nsektenmensch Der Mensch, der, um nur ein Beispiel herauszugreifen, biogenetisch dem Wurm näher steht als etwa dem Affen, hat bei sich nicht die Fähigkeit entwickeln können, zu fliegen, weil die Zwischenstufe der Larve, der Verpuppungsprozeß, der im Lebenskern noch bei allen Insekten zu finden ist, verkümmert und unterdrückt ist. Statt dessen hat sich in der Bewußtseinsbildung der Intellekt geformt, mit dem das Menschenwesen einige Jahrtausende überstanden hat, ein Ersatz und gewissermaßen auch ein biologischer Schutz, der heute bereits wieder in der weiteren Perspektive dem Nachstoß des Instinkts, einem Vulkan vergleichbar, wird weichen müssen.
Der Insekten-Typ im Menschen ist ungenutzt geblieben. Der Vogel, der
das Insekt zur Flugleistung verdichtet hat, bildet zugleich aus der gleichen
Verdichtung den Laut, den Gesangstriller aus den Myriaden von Insekten,
die der Vogel im Lebensablauf als Typ wie als Einzelwesen frißt und gefressen
hat. - Aus: Franz Jung, Erinnerung an einen Verschollenen. Ernst
Fuhrmanns Lehre von den Zusammenhängen.
In: Franz Jung, Schriften, Bd. 1, Salzhausen / Frankfurt am Main 1981
Insektenmensch (2)
- Aus:
Songes
drolatiques de Pantagruel, 1565, nach (
rab
)
Insektenmensch (3) Ebensowenig wie der
Einzelne sich noch mit der Würde der Person zu bekleiden vermag, erscheint
er als Individuum oder erscheint die Masse als Summe, als eine zählbare
Menge von Individuen. Wo man ihr auch begegnen möge, ist es unverkennbar,
daß eine andere Struktur in sie einzudringen beginnt. Sie bietet sich in
Bändern, in Geflechten, in Ketten und Streifen von Gesichtern,
die blitzartig vorüberhuschen, der Wahrnehmung dar, auch in ameisenartigen
Kolonnen, deren Vorwärtsbewegung nicht mehr dem Belieben, sondern einer
automatischen Disziplin unterworfen ist. - Ernst Jünger, Der Arbeiter.
Herrschaft und Gestalt. Stuttgart 1982 (Cotta's Bibliothek der Moderne
1, zuerst 1932)
Insektenmensch (4) Bei größeren Menschenansammlungen
muß ich immer an Insekten denken. Ich bin nicht der erste, der diese Ähnlichkeit
festgestellt hat, aber man erschrickt doch jedesmal ein wenig, wenn man sie
von neuem wahrnimmt. Zum Beispiel bei einem offiziellen Empfang: welches Bild
einer durcheinanderwimmelnden Insektenwelt! Wie buntschillernde Käferflügel
sind die Kleider der Frauen, wie dunkle Mistkäfer
dazwischen die Fräcke der Männer. Und welch insektenhafte
Gefräßigkeit entwickeln alle vor vollbesetzten Büfetts!
Unheimlicherweise kann man sich selbst nicht absondern. Man wird an- und hineingezogen
und plötzlich auch in einen gierigen Käfer
verwandelt, wie alle. - George Grosz, Ein kleines Ja und ein
großes Nein. Sein Leben von ihm selbst erzählt. Reinbek bei Hamburg 1986, zuerst
1955
Insektenmensch (5)