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man fragt sich tatsächlich: WAS HABE ICH DA BEGONNEN,
WORAUF HABE ICH MICH DA EINGELASSEN, und das sind nicht immer die besten, und
man hat sein ganzes Leben für die Literatur eingesetzt, und es kommt noch immer
nichts heraus dabei - seine Vorzüge sind im ganzen so glänzende daß man ihm
keine Fehler nachweisen könnte, seine Geistigkeit - flößt mir Liebe und Hochachtung
ein, er ist eine angenehme Gesellschaft, ein Meteor in einer Dunkelheit, er
ist ein freier Geist, ein Meister der Konzisheit, der Sorgfalt, der Ordnungsliebe,
er ist cholerisch (wie es sein Vater war), er ist melancholisch gelassen, zuweilen
wird er von einer Besessenheit emsiger Akkuratheit, von einer ängstlichen Penibilität
erfaßt, niemand kann ihn da erlösen, er klebt eine Briefmarke auf und es ist
eine heilige Handlung, mit zwei blaßblauen Falterflügeln, Halbmonde auf der
Stirn, sehe ich ihn als Kind, auf vergilbten Photos, das sind die Flügel seiner
Kindheit, er sieht darauf seiner früh verstorbenen Mutter ähnlich die hätte
ich immer gerne kennengelernt, wahrscheinlich hätte ich mich gut verstanden
mit ihr, was für ein Stammbaum, ruft er, und meint die Teerose, ich habe ihm
eine einzelne gelbe Rose auf den Tisch gestellt, er hütet sein Medikamentenarsenal,
hält es vor mir versteckt, und im Wiener Arsenal haben
ja auch seine Großeltern von Mutterseite gelebt, sein Profil zeigt jetzt noch
manchmal den Kopf jenes Kindes auf dem Photo, die weit geöffneten Augen, der
weit geöffnete Mund und während er seine hinreißenden Verse hinausschmettert;
seine Augen können aber auch traurig blicken, blaugraue Blumenbälle. Blumen
im Zimmer liebt er so sehr, daß er sie bis zu ihrem äußersten Verwesungszustand
im Glase beläßt, die wenigsten kennt er mit Namen, und was die Liebe zu den
Tieren angeht, ist es ein Anliegen von ihm seit es ein Anliegen von mir ist,
er ist auch ein Pflichtmensch. Seine blaugrauen Augen können ängstlich blicken,
aber meist ist er unangreifbar solide in seinem Geist und Gesicht, ein streitbarer
: ein friedenstiftender Geist, ein spontaner : ein zurückhaltender Geist, mit
seiner Stimme kann er fast alles, er ist für alles kompetent, oder scheint es
zu sein, er ist voll Vielfalt, er ist voll Bedächtigkeit, er ist voll Bescheidenheit,
er ist voll Würde, er ist voll unbestechlicher Radikalität, er hat Löwenkräfte,
er ist furchtlos, ausdauernd, beherzt; seine Gedanken so feingliedrig dennoch
festgefügt und facettenreich so daß sein Facettenauge - ich meine, keine Philosophie
darüber!, ach ganz gemein und gewöhnlich bin ich in meinen Gedanken wenn ich
sie an den seinen messe, ich schneide schlecht ab, ich stehe mit leeren Händen
da, bin unbeständig und unentschlossen, meiner nicht sicher, er hingegen so
eine Existenz - du bist so eine Existenz, rufe ich,
worüber er Tränen lacht. - Friederike Mayröcker,
Magische Blätter II. Frankfurt am Main 1987 (es 1421)
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