würde; jemand,
der schon in den Gedanken seiner Eltern zum Streuner gemacht wurde, der u. a.
auf einem Bauernhof ausgesetzt stundenlang durch Brennesseln streunte und der
es im Mannesalter als Glück bezeichnete, als er schließlich in einem Schuppen
landete und eine Henne vom Nest verscheuchte und 9 Eier zerdrückte, daß ihm
das Glück über die Finger rann, der aus £inem Bett, das er mit einem siebzehnjährigen
Heribert teilen mußte, der sich das beunruhigende Nägelbeißen des Kleinen verbat,
mitgenommen wurde, wenn er gerade noch merkte, daß sich die Mutter wieder wegstahl
in das Ethos des Geldverdienens, wie er einmal sagte, die sich plötzlich seiner
grindigen Füße erbarmte, mit denen er vor ihr stand, oder in der der Haß aufflammte
und sie das Kind mitnahm, wenn die Oberin des Kinderheims klagte: Er ißt nichts,
er redet und deutet nichts; ich weiß nicht, woher er den dicken Bauch hat; und
er keines der Pakete von seiner Mutter bekommen hatte; jemand, der von seiner
Großmutter zu spät aus diesen Kindheitsschlamasseln zu sich aufs Land geholt
wurde, wo er zu einsam an wolkenbestückten Weihern vorbeiging, um nicht von
Mädchen zu viel zu verlangen und sich in endlose Querelen zu verstricken, die
ihm bald mit der Polizei zu schaffen machten, so daß er, wieder in Freiheit,
sich jedesmal komischer, seine Bezeichnung, eigenwilliger, unsere Bezeichnung,
aufführte und einmal ausrief: Oh Papi - Du stößt in einem Deiner Filme ein
Segelboot vom Kai ab und bekommst 5 Meter lange Beine. Ein andermal: L'Etat
c'est moi. Jemandem, dem man auf der Schule beigebracht hatte, daß er der
Staat sei, wurde dieser Lernsatz zum albernen Witz, den sich jeder vorsagen
sollte. Diesem Jemand blieb Zeit seines Lebens nichts als die Suche nach einer
Krankenschwesternliebe, die ihm, erst ein paar Wochen alt, 5 Monate lang auf
einer Isolierstation gegönnt war, bis er ertrank. - Herbert Achternbusch, L'État
c'est moi. Frankfurt a Main 1972
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