undstage  Auch wenn wir die Hundstage lieben — das Nacktgehen, das Baden, den Vorgenuß Durst —, laßt uns nicht vergessen, daß wir Kältegeschöpfe sind. Von der Temperatur unsres Blutes geht es nur noch 310 Grad abwärts, dann ist die tiefstmögliche Kälte des Weltalls erreicht. In die Hitze der Sterne hinauf aber geht es viele Millionen Grad. (Der Salpeterprozeß etwa setzt bei 200 Millionen ein.)

Im tiefsten Winkel des Weltkühlschranks sitzen wir, aber quatschen von "lebensspendender Sonne". Die Sonne braucht nur einmal zu niesen, und unsere Welt ist weg. Hitze zerlegt jede Zelle, liquidiert die ganze organische Chemie, löst jede Molekülbindung und ermöglicht zum Schluß nur rasende einfachste Teilchen. Hitze ist Chaos, Kälte ist Ordnung. Wenns einen ordnungsliebenden Gott gibt, liegt seine Lieblingstemperatur zwischen minus 20 und plus 40 Celsius, also, anständig gesprochen, etwa 250 und 310 Grad Kelvin. Was drüber ist, erfreut konfuse Schlachtpriestergötter, die Mädchen in Kratern lieben und Neugeborene zu Braten brennen.

Also: Heiliger Frost, belasse die Eiszapfen in unseren Bärten, lasse die Sonne so kühl und die Erde so extrakalt bleiben, schicke uns brustkorbmalmendes Packeis, aber nicht knochenverdampfende Lava, schicke uns gefrierenden Hauch vor die Schnauze, aber nicht die tödlichen Gasknäul der Sonnen; laß uns keine Millionäre an Graden werden, laß die Liebe zu Hundstagen maßvoll bleiben, und laß die Liebe zu Menschen Kühlung und nicht Glut sein, amen. - (oko)

Hundstage (2) Einmal nun, heißt es, in den Hundstagen, sei Tambonnin nachts erwacht und habe seine Frau nicht neben sich gefunden; als er in der Küche einen Stuhl knarren hörte, sei er aufgestanden; weil er jedoch in seinem Zorn so Licht wie Holzschuhe vergessen, weil Barberine aus Vorsicht rasch die Kerze ausgeblasen hatte und jedesmal, wenn er im Finstern nach einem stummen Menschen griff, ein. Nagelschuh sich auf seine beiden nackten Füße senkte, entschloß er sich zuletzt, den Schlafwandler zu spielen und in sein Bett zurückzukehren, während Pèguevignol, der sein Manöver durchschaut hatte, in lautes Lachen ausbrach und schon die Kerze wieder entzündete, als Tambonnin murmelte:

«Ach, du bist's, Pèguevignol! Ich habe mir schon den Kopf zerbrochen, wer das bloß sein könnte!» und das Gesicht zur Wand kehrte.  - Marcel Jouhandeau, Barberine oder Das Cache-Pô. In: M. J., Chaminadour. Reinbek bei Hamburg 1964

Hundstage (3)  Es wird immer kälter und kälter. Wir nähern uns dem Kap. Jetzt sind Gregos, Düffeljacken, Affenjacken, Reffjacken, Sturmjacken, Öljacken, bemalte Jacken, runde Jacken, kurze Jacken, lange Jacken und jede Art anderer Jacken an der Tagesordnung, nicht zu vergessen die unsterbliche Weißjacke, die jetzt bis zum Halse fest zugeknöpft und energisch an den Schößen herabgezogen wird, damit sie über die Lenden hinabreicht.

Aber ach, diese Schöße waren beklagenswert knapp, und obgleich die Jacke mit ihrer Fütterung um die Brust ausgestopft war wie ein Weihnachtstmthahn und den Träger an trockenen, kalten Tagen in dieser Gegend warm genug hielt, war sie um die Lenden herum kürzer als das Röckchen einer Ballettänzerin. So war meine Brust in der gemäßigten Zone nahe bei der heißen, während sich meine Schenkel m Novaja Semlja, kaum einen Eiszapfenwurf weit vom Pol entfernt, befanden.

Überdies war die Jacke durch das wiederholte Durchnässen und Trocknen, das sie erlebt hatte, nach und nach, besonders an den Ärmeln, so jämmerlich eingelaufen, daß die Manschetten langsam bis zu den Ellenbogen hinaufgekrochen waren und es eines  kräftigen  Rucks  bedurfte, die Arme hindurchzustoßen, wenn ich sie anzog.

Ich bemühte mich, diesen Übelständen abzuhelfen, indem ich eine Art Segeltuchrüsche rings um die Schöße nähte, um so das ursprüngliche Werk zu verlängern oder zu vervolSständigen. Das gleiche tat ich an den Manschetten.

Das ist die Zeit für Ölzeuganzüge, Wettermäntel, geteerte Hosen und Overalls, Seestiefel, Halstücher, Fausthandschuhe, wollene Socken, Guernseyjacken, Havrehemden, Büffelhautjacken und Elchlederhosen. Jedermanns Jacke ist sein Wigwam und jedermanns Hut sein Kabuff.

Jetzt wird den Leuten hinsichtlich ihrer Kleidung völlige Freiheit gewährt. Was sie zusammenraffen und -schrappen können, ziehen sie an, wickeln sich in alte Segel und stülpen sich alte Socken wie Nachtmützen über die Ohren. Das ist die Zeit, wo man sich den Brustkorb mit den Händen schlagt und laut spricht, um den Blutkreislauf in Gang zu halten.

Kälter und kalter und kälter wird es, bis wir schließlich eine Flotte von Eisbergen ausmachen, die nordwärts segelt. Danach war es eine nicht nachlassende „beißende Kalte", die uns fast die Finger und Zehen abbiß. Kalt! Es war so kalt wie in „Blue Flujin", wo, wie die Seeleute sagen, sogar das Feuer friert.   - (weiss)

Hundstage (4) Zwanzig Tage vor der Konjunktion von Hundsstern und Sonne begannen die Hundstage. Die Welt geriet mit dem Unbelebten mehr und mehr in Konflikt. Bei einem Zugunglück bei Oajaca in Mexiko am 1. Juli wurden fünfzehn Menschen getötet. Am nächsten Tag starben fünfzehn andere, als in Madrid ein Wohnhaus zusammenfiel. Am 4. Juli stürzte ein Omnibus in einen Fluß in der Nähe von Karatschi, und einunddreißig Fahrgäste ertranken. Neununddreißig weitere ertranken zwei Tage später bei einem Tropensturm auf den Zentralphilippinen. Am 9. Juli wurde die Ägäis von einem Erdbeben und einer Flutwelle betroffen, der vierunddreißig zum Opfer fielen. Fünfundvierzig starben, als ein Luftwaffen-Transporter kurz nach dem Start von der McGuire Air Force Base in New Jersey abstürzte. Ein Erdbeben in Andschar in Indien am 21. Juli tötete 117. Zwischen dem 22. und dem 24. Juli wüteten in Mittel- und Südpersien Überschwemmungen: dreihundert Tote. In Kuopio (Finnland) stürzte am 28. Juli ein Bus von einer Fahre - fünfzehn ertranken. Vier Benzintanks explodierten bei Dumas, Texas - neunzehn Tote. Am 1. August kamen siebzehn bei einem Zugunglück in der Nähe von Rio de Janeiro um. Weitere fünfzehn starben bei Überschwemmungen am 4. und 5. im südwestlichen Pennsylvanien. 2161 Menschen fielen in derselben Woche einem Taifun zum Opfer, der die Provinzen Tschekiang, Honan und Hu-peh verwüstete. Am 7. August explodierten in Cali in Kolumbien sechs Dynamit-Lastwagen: ungefähr 1100 Tote. Ein Eisenbahnunglück am selben Tag in Prerau (Tschechoslowakei) forderte neun Opfer. Am nächsten Tag: 262 Kumpels, von einem Feuer eingeschlossen, starben in einer Kohlengrube unter Marcinelle, Belgien - Lawinen vom Mont Blanc rissen in der Woche vom 12. zum 18. August fünfzehn Bergsteiger in das Reich des Todes. In derselben Woche kamen um: fünfzehn bei einer Gasexplosion in Monticello, Utah, und dreißig bei einem Taifun über Japan und Okinawa. Weitere neunundzwanzig Bergleute wurden Opfer einer Gasvergiftung, am 27. August in Oberschlesien. Ebenfalls am 27. August: in Sanford, Florida, stürzte ein Navy-Bomber auf ein Haus - vier Tote. Am nächsten Tag starben sieben nach einer Gasexplosion in Montreal und 138 bei plötzlich eintretenden Überschwemmungen in der Türkei.

Dies alles waren nur die großen tödlichen Katastrophen. Da war aber auch noch die Komparserie der Kranken, der Versager, der Heimatlosen, der Verlorenen. Monat um Monat eine Reihe von Scharmützeln zwischen Gruppen von Lebenden und einer kongruenten Welt, die sich einfach nicht darum kümmert. - (v)

Sommer Hitze
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