Hundefänger  «Mexico!» Es ist der Doktor, ächzend, eine Kloschüssel um den Fuß, der gestrickte Helm verrutscht.

«Hallo, macht Ihnen das beim Gehen denn keine Schwierigkeiten? Würde ich doch meinen ... rauf hier damit! Zuerst stecken Sie's mal durch die Tür, so, ja, gut so.» Die Wagentür schließt sich um Pointsmans Knöchel, die Kloschüssel nimmt Rogers ganzen Sitz ein, Roger lehnt halb auf Jessicas Schoß. «Und jetzt ziehen, ziehen, so fest Sie können!»

Junger Schnösel und zynischer Sack denkt sich der Doktor, stützt sich ganz auf sein Standbein, rüttelt und grunzt: die Schüssel schlingert hin und her. Roger hält die Tür fest und späht aufmerksam in das Loch, in dem der Fuß verschwindet. «Wenn wir nur etwas Vaseline hätten ... irgendwas Schlüpfriges. Moment! Bleiben Sie hier, Pointsman, bewegen Sie sich nicht, gleich haben wir's ...» Schon ist er unter dem Wagen, der impulsive Bursche, sucht nach dem Ölhahn vom Kurbelgehäuse, noch ehe Pointsman sagen kann: «Wir haben keine Zeit, Mexico, er entkommt uns, er entkommt!»

«Stimmt.» Taucht wieder auf und nestelt eine Taschenlampe aus der Jackentasche. «Ich werde ihn aufstöbern, Sie warten mit dem Netz. Glauben Sie, daß Sie zurechtkommen? War Pech, wenn Sie hinfielen oder so, gerade wenn er durchbrechen will.»

«Um Himmels willen», Pointsman humpelt hinter ihm in die Ruine, «erschrecken Sie ihn nicht, Mexico, wir sind hier nicht in Kenia oder sonstwo im Busch. Wir brauchen ihn in halbwegs normativem Zustand, verstehen Sie!»

Normativ? Normativ?

«Roger», bestätigt Roger, während er mit der Taschenlampe kurz-lang-kurz signalisiert.

«Jessica», murmelt Jessica, die auf Zehenspitzen hinter ihm herschleicht.

«Hier, Kamerad», lockt Roger. «Hier haben wir ein hübsches Fläschchen Äther für dich», er öffnet die Flasche und wedelt damit vor dem Kellereingang hin und her, dann schaltet er den Lichtstrahl ein. Der Hund guckt aus einem alten, rostigen Kinderwagen hervor, tanzende schwarze Schatten, die Zunge hängt ihm aus dem Maul, auf seinem Gesicht malt sich blanke Skepsis. «Aber das ist doch Mrs. Nussbaum!» ruft Roger, genau wie er's von Fred Allen jeden Mittwochabend in der BBC gehört hat,

«Nu, was hamse geglaubt, vielleicht de Lessie?» entgegnet der Hund.

Roger riecht die starken Ätherdämpfe ziemlich deutlich, während er vorsichtig hinuntersteigt. «Jetzt stell dich nicht so an, Freundchen, es ist gleich überstanden, bevor du's überhaupt weißt. Pointsman mochte doch nur deine popligen Speicheltropfen zählen, weiter nichts. Will dir einen winzig kleinen Einschnitt in die Wange machen, ein nettes Glasröhrchen, kein Grund zur Beunruhigung, was? Ab und zu darfst du sogar eine Glocke läuten. Die aufregende Welt des Laboratoriums, du wirst unheimlich darauf stehn!» Äther nebelt ihn ein. Er versucht, die Flasche wieder zuzustöpseln, macht einen Schritt vorwärts, sein Fuß bricht in ein Loch. Seitlich wegsackend, tappt er nach einem Halt. Der Stöpsel fällt wieder raus aus der Flasche und für immer hinunter in den Schutthaufen am Grunde des zerschmetterten Gebäudes. Oben brüllt Pointsman: «Den Schwamm, Mexico, Sie haben den Schwamm vergessen!» Herab kollert eine bleiche, runde Ansammlung von Löchern, hüpft durch den Lichtstrahl der Lampe, verschwindet. «Immer lustig», kommentiert Roger und grapscht beidhändig danach, wobei er freigebig Äther verspritzt. Endlich ortet er den Schwamm im Lichtkegel; der Hund in seinem Kinderwagen sieht mit einiger Verwirrung zu. «Hah!» Äther strömt auf den Schwamm, überzieht Rogers Hände mit Eiseskälte, bis die Flasche leer ist. Den durchtränkten Schwamm zwischen zwei Fingern haltend, schwankt er auf den Hund zu und leuchtet sich mit der Lampe von unten in sein eigenes Gesicht, um die Vampirgrimasse zu verstärken, die er zu machen glaubt: «Augenblick - der Wahrheit!» Er springt. Der Hund huscht zur Seite, streicht an Roger vorbei auf den Ausgang zu, während Roger samt Schwamm kopfüber in den Kinderwagen kracht, der prompt zusammenbricht. Wie aus weiter Ferne hört er oben den Doktor winseln: «Er geht uns durch, Mexico! Rasch! Beeilen Sie sich!»   - Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei Hamburg 1981

Hundefänger (2)
 

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