ch (46)

Von der Algebra der Gefühle

Ich habe oft das Gefühl (brennend,
dunkel, undefinierbar usw.),
daß das Ich keine Tatsache ist,
sondern ein Gefühl,
das ich nicht loswerde.

Ich hege es, lasse ihm freien Lauf,
erwidere es, von Fall zu Fall.
Aber es ist nur eins unter vielen.

Die Menge der Gefühle ist abzählbar unendlich,
d. h. sie lassen sich im Prinzip numerieren, bis ins Aschgraue.

Die Nummer der Eifersucht
ist offensichtlich die Sieben.
Auch die Angst ist prim.
Und ich habe das dumpfe Gefühl,
daß die Demütigung
die 188 auf ihrer Stirn trägt -
eine Zahl ohne Eigenschaften.

Auch das Gefühl, numeriert zu sein,
ist vermutlich längst numeriert,
nur wozu und von wem?

Das erhabne Gefühl des Zorns
bewohnt ein anderes Zimmer
in Hilberts Hotel
als das Gefühl,
über den Zorn erhaben zu sein.

Und nur wer sich hingeben kann
dem abstrakten Gefühl
für die Abstraktion, der weiß,
daß es in manchen sehr hellen Nächten
den Wert  anzunehmen pflegt.

Dann wieder läuft es mir kalt
über den Rücken, das Gefühl,
ein Paket zu sein,
das gefühllose, pelzige Gefühl,
von dem die Zunge zu bersten droht
nach der Injektion,
wenn sie dem Zahn auf den Zahn fühlt,
oder die Peinlichkeit
mit ihrem durchdringenden Bleigeschmack,
das mächtige Gefühl der Ohnmacht,
das unaufhaltsam des Null zustrebt,
und das falsche Gefühl
der wahren Empfindung
mit seinem abscheulichen Kettenbruch.

Dann erfüllt mich
eine Schnittmenge aus gemischten Gefühlen,
schuldig, fremd, wohl, verloren,
alles auf einmal.

Nur dem höchsten der Gefühle
wäre das Ich nicht gewachsen.
Statt Aufwallungen zu suchen
mit dem Limes ,
läßt es sich lieber
eine Minute lang übermannen
vom Schauder des eisig heißen Wassers
unter der Dusche, dessen Nummer
noch keiner entziffert hat.

 - Hans Magnus Enzensberger, Kiosk. Neue Gedichte. Frankfurt am Main 1997 (zuerst 1995)

Ich (47) autobiografische skizze 17. 12. 1932, samstag, 10 minuten (ca.) vor mitternacht, im Sternbild des schützen in wien geboren.

Volksschule und gymnasium in wien. ick werde 7 jähre gezwungen, das geigenspiel zu erlernen, ich verdiene zusätzliches taschengeld mit anwerben für lesezirkel, pokern etc. ich schreibe gedichte wie jeder, ich liebe trakl. ich zeichne, der surrealismus hat mich ungeheuer beeindruckt. ich gründe mit freunden den künstlerklub «genie und irrsinn» der drei mitglieder hat und die sind wir. ich spiele banjo. wir gründen eine kleine band. matura 1951.

ich will an die akademie der bildenden künste und maler werden. meine eltern haben für diese idee weder interesse noch geld. ich gehe in kaufmännische kurse und lerne maschineschreiben, buchhaltung u. ä. ich schreibe eine menge schlechter gedichte.

im winter 1951 eröffnet der wiener art-club sein vereinslokal, hier Ende ich gleichgesinnte wie hans carl artmann und gerhard rühm. ich mache gelegenheitsarbeiten. mein vater ist sehr unzufrieden und verschafft mir eine anstellung in einer bank. 6 jahre arbeite ich in dieser bank. in dieser zeit verstärkt sich meine beziehung zu artmann, rühm, oswald wiener und später friedrich achleitner. wir werden zu einer gruppe, machen lesungen, gemeinsohaftsproduktionen. ich spiele wieder banjo in einem wiener nachtlokal, wo oswald wiener das kornett bläst, ich versuche zu studieren (psychologie), gebe es sofort wieder auf.

1955 schreibe ich meine erste halbwegs brauchbare geschichte (der capitän). ich spiele in einem experimentalfilm (mosaik im vertrauen; regie: peter kubelka, kamera: ferry radax), der in paris einen preis erhält, die ersten publikationen folgen, ich gewinne beim roulette und fahre nach paris. mit ende 1957 kündige ich meine Stellung bei der bank. ich leite für einige monate die galerie eines freundes, des malers ernst fuchs, im winter 1958 und frühjahr 1959 literarisches cabaret mit oswald wiener, gerhard rühm und friedrich achleitner. wir schreiben unsere szenen und chansons, und spielen selbst, ferry radax hat ein neues filmprojekt und lädt mich zur mitarbeit ein. wir fahren nach monterosso bei genua. winter 1959/60. ich liefere das material zum kommentar und spiele die hauptrolle. («sonne halt», schwarz-weiss, 45 minuten; kurzfilmtage oberhausen 1963, museum des 20. jahrhunderts wien.) ich heirate, ich fahre mit meiner frau für einige monate nach frankreich (nach paris und in das landhaus meines freundes fritz hundertwasser), in «movens» erscheint eine gemeinschaftsarbeit mit gerhard rühm: «der fliegende holländer» aus dem zyklus kurzer spiele «kosmologie», der 1961 an der wiener Studentenbühne «die arche» aufgeführt wird. ich nehme eine rolle in einem experimentalfilm an («am rand», regie & kamera ferry radax, Produktion: televico Zürich, XII. internationale filmwoche mannheim 1963) und fahre zu diesem zweck für zwei monate kreuz und quer durch die schweiz. 1962 gründet gerhard lampersberg die «edition 62» und ich mache die redaktion. in paris erscheint «starker tobak» von oswald wiener und mir (dead language press). im mai 1963 führt das theater am lichtenwerd, wien, meinen einakter «bräutigall und anonymphe» auf. im dezember 1963 bringt der wolfgang fietkau verlag berlin das traktat «der stein der weisen». - Konrad Bayer, der sechste sinn. Roman. Reinbek bei Hamburg 1969

Ich (48)   »Sie sind die Exzellenz, dabei bleibt es. Ich selbst bin über allen Titeln und werde überhaupt nicht angeredet. Sie haben nun alles nach bestem Wissen und Gewissen auszuführen, was ich Ihnen aus meinem für Sie unerforschlichen Ratschluß auftrage.«

»Und das wäre?«

»Zunächst werden Sie noch eine Zeitlang Gesandter bleiben und Ihre Pflicht tun; Orden und Ehren mögen Sie annehmen, so viel Sie wollen; ich schaue Ihnen dabei lächelnd zu; Sie werden Erika gegenüber weiter ein guter Gatte und den Kindern ein besorgter Vater sein. Verstanden? Dieser kleinen Fürstin werden Sie die Glut Ihrer abenteuerlichen Leidenschart widmen,'aber Sie müssen das süße Ungeheuer stets etwas im Zaum halten. Es muß zahm bleiben und darf keine Politik mehr treiben, womit ich nicht gesagt haben will, daß Sie sie nicht doch bei Gelegenheit sich etwas vorwagen lassen dürfen, um sie dann plötzlich mit kühnem Griff zu fassen und, wenn es sein muß, niederzuzwingen. Das alles machen Sie, wenn es Ihnen Vergnügen macht! Nur verbitte ich mir ein für allemal, daß Sie je wieder metaphysisch zu werden trachten. Darum ist Ihnen vor allem das Studium der deutschen Philosophie mit Ausnahme Nietzsches, bis Sie gegen ihre Fallen gesichert sind, streng verboten. Sie sind mit all Ihren schönen Gefühlen, Idealen, ethischen Grundsätzen, welche die deutsche Philosophie durch Anleihen bei meiner Kraft in Ihnen hervorbläht, rein physisch, der Vergänglichkeit unterworfen. Metphysisch d. h. ewig und göttlich bin ich allein, die Person. Solange Sie die in Ruhe lassen, ist Ihnen alles erlaubt!«

»Aber was bin ich denn nun eigentlich!« fragte das Spiegelbild kleinlaut. »Bin ich überhaupt jetzt noch etwas?«

»Ja und nein. Sie sind mein Ich, mein gewordenes und darum auch sterbliches Ich, das sich die Person in ihrer göttlichen Einsamkeit erschuf, um zwei zu sein, um sich im Spiegel selbst zu erleben; ohne schöpferisches Gestalten wäre Gott ein erhabenes Nichts. Darum zerreißt er allaugenblicklich seine Einheit ins Werden und Vergehen der Vielgestalt, die sehnsüchtig in ihn zurückwill, aber zugleich blind an der Vereinzelung festhält und sie dadurch immer schmerzhafter macht. Doch wem sage ich das? Wer kennt diese Hölle besser als Sie? In dem heutigen Erlebnis aber habe ich Sie von Ihrem eigensinnigen Willen erlöst, der Ihrer Sehnsucht zu dienen bisher im Weg stand. Sie sind nun etwas, soweit Sie von meinen Gnaden sind; Sie sind ganz und gar nichts, soweit Sie von sich aus etwas zu sein meinen. Sie sind mein Erlebnis und darum ewig; Sie sind nur ein buntes Spiegelbild und darum zugleich nichtig; Sie sind ein Gespenst, aber ein farbiges. Ich spiele mit Ihnen wie Gott mit dem Leviathan. Ich lasse Ihnen das Seil locker, aber das Ende behalte ich doch stets in der Hand, bis es mir gefällt, Ihre Form im Abgrund des Todes zerschellen zu lassen. Sie sind Ich; der eben zu Ihnen spricht aber ist Gott. Nun wissen Sie alles, und jetzt stören Sie meine schauende schöpferische Seligkeit nicht mehr. Dies war unser letztes Gespräch, künftig verkehren wir nur noch in Zeichen, Bildern, Symbolen.« - Oscar A. H. Schmitz, Herr von Hiergeist hat einen Gast. In: Jenseits der Träume. Seltsame Geschichten vom Anfang des Jahrhunderts. Hg. Robert N. Bloch. Fankfurt am Main 1990 (st 1595, zuerst 1911)

Ich (49)

Doch ich, zu Possenspielen nicht gemacht,
Noch um zu buhlen mit verliebten Spiegeln,
Ich, roh geprägt, entblößt von Liebesmajestät,
Vor leicht sich drehnden Nymphen mich zu brüsten,
Ich, um dies schöne Ebenmaß verkürzt,
Von der Natur um Bildung falsch betrogen,
Entstellt und roh geformt, weil vor der Zeit
In diese Atemwelt gesandt, halb fertig
Gemacht kaum, und so lahm und ungeziemend,
Daß Hunde bellen, hink ich wo vorbei,
Ich nun, in dieser schlaffen Friedenszeit,
Weiß keine Lust, die Zeit mir zu vertreiben,
Als meinen Schatten in der Sonne spähn
Und meine eigne Mißgestalt erörtern;
Und darum, weil ich nicht als ein Verliebter
Kann kürzen diese fein beredten Tage,
Bin ich gewillt, ein Bösewicht zu sein
Und feind den eitlen Freuden dieser Tage.
Anschläge macht ich, schlimme Einleitungen,
Durch trunkne Weissagungen, Schriften, Träume,
Um meinen Bruder Clarence und den König
In Todfeindschaft einander zu verhetzen.
Und ist nur König Eduard treu und echt,
Wie ich verschmitzt, falsch und verräterisch,
So wird in strenge Haft gesetzt heut Clarence
Für eine Weissagung, die sagt, daß G
Den Erben Eduards nach dem Leben steh.

Taucht unter, ihr Gedanken! Clarence kommt. 

- Shakespeare, König Richard III.

Ich  (50)

Ich weiß nicht, wie mir's ist,
Ich bin nicht krank und bin nicht gesund,
Ich bin blessiert und hab keine Wund.

Ich weiß nicht, wie mir's ist,
Ich tät gern essen und geschmeckt mir nichts,
Ich hab ein Geld und gilt mir nichts.

Ich weiß nicht, wie mir's ist,
Ich hab sogar kein Schnupftabak
Und hab kein Kreuzer Geld im Sack.

Ich weiß nicht, wie mir's ist,
Heiraten tät ich auch schon gern,
Kann aber Kinderschrein nicht hörn.

Ich weiß nicht, wie mir ist,
Ich hab erst heut den Doktor gefragt,
Der hat mir's unters Gesicht gesagt:

„Ich weiß wohl, was dir ist,
Ein Narr bist du gewiß."
Nun weiß ich, wie mir ist.

- Achim von Arnim, Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. München 1957 (zuerst 1805)

Ich (51) Ich habe mich selbst auf keine andere Weise analysiert, als daß ich in meinen Büchern Hunderte von verschiedenen Gestalten geschaffen haibe — jede aus mir herausgesponnen mit Mängeln und Vorzügen, wie gedichtete Personen sie haben. Die sogenannte naturalistische Periode Zolas und seiner Zeit schilderte Menschen mit Haupteigenschaften... Die Menschen hatten einen vorherrschenden Zug, der ihre Handlungen bestimmte... Ich glaube nicht, daß es von Anbeginn meines Schaffens in meinen Werken eine einzige Gestalt mit einem derartigen gradlinigen vorherrschenden Zug gibt. Alle sind sie ohne sogenannten Charakter, gespalten und zerrissen, nicht gut und nicht schlecht, sondern beides, schillernd in ihrem Wesen und in ihren Handlungen. Und so bin, ohne Zweifel, ich selbst. - Knut Hamsun, nach (bov)

Ich (52) Wenn man das Unsichtbare begreifen will, muß man so tief wie möglich ins Sichtbare eindringen. — Mein Ziel ist immer, das Unsichtbare sichtbar zu machen durch die Wirklichkeit. Es klingt vielleicht paradox, aber es ist tatsächlich die Wirklichkeit, die das Geheimnis unseres Daseins bildet. - Deshalb brauche ich kaum abstrakte Formen, denn jeder Gegenstand ist bereits unwirklich genug; so unwirklich, daß ich ihn nur durch die Malerei wirklich machen kann. — Meiner Meinung nach sind alle wesentlichen Dinge in der Kunst seit Ur in Chaldäa, seit Tel Halaf und Kreta immer aus dem tiefsten Empfinden für das Mysterium unseres Daseins entsprungen. — Das Ich ist das große verschleierte Mysterium des Daseins ... Ich glaube an dieses Ich und an seine ewige unveränderliche Form ... Darum bin ich so versunken in das Problem des Individuums und versuche auf alle Weise, es zu erklären und darzustellen. Was bist Du? Was bin ich? Das sind die Fragen, die mich unablässig verfolgen und quälen und die vielleicht auch eine gewisse Rolle in meiner Kunst spielen.   Darauf läuft doch schließlich die ganze Kunst hinaus: Selbstgenuß, natürlich in seiner höchsten Form, Existenzempfindung. — Wundervoll ist mir immer das Zusammenkommen mit Menschen. Ich hajbe eine wahnsinnige Passion für diese Spezies,  Mysterium ist der richtige Kollektivbegriff, das Unbekannte, die einzige ‹Wirklichkeit›, die wir feststellen können. — Der Glaube an das tatsächlich vorhandene Lebensmysterium muß fest wie ein Stein sein. ‹Daß wir nichts wissen, ist unsere größte Hoffnung.›   Es hat ein wildes, fast böses Lustgefühl, so mitten zwischen Tod und.Leben zu stehen. — Überall finde ich tiefe Linien der Schönheit im Leiden und Ertragen dieses schaurigen Schicksals. -- Ich habe gezeichnet, das sichert einen gegen den Tod. — Ich würde mich durch sämtliche Kloaken der Welt, durch sämtliche Erniedrigungen und Schändungen hindurchwinden, um zu malen. Ich muß das, bis auf den letzten Tropfen muß alles, was an Formvorstellungen in mir lebt, raus aus mir. Dann wird es ein Genuß sein, diese verfluchte Quälerei los zu werden. - Max Beckmann, nach: Walter Hess (Hg.), dokumente zum verständnis der modernen malerei. Reinbek bei Hamburg 1964 (rde 19)

Ich (53) Ich werde zunächst die in allen Weltteilen über mich kursierenden Legenden berichten. Es gibt Menschen, die glauben, daß mein Vater aus sehr altem Adel stamme; meine Mutter dagegen soll eine Jüdin sein. Manche Eingeweihte wissen aber, daß ich aus einer Krautjunkerfamilie stamme. Nach andrer Lesart soll ich der letzte Sproß einer nach Ungarn eingewanderten finnischen Familie sein. Ich las einmal einen Brief, in dem behauptet wurde, ich wäre von Geburt Zigeuner.  Viele nennen mich auch einen Juden (was mir manchmal sogar unangenehm ist). Positiv weiß ich das: ein Verwandter von mir war der berühmte Frauenmörder Hugo Schenk. In meinen Verwandtenkreis gehört auch Professor Schenk, der seinerseits großes Aufsehen damit erregte, daß er behauptete, ein Mittel gefunden zu haben, mit dem man bei schwangeren Frauen die Geburt so regeln könne, daß je nach Wunsch ein Junge oder Mädchen auf die Welt komme. Es gibt unter meinen Vorfahren auch einen berühmten Seeräuber, der das Modell zu dem Kriminalroman "Nobody" war. Ich bilde mir ein, daß ich die Reinkarnation dieser meiner Vorfahren bin. Ich muß für alle ihre Sünden hier büßen und leiden und eventuell ihre nicht bekommene Freude erleben. - (szi)

Ich (54)

Interview mit mir selbst

 

Ich bin vor nicht zu langer Zeit geboren
In einer kleinen, klatschbeflissenen Stadt,
Die eine Kirche, zwei bis drei Doktoren
Und eine große Irrenanstalt hat.

Mein meistgesprochenes Wort als Kind war .
Ich war kein einwandfreies Mutterglück.
Und denke ich an jene Zeit zurück:
Ich möchte nicht mein Kind gewesen sein.

Im letzten Weltkrieg kam ich in die achte
Gemeindeschule zu Herrn Rektor May.
- Ich war schon zwölf, als ich noch immer dachte,
Daß, wenn die Kriege aus sind, Frieden sei.

Zwei Oberlehrer fanden mich begabt,
Weshalb sie mich - zwecks Bildung - bald entfernten;
Doch was wir auf der hohen Schule lernten,
Ein Wort wie  haben wir nicht gehabt.

Beim Abgang sprach der Lehrer von den Nöten
Der Jugend und vom ethischen Niveau -
Es hieß, wir sollten jetzt ins Leben treten.
Ich aber leider trat nur ins Büro.

Acht Stunden bin ich dienstlich angestellt
Und tue eine schlechtbezahlte Pflicht.
Am Abend schreib ich manchmal ein Gedicht.
(Mein Vater meint, das habe noch gefehlt.)

Bei schönem Wetter reise ich ein Stück
Per Bleistift auf der bunten Länderkarte.
- An stillen Regentagen aber warte
Ich manchmal auf das sogenannte Glück ...

- Mascha Kaléko

Ich (55)  Eigner bin Ich meiner Gewalt und Ich bin es dann, wenn ich mich als Einzigen weiß. Im Einzigen kehrt selbst der Eigner in sein schöpferisches Nichts zurück, aus welchem er geboren wird. Jedes höhere Wesen über Mir, sei es Gott, sei es der Mensch, schwächt das Gefühl meiner Einzigkeit und erbleicht erst vor der Sonne dieses Bewußtseins. Stell' Ich auf Mich, den Einzigen, meine Sache, dann steht sie auf dem Vergänglichen, dem sterblichen Schöpfer seiner, der sich selbst verzehrt, und Ich darf sagen: Ich hab mein Sach' auf Nichts gestellt. - Max Stirner, Der Einzige und sein Eigentum, 1845

Ich (56)  

Ich bin die Seele dieser Welt, in aller Wesen Herz bin ich,
Ich bin der Anfang, Mitte ich und Ende auch der Wesen all,

Vishnu unter den Adityas, die Sonn' in der Gestirne Schar,
Marici in der Marut Schar, der Mond im Sternenheer bin ich!

Bin der Saman von den Vedas, bin Indra in der Götter Heer,
Von den Sinnen der innre Sinn, – der Wesen Einsicht, das bin ich.

Bin von den Rudras Shankara, Kuvera in der Yakshas Heer,
Bin von den Vasus all das Feu'r, von den Bergen der Meru ich

Wisse, daß ich der erste bin von den Priestern, Brihaspati!
Von den Feldherrn bin ich Skanda, von den Seen bin ich das Meer.

Von den Rishis bin ich Bhrigu, von den Worten bin ich  das Om,
Im Gottesdienst ein leis Gebet, als Gebirg der Himâlaya;

Der Ashvattha von den Bäumen, von den Gottweisen Nârada,
Als Gandharve Citraratha, von den Seligen Kapila;

Wisse, ich bin Uccaihshravas unter den Rossen, meerentstammt,
Als Elephant Airâvata, – unter Menschen bin ich der Fürst;

Von den Waffen der Donnerkeil, unter den Kühen Kâmaduh,
Als Erzeuger der Liebesgott, unter den Schlangen Vâsuki.

Bin Ananta bei den Nâgas, bin Varuna im Wasserreich, -
Bin von den Vätern Aryaman, bin Yama in der Zwingherrn Schar.

Bin Prahlâda bei den Daityas, unter den Zählenden die Zeit,
Bin der Löwe unter den Tieren, unter den Vögeln Garuda;

Bin von den Reinigern der Wind, bin Râma in der Helden Schar,
Bin von den Fischen der Delphin, von den Flüssen der Gangâ -Strom.

Anfang und End' der Schöpfungen und Mitte bin ich, Arjuna,
Kunde höchsten Geists im Wissen, der Redner Rede, das bin ich!

Unter den Lauten bin ich A, bin Dvandva als Compositum,
Ich bin die Zeit, die nie vergeht, bin der Schöpfer, der allhin schaut.

Ich bin der Tod, der alles raubt, der Ursprung des, was werden soll;
Als Weib: die Ehre, Anmut, Red', Erinnrung, Einsicht, Kraft, Geduld.

Der Würfel unter dem, was trügt, der Glanz der Glänzenden bin ich,
Der Sieg bin ich, Entschluß bin ich, der Guten Güte, das bin ich.

Der Stock bin ich der Strafenden, die Politik der Kämpfenden,
Als Geheimnis bin ich Schweigen, bin das Wissen der Wissenden.

- Bhagavad-Gîtâ 

Ich (57)

Opus Null

1

Ich bin der große Derdiedas
das rigorose Regiment
der Ozonstengel prima Qua
der anonyme Einprozent.

Das P. P. Tit und auch die Po
Posaune ohne Mund und Loch
das große Herkulesgeschirr
der linke Fuß vom rechten Koch.

Ich bin der lange Lebenslang
der zwölfte Sinn im Eierstock
der insgesamte Augustin
im lichten Zelluloserock.

2

Er zieht aus seinem schwarzen Sarg
um Sarg um Sarg um Sarg hervor.
Er weint mit seinem Vorderteil
und wickelt sich in Trauerflor.

Halb Zauberer halb Dirigent
taktiert er ohne Alpenstock
sein grünes Ziffernblatt am Hut
und fällt von seinem Kutscherbock.

Dabei stößt er den Ghettofisch
von der möblierten Staffelei.
Sein langer Würfelstrumpf zerreißt
zweimal entzwei dreimal entdrei.

3

Er sitzt mit sich in einem Kreis.
Der Kreis sitzt mit dem eignen Leib.
Ein Sack mit einem Kamm der steht
dient ihm als Sofa und als Weib.

Der eigne Leib der eigne Sack.
Der Vonvon und die linke Haut.
Und tick und tack und tipp und topp
der eigne Leib fällt aus der Braut.

Er schwingt als Pfund aus seinem Stein
die eigne Braut im eignen Sack.
Der eigne Leib im eignen Kreis
fällt nackt als Sofa aus dem Frack.

4

Mit seiner Dampfmaschine treibt
er Hut um Hut aus seinem Hut
und stellt sie auf in Ringelreihn
wie man es mit Soldaten tut.

Dann grüßt er sie mit seinem Hut
der dreimal grüßt mit einem du.
Das traute sie vom Kakasie
ersetzt er durch das Kakadu.

Er sieht sie nicht und grüßt sie doch
er sie mit sich und läuft um sich.
Der Hüte inbegriffen sind
und deckt den Deckel ab vom Ich.

- Hans Arp

Ich (58)

Gib das Lernen auf,
und deine Sorgen haben ein Ende
Besteht denn ein Unterschied zwischen ja und nein?
Wie weit sind denn das Gute und das Böse
voneinander entfernt?
Soll ich mich fürchten,
nur weil sich andere fürchten -
das wäre doch Unsinn!
O Einsamkeit, wie lange dauerst du!

Andere Menschen sind vergnügt,
als ob sie festlich einen Ochsen brieten
oder im Frühling in den Park gingen
und auf schonen Terrassen bummelten.
Ich aber treibe dahin, allein,
ohne zu wissen, wer ich bin,
wie ein neugeborenes Kind,
bevor es das erste Lachen lernt.
Ich bin allein und habe keinen Platz,
wohin ich gehen könnte
Die Menschen haben mehr, als sie brauchen,
ich allein scheine nichts zu besitzen.
Mein Sinn ist wie der eines Narren - leer.
Die andern sind lustig und froh,
ich allem bin trübe und kraftlos
Die andern sind scharfsinnig und klug,
ich allem bin langweilig und dumm.

Ich treibe dahin wie die Wellen des Meeres,
ohne Richtung, wie ein Wind, der nie verebbt
Die andern haben alle ein Ziel,
ich allein bin unwissend und ungebildet
Ich bin anders als alle andern,
aber die Große Mutter
hegt und pflegt mich.

- (tao)

Ich (59)    Laßt euch nicht schrecken. Das Wort »ich« ist so grundsätzlich und erstgeboren, so von allergreifbarster und darum allerehrlichster Wirklichkeit erfüllt, so unfehlbar als Führer und streng als Probierstein, daß man, statt es zu verachten, auf die Knie vor ihm fallen sollte. Ich glaube, daß ich mich eher noch nicht fanatisch genug selber zu Herzen nehme und daß ich es nicht verstanden habe - aus Angst vor anderen Menschen -, mich dieser Berufungs-Aufgabe mit genügend kategorischer Rücksichtslosigkeit zu widmen, diese Angelegenheit weit genug zu treiben. Ich bin mein wichtigstes und wohl gar mein einziges Problem: der einzige aller meiner Helden, an dem mir wirklich gelegen ist. - (gom)

Ich (60)  

 "Qual des Fleisches" - Selbstportät Michelangelos

-  Michelangelo, nach dem ZDF

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VB
Mittelpunkt Egoismus

Synonyme
Zentrum