dealismus  Der leidenschaftliche Idealist Shelley ist ein junger Rebell, den weder die Meister von Eton noch die von Oxford zu zähmen vermögen. Wegen seiner Aufmüpfigkeit und seiner atheistischen Ansichten von der Universität ausgeschlossen und von seinem Vater, dem Herrn Baronet, verstoßen, entführt er mit 17 Jahren die junge Harriet Westbrook, die er in Schottland heiratet, bevor er sie in Irland schwängert.

Ihrer schon bald überdrüssig, entbrennt er in (wechselseitiger) Liebe zu der schönen Mary Godwin mit den »haselnußbraunen Augen«; die Fünfzehnjährige ist die Tochter eines seiner geistigen Vorbilder, des Revolutionstheoretikers William Godwin und der berühmten Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft.

Nach einer weiteren Entführung um vier Uhr morgens macht er sich zusammen mit Mary und ihrer Schwester Claire auf eine mühselige Rundreise durch (das vom Krieg verwüstete) Frankreich, die Schweiz, Deutschland und Holland. Mary verliert ihr erstes Kind, Claire vernarrt sich in den großen Byron, der des Inzests beschuldigt wird, und alle gehen ins Exil in die Schweiz; währenddessen bringt sich eine andere Schwester von Mary um, und Harriet wird ertrunken aufgefunden, beide Opfer von Shelleys vernichtendem Charme.

Mehr denn je auf der Suche nach der Utopie, reist das infernalische Trio nach Venedig, wo die Tochter von Claire und Byron stirbt, nach Rom, wo Marys zweites Kind umkommt, und schließlich in die Toskana, wo der Leichnam von Shelley vor den Augen von Byron und Mary verbrannt wird, nachdem einer jener unvorhersehbaren Stürme, deren Geheimnis nur das Mittelmeer kennt, ihn an die Küste geworfen hat. - (archi)

Idealismus (2) Es würde wenig erbringen, die kürzeste Anekdote aus der Metaphysik mit ›Tiefgang‹ nachzuweisen. Vielmehr müßte, wenn das Reiz haben sollte, die Kürze im reziproken Verhältnis zur Tiefe stehen.

Es gibt Annäherungen.
Nicht zufällig: Kant. Als ihn Garve mit Berkeleys Idealismus in Verbindung bringen will, apotropäisch:

Bei Leibe nicht!

Ironie der ›Annäherung‹ liegt dann erst recht darin, daß Kant - nachdem er sich in der »Widerlegung des Idealismus« der zweiten Auflage der ersten »Kritik« von Berkeley ausdrücklich distanziert hatte - mit einer Anekdote über diesen bekanntgemacht wurde, in der Kürze und Tiefe kein ungünstigeres Verhältnis haben. Sie steht im Postskriptum eines Briefes, den der Prediger der Amsterdamer Mennonitengemeinde Allard Hulshoffam 5. August 1790 an Kant gerichtet hatte. Danach hatte der Leugner der Materie, versunken in tiefe Betrachtungen, auf dem Akademieplatz in Dublin seinen Kopf an einem Pfeiler gestoßen, die entstandene Beule mit der Hand bedeckt und vor Schmerz das Gesicht verzogen. Da habe ihm einer zugerufen: »Oh, Sir! it matters not.« Der holländische Prediger fügt dem nur hinzu: Deese aequivoque is onvertaalbaar. Einer, der hierzulande Berkeley besser kennt als andere, hat die Unübersetzbarkeit des Zurufs in Beziehung zu der Frage gesetzt, wer es gewesen sein könnte; davon hänge ab, wie man zu verstehen habe. Wolfgang Breidert hat mir erlaubt, seinen Katalog wiederzugeben, und ich halte mich an den Wortlaut:

Wer mag wohl diese Worte geäußert haben? Etwa ein Handwerker, der Berkeleys Verlegenheit als Sorge um die Standfestigkeit des Pfeilers auffaßte und sagen wollte: »Durch einen so kleinen Stoß bringt man unsere Werke nicht ins Schwanken.« Vielleicht hatte er auch den Eindruck, Berkeley versuche mit seinem Kopf den schwachen Pfeiler zu stützen. Der Aus Spruch hätte dann den Sinn: »Nicht nötig. Unser Werk hält auch ohne Kopfstütze.«

Möglicherweise war es auch nur der tröstende Zuruf eines vorübereilenden Arztes, der sagen wollte: »Es eitert nicht. Es gibt nur eine Beule, die ohne Teerwasser wieder verschwindet.« Vielleicht wollte ein materialistischer Spotter eine Kluft zwischen Berkeleys Argumentationen und Empfindung aufreißen. Dann ist aber nicht ausschließen, daß ein Schüler des Bischofs den verlegenen Lehrer durch eine Wiederholung derselben Worte zu trösten versuchte: »Selbst der Schmerz materialisiert nichts. Er ist als Argument ohne Bedeutung.«
Ich glaube eher, es kam gerade ein Metaphilosoph vorbei, der alle diese verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten vor Augen hatte und deswegen meinte: »Der gesamte Vorfall ist für die Philosophie ohne Bedeutung.«
- (blum)

Idealismus (3)  Zuletzt, da es mit seinem Verstand völlig zu Ende gegangen, verfiel er auf den seltsamsten Gedanken, auf den jemals in der Welt ein Narr verfallen; nämlich es deuchte ihm angemessen und notwendig, sowohl zur Mehrung seiner Ehre als auch zum Dienste des Gemeinwesens, sich zum fahrenden Ritter zu machen und durch die ganze Welt mit Roß und Waffen zu ziehen, um Abenteuer zu suchen und all das zu üben, was, wie er gelesen, die fahrenden Ritter übten, das heißt jegliche Art von Unbill wiedergutzumachen und sich in Gelegenheiten und Gefahren zu begeben, durch deren Überwindung er ewigen Namen und Ruhm gewinnen würde. Der Arme sah sich schon in seiner Einbildung durch die Tapferkeit seines Armes allergeringsten Falles mit der Kaiserwürde von Trapezunt bekrönt; und demnach, in diesen so angenehmen Gedanken, hingerissen von dem wundersamen Reiz, den sie für ihn hatten, beeilte er sich, ins Werk zu setzen, was er ersehnte. - (don)

Idealismus (4)  Dr. Petrelle hätte den Fall sicherlich besser dargelegt als er. Zunächst die versuchte Brandstiftung. Dann ihre sexuellen Beziehungen zu Calas. Schließlich ihr Durchbrennen mit ihm, wo andere in ihrer Lage eine Abtreibung vorgenommen hätten.

Vielleicht war auch das eine Art Trotz oder Ekel. Maigret hatte schon versucht, unter Berufung auf andere, besonders Leute mit Fachkenntnissen, darauf hinzuweisen, daß Menschen, die rasch herunterkommen, zumal solche, die mit morbider Verbissenheit darauf aus sind, immer tiefer zu sinken und sich geradezu mit Lust zu quälen, fast stets Idealisten sind.

Es war umsonst. Coméliau würde ihm erwidert haben:

»Sie sollten lieber sagen, sie sei ihr Leben lang lasterhaft gewesen.«  - Georges Simenon, Maigret und der Kopflose. München 1972 (Heyne Simenon-Kriminalromane 13, zuerst 1955)

Idealismus (5)  Vor dem Ersten Weltkrieg ist Otto Brunner mit seinen Eltern aus der Schweiz nach Brasilien ausgewandert und hat dort miterlebt, was soziale Ausbeutung und Entrechtung heißen kann. Diese Jugenderfahrung läßt ihn zum überzeugten Kommunisten werden. Nach dem Ersten Weltkrieg nimmt er als Matrose auf einem Schiff der amerikanischen Kriegsmarine an einer Rebellion der Mannschaft teil. Das Schiff hat Exilrussen an Bord, die in ihrer Heimat die weißen Armeen unterstützen sollen. Wegen Meuterei soll er vor ein amerikanisches Kriegsgericht gestellt werden, springt aber bei der Fahrt durch den Panama-Kanal über Bord, kommt wieder nach Brasilien und beteiligt sich dort an der Revolution für den sozialen Fortschritt. Später kehrt er in die Schweiz zurück, tritt der kommunistischen Partei bei und organisiert in den zwanziger Jahren den Widerstand gegen die Schweizer Faschisten. Im Spanischen Bürgerkrieg bringt er es bald bis zum Oberst der Internationalen Brigaden. Berichte seiner Kameraden, unter anderem von Alfred Kantorowicz, der im Bürgerkrieg sein Adjutant gewesen ist, zeugen von seiner idealistisch-aufrichtigen Gesinnung und seinem hohen Verantwortungsbewußtsein. Schon hier ist er manchem linientreuen stalinistischen Kommunisten unbequem, weil er Anstand, Fairneß und Kameradschaftssinn über die Parteidisziplin stellt. Nach dem Ende des Bürgerkrieges kehrt er in die Schweiz zurück. Wegen Kriegsdiensten in fremden Heeren soll ihm der Prozeß gemacht werden. Die Schweizer Offiziersgesellschaft tritt an ihn heran und will ihn für sich gewinnen. Er lehnt ab. Jetzt wird er vor Gericht gestellt, und man schickt ihn bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ins Gefängnis. Nach 1945 ist der Typ des idealistischen Kommunisten selbst in der kommunistischen Partei der Schweiz wenig gefragt. Da Brunner seit dem Bürgerkrieg mit dem späteren Marschall Tito befreundet ist, findet man einen Vorwand, ihn als »Abweichler« aus der Partei auszuschließen. Heute lebt der unbequeme, aufrichtige Mann, der, wie Alfred Kantorowicz es nennt, zu jenen Besseren gehört, die immer zwischen den Stühlen sitzen, fast siebzigjährig als Heizungsmonteur in Zürich. - Der Spanische Bürgerkrieg in Augenzeugenberichten, Hg. Hans-Christian Kirsch, München 1978 (dtv 796)

Idealismus (6)   Ein Tier kann zu einer »bête noire« werden, ohne daß es ein schwarzes Gefieder oder ein schwarzes Fell aufweist. Als der französische Zoologe Alphonse Toussenel seine respektable Liste »schwarzer Tiere« zusammenstellte, traf zwar die Schwarzheit auf die Elster zu, die er nicht nur symbolisch ausrotten wollte, er war ihretwegen als Junge auf Bäume geklettert, um ihre Nester auszuräumen. Er verurteilte auch den Kuckuck oder die Kohlmeise als »schwarze Tiere«, alle, die er mit unbekümmerter Subjektivität der Henker- und Ausbeuterklasse zuzählte, die Eule als Repräsentantin des Klerus und die Schleiereule als Vertreterin der Jesuiten. Sein Fachwissen bot ihm eine anschauliche Grundlage für wissenschaftliches Fabulieren und akademische Exekution. Er benutzte 1853/55 seine nicht vollendete Tierenzyklopädie ›Esprit des bêtes‹, um mit seiner Epoche und deren siegreicher Bourgeoisie abzurechnen. ›Ornithologie passionelle‹ nannte er seine Vogelkunde, und seine Leidenschaft drückte sich in gnadenlosem Haß aus. Als Idealist träumte er von einer friedlichen und gerechten Gesellschaft, die verwirklicht wäre, wenn die Frauen statt der Männer die Herrschaft übernähmen. Sein Utopieren nahm er als Rechtfertigung für jene Radikalität, die Intellektuelle rasch und gern zu Schreibtischtätern macht. Wenn er die Halsabschneider und Wucherer ausmerzen wollte, waren in seiner Vogelkunde damit die Geier gemeint, im Entwurf seiner menschlichen Gesellschaft die Juden. - (loe2)

Idealismus (7)  Die Philosophen durchwoben die Wirklichkeit mit verwirrenden Gespinsten von methodischer Fantastik; gerade die systematische Pedanterie überzeugte, die geregelten Fantasmen wurden zu ersten Wahrheiten erhoben.

[Die Methodik beruht auf der Behauptung, daß die ideale Abstraktion entscheide. Doch diese kann nie das komplex Konkrete fassen. Darum ist die idealistische Philosophie nur pedantische Imagination in formalen Sinnreimen.] Die meisten Hypothesen werden nicht logisch, sondern intuitiv gebildet, [wobei die Intuition social bedingt ist.] Der imaginative Charakter der Philosophie ist schwerer erkennbar, da er terminologisch verkleidet wird. Tatsächlich ist von der Mythomanie der Erkennenden zu sprechen.

Häufig entwächst Erkenntnis halluzinanven Prämissen. Das Grundproblem eines Systems, die zentralen Hypothesen bilden die hypnotischen Fixierpunkte und wirken als Idee fixe. Der philosophische Idealismus ist milder Wahnsinn, eine Phobie vor dem Konkreten. Vermittels der Hypothese schaltet man die positive Wirklichkeit aus und arbeitet halluzinativ basiert. [Doch gerade der abstrakte Somnambulismus verführt.] Das konkrete Geschehen wird durch den logisch formalen Automatismus ersetzt. Man kompensiert den imaginativen Ursprung der Hypothese durch den methodischen Aufbau. Unablässig wird die Reflexion von Hypothesen durchbrochen. Der logische Automatismus funktioniert reibungslos, da beständig unbeweisbare Elemente eingeführt werden. Die meiste Philosophie wird durch eine wirklichkeitsfremde, ideale Typik ermöglichst, durch aristokratische Distanzierung. [Doch diese ferne Vornehmheit verrät Schwäche, vielleicht auch einen Humor, der sadistisch durchwoben ist.]  - Carl Einstein, Die Fabrikation der Fiktionen. Reinbek bei Hamburg 1973 (dnb 17, entst. ca. 1935)

Ideal Werte, westliche Idee Philosophie
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VB
Pragmatismus
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