Impertinentismus   Wir wollen uns nicht erst auf die etymologischen Finessen des Wortes einlassen, sondern wollen es so genommen wissen, wie man es braucht, von impertinent her, also frech, unverschämt, aufdränglich. Wir wollen uns auf diese Schulbezeichnung ralliieren, wir, die Unverschämten, Frechen, Würdelosen, Anstandslosen, Unbürgerlichen, stolzen Habenichtse.

Wir wollen uns nicht mehr Expressionisten nennen! Denn ausdrücken tut jeder Eindrückling und Schafskopf was! Es kommt doch schließlich darauf an, was man ausdrücken will! Und ich wüßte nicht, was wir nötiger, bestimmter auszudrücken hätten als unsere maßlos junge und unverschämte Frechheit! Oder meint einer, Talent solle sich ausdrücken? Mit Talent kann man es zum vollendeten Idioten bringen! Haben Rückert, Caprivi, Stuck kein Talent gehabt? Also! Und, frage ich, was tut dieser gräßlich großen Zeit noter als die goldenste Frechheit? Man erstickt das Leben ja in Würde, Pedanterie, Leistung und Fleiß und Talentiererei! Wir wollen nichts sein als prachtvoll frech!

Wir wollen uns auch nicht mehr Futuristen nennen! Denn wir pfeifen auf die Zukunft, wenn unsere Gegenwart nur ein Wechsel auf sie sein soll! Wir wollen äußerst präsentisch und gar nicht zukünftlerisch sein! Wir sind nicht so dumm, so gescheut zu sein, die Werte der Zukunft genau berechnet in der Tasche zu haben. Zweiundzwanzig Jahre sind wir nur heute in dieser Stunde und in der Zukunft vielleicht und wahrscheinlich vierzigjährige Esel. Wir wollen uns auch nicht Aktivisten nennen. Denn wir wollen weder in der Tat noch im Werke die alleinige Heiligung sehen!

Wir wollen die Faulheit nicht ausschließen, im Gegenteil! Wir wollen die Faulheit heiligen, wenn sie sich mit der Frechheit den Adel gibt!    
Wir wollen uns auch nicht Melioristen nennen. Einmal, weil uns dann die Karriererevolteure sofort für sich reklamieren würden, und so billig tun wir es nicht, wenngleich auch wir nicht die Spur einer Ahnung von einem Ziel haben, zu dem hin schon die Welt oder die pp Mitmenschen gebessert werden sollen. Beiläufig werden die pp Menschen das schon besser finden, wohin sie gerade wollen, als wir ihnen sagen könnten. Wir könnten ihnen nur sagen: seid frech!

Ja, wir wollen uns also die Impertinentisten nennen. Der Dümmste versteht, was darunter gemeint ist, und so werden wir bis in Kreise der Fremdwortunkenntnis hinein rasch sehr populär werden. Die Frau Pollack sogar kann uns nicht mißverstehen, geschweige das »B. T«!

Wir wollen nichts als frech bei jeder Gelegenheit sein! Wir wollen keineswegs unsere Frechheit in besonderen Werken akkumulieren! Wir sind weder eine besondere Dichter-, Maler- oder Musikerschule. Wir bestreiten, daß Talent was Gutes sei, das dem Menschen schon das Recht aufsein Trotteltum gäbe! Wir bestreiten, daß der Wert eines Menschen nur an seinem Werk zu messen sei! Wir beweisen nichts aus der Geschichte, denn unser Leben ist erst- und einmalig. Wir erachten uns unsern Werken, wenn wir sie schon tun, in keiner Weise verpflichtet und lachen den aus, der uns darauf verpflichten will! Wir stecken aus Frechheit voller schlechter Streiche! Wir können bluffen wie die abgesottensten Pokerspieler. Wir tun so, als ob wir Maler, Dichter oder sonst was wären, aber wir sind nur und nichts als mit Wollust frech. Wir setzen aus Frechheit einen riesigen Schwindel in die Welt und züchten Snobs, die uns die Stiefel abschlecken, parce que c'est notre plaisir!

Freunde, Kameraden, wir wollen unsern Namen aufrollen wie ein gutes Banner und uns Impertinentisten nennen! Kein Mißverständnis mehr bei uns und unsern »Gegnern«! Nehmen wir ihnen den Wind unserer Blähungen aus den Segeln ihrer Tageblätter! Windmacher, Sturmmacher sind wir mit unserer Frechheit. Es lebe der Impertinentismus!   - "A. Undo" [Kurt Kersten?], nach: Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909-1938). Hg. Wolfgang Asholt, Walter Fähnders. Stuttgart Weimar 1995

 

Avantgarde Impertinenz

 

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