deen, eingeborene  Locke war ein erklärter Theist. Mit Verwunderung habe ich bei diesem großen Philosophen in dem Kapitel über die eingeborenen Ideen gelesen, daß die Menschen alle ganz verschiedene Vorstellungen von Recht und Unrecht hätten. Wenn das so wäre, gäbe es keine einheitliche Moral mehr, würde die Stimme Gottes nicht mehr zu den Menschen dringen, gäbe es also keine natürliche Religion mehr. Ich stimme mit ihm darin überein, daß es Völker gibt, bei denen es üblich ist, den eigenen Vater zu verspeisen und seinem Nachbar einen Freundschaftsdienst zu erweisen, wenn man mit seiner Frau schläft. Dies beeinträchtigt jedoch nicht die Allgemeingültigkeit des Gesetzes: »Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.« Wenn man nämlich seinen eigenen Vater verspeist, so deshalb, weil er alt und gebrechlich ist und die Feinde ihn verspeisen würden. Welcher Vater aber möchte nicht lieber seinem Sohn eine gute Mahlzeit liefern als den Feinden seines Volkes? Überdies hofft derjenige, der seinen Vater verspeist, daß er seinerseits eines Tages von seinen Kindern verspeist wird.

Erweist man seinem Nachbarn einen Freundschaftsdienst, wenn man mit seiner Frau schläft, so deshalb, weil dieser keinen Sohn zeugen kann, sich aber einen wünscht; andernfalls wäre er sehr böse darüber. In beiden Fällen, wie in allen anderen, bleibt das natürliche Gesetz in Kraft: »Nur was du willst, das man dir tu, das füg auch einem andern zu.« Alle anderen Vorschriften, mögen sie noch so unterschiedlich sein, gründen sich auf diese eine. Selbst wenn also der große Metaphysiker Locke erklärt, daß die Menschen keine eingeborenen Ideen haben und daß ihre Vorstellungen über Recht und Unrecht ganz verschieden sind, will er damit gewiß nicht sagen, daß Gott nicht allen Menschen den Selbsterhaltungstrieb verliehen habe, der sie alle unfehlbar leitet. - Voltaire, Philosophisches Wörterbuch, nach (vol)

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